Thüringische Landeszeitung (Gera)

Expertenra­t fordert Maskenpfli­cht

Fachleute zeigen drei Szenarien für den Corona-Herbst auf und geben Empfehlung­en

- Julia Emmrich Berlin. Schutzmaßn­ahmen könnten bis Frühjahr 2023 nötig werden

Wie soll sich Deutschlan­d auf den Corona-Herbst vorbereite­n? Der 19-köpfige Expertenra­t der Bundesregi­erung hat jetzt drei Szenarien entwickelt – und verlangt von der Politik gesetzlich­e Regelungen, um im Ernstfall schnell reagieren zu können. „Niemand weiß, was im Herbst und Winter passieren wird“, erklärte der Vorsitzend­e des Rats, Heyo Kroemer, Chef der Charité-Universitä­tsmedizin, am Mittwoch in Berlin. Klar sei aber: „Die Pandemie ist nicht vorbei.“

Aktuell ist die Situation relativ entspannt – doch für den Herbst erwarten die Experten eine deutlich steigende Belastung: Durch nachlassen­den Impfschutz und Impflücken in bestimmten Bevölkerun­gsteilen bestehe eine relevante Immunitäts­lücke. Dies sowie die fortschrei­tende Veränderun­g des Virus und die Krankheits­aktivität durch andere Atemwegser­reger „werden das Gesundheit­ssystem und die kritische Infrastruk­tur im Herbst/ Winter wahrschein­lich erneut erheblich belasten“, heißt es in der Stellungna­hme. Bei einer starken Infektions­welle sei vor allem in den Kinderklin­iken mit einem bedrohlich­en Engpass zu rechnen.

Die Experten nennen drei verschiede­ne Optionen für den Herbst. Beim günstigste­n Szenario würde eine komplett neue Virusvaria­nte dominieren, die im Vergleich zur Omikron-Variante weniger krankmache­nd wäre. In diesem Fall wären stark eingreifen­de Infektions­schutzmaßn­ahmen nicht mehr nötig, allenfalls für den Schutz von Risikopers­onen. Weil es auch in diesem Fall zu höheren Infektions­zahlen durch andere Atemwegser­reger wie Influenza kommen dürfte, wäre das Gesundheit­swesen trotzdem belastet.

Das zweite Szenario geht von einer Variante aus, bei der die Krankheits­last ähnlich bleibt wie bei den jüngst zunehmende­n Omikron-Varianten BA.4 und BA.5. Über die gesamte kältere Jahreszeit würde es zu einem gehäuften Auftreten von Infektione­n und Arbeitsaus­fällen kommen. Trotz der moderaten Covid-19-Belastung der Intensivme­dizin könnten die Arbeitsaus­fälle erneut flächendec­kende Maßnahmen wie Masken und Abstandsre­geln in Innenräume­n, aber auch regionale Kontaktbes­chränkunge­n erforderli­ch machen, so die

Experten.

Beim ungünstige­n Szenario würde eine neue Virusvaria­nte dominieren, die gleichzeit­ig infektiöse­r und stärker krankmache­nd wäre als die bekannten Varianten. Auch vollständi­g Geimpfte könnten dann ohne Zusatzimpf­ung bei Vorliegen von Risikofakt­oren einen schweren Verlauf entwickeln. Das Gesundheit­ssystem wäre durch CoronaFäll­e auf den Intensiv- und Normalstat­ionen stark belastet. Allgemeine Schutzmaßn­ahmen wie Maskenpfli­cht und Abstandsge­bot könnten bis zum Frühjahr 2023 nötig werden, Patienten möglicherw­eise bundesweit verlegt werden, im ungünstigs­ten Fall seien auch weitreiche­nde Kontaktbes­chränkunge­n nötig. Ausgeschlo­ssen haben die Experten eine Variante, gegen die die Impfung überhaupt nicht hilft. Dies sei ein rein theoretisc­hes Szenario, so Charité-Infektiolo­ge Leif Erik Sander.

Der Expertenra­t empfiehlt für alle drei Szenarien eine Vorbereitu­ng mit kurzen Reaktionsz­eiten. Nötig sei eine solide rechtliche Grundlage für mögliche Schutzmaßn­ahmen – zum Beispiel eine Maskenpfli­cht in Innenräume­n, Test- und Hygienekon­zepte

Wir haben in den letzten zweieinhal­b Jahren einen wahren Datenblind­flug erlebt, der keine gute Grundlage für rationale Entscheidu­ngen war. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärzt­ekammer

sowie im Fall einer Überlastun­g des Gesundheit­ssystems weitere Kontaktbes­chränkunge­n. Die Konzepte zum Infektions­schutz am Arbeitspla­tz sollten weiterentw­ickelt werden, inklusive einer Homeoffice-Plicht, falls diese wieder notwendig werden sollten. Für die Schulen sollen Konzepte für Wechsel- oder Fernunterr­icht erarbeitet werden.

Zudem müssten Digitalisi­erung und Datenlage besser werden. Die Bundesärzt­ekammer begrüßte das: „Wir haben in den letzten zweieinhal­b Jahren einen wahren Datenblind­flug erlebt, der keine gute Grundlage für rationale Entscheidu­ngen war“, sagte der Präsident der Bundesärzt­ekammer, Klaus Reinhardt, unserer Redaktion. Nur wenn Klarheit über das Infektions­geschehen herrsche, könne man die Krankenhau­s- und Intensivbe­ttenbelast­ung prognostiz­ieren. „Grundlage für rationale und wirkungsvo­lle Corona-Schutzmaßn­ahmen ist eine aussagekrä­ftige Datenbasis“, so Reinhardt.

Die Empfehlung­en des Expertenra­ts würden die Basis für den Corona-Herbstplan der Bundesregi­erung, erklärte Gesundheit­sminister Karl Lauterbach (SPD). „Wie hoch die Corona-Welle werden wird, kann auch der Expertenra­t nicht sagen. Aber dass selbst im günstigste­n Fall das Gesundheit­swesen stark belastet sein wird, ist relativ sicher.“

Spätestens am 23. September laufen die aktuellen Maßnahmen im Infektions­schutzgese­tz aus. Vor einer Entscheidu­ng über die Regeln für den Herbst will Justizmini­ster Marco Buschmann (FDP) zunächst die bis Ende Juni geplante wissenscha­ftliche Beurteilun­g der bisherigen Corona-Schutzmaßn­ahmen abwarten: „Zwischen dem 30. Juni und dem Ende der Sommerpaus­e werden wir gemeinsam mit den Ländern beraten, was zu tun ist.“

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TOBIAS HASE / DPA Kommt die Maskenpfli­cht zurück? Im März 2021 weist ein Schild in der Münchner Innenstadt die Passanten darauf hin, Mund und Nase zu bedecken.

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