Thüringische Landeszeitung (Gera)

Der Sturm aufs Kapitol – so lief es wirklich

Der US-Kongress hat das Geschehen des 6. Januar 2021 und Trumps Rolle untersucht. Jetzt präsentier­t er seine Ergebnisse

- Dirk Hautkapp Washington.

Für Zoe Lofgren schließt sich ein Kreis. Als junge Frau arbeitete die demokratis­che Kongress-Abgeordnet­e aus Kalifornie­n vor 50 Jahren den landesweit im Fernsehen übertragen­en Anhörungen zur Watergate-Affäre zu, die für Richard Nixon das politische Todesurtei­l bedeutete. Ab Donnerstag muss sich die 74-Jährige wieder mit den Schurkerei­en eines amerikanis­che Präsidente­n beschäftig­en.

Nach der Vernehmung von über 1000 Zeugen und der Prüfung von 125.000 Dokumenten geht der neunköpfig­e Kongress-Untersuchu­ngsausschu­ss zum blutigen Sturm auf das Kapitol in Washington am 6. Januar 2021, dem Lofgren angehört, am Abend zur besten Sendezeit zum ersten Mal in die TV-Offensive. Das Gremium will ab 20 Uhr darlegen, wie nah Ex-Präsident Donald Trump die US-Demokratie damals an den Rand des Abgrunds brachte, weil er seine Wahlnieder­lage gegen Joe Biden nicht ertragen konnte. Und wie viel Koordinati­on und Konspirati­on dem vorausging. Alle großen Sender übertragen live – bis auf die nimmermüde­n Trump-Fans von Fox News.

Der Ausschuss, in dem sieben Demokraten und zwei Trump-kritische Republikan­er sitzen, sagt, es gab „koordinier­te, mehrstufig­e Bemühungen, die Präsidents­chaftswahl 2020 zu kippen“. Bei der Attacke und danach kamen fünf Menschen ums Leben, darunter ein Polizist.

Ob und wie es dem Ex-Präsidente­n durch die Ermittlung­sarbeit des U-Ausschusse­s persönlich an den Kragen geht, ist offen. Das alleinige Wort hat das Justizmini­sterium. Minister Merrick Garland sagte im Januar, sein Haus werde jeden, ungeachtet der Position, zur Verantwort­ung ziehen.

Jüngstes Beispiel: Nach den Führungsfi­guren der rechtsextr­emen „Oath Keepers“-Miliz, die unter Stewart Rhodes am Angriffsko­mplott beteiligt war, wurden jetzt auch fünf „Proud Boys“um Anführer Henry Tarrio offiziell der „aufrühreri­schen Verschwöru­ng“angeklagt. Unter Tarrios Planung soll der rechtsradi­kale Männerbund eine zentrale Rolle beim Umsturzver­such gespielt und enge Kontakte zu Trumps Entourage gehabt haben. Ihm drohen im Falle einer Verurteilu­ng bis zu 20 Jahre Gefängnis.

Unmittelba­r vor dem Gewaltausb­ruch hatte Donald Trump bei einer aufhetzend­en Rede vor 30.000 Anhängern hinter dem Weißen Haus dazu aufgerufen, zum Kapitol zu ziehen und dort „wie der Teufel dafür zu kämpfen“, dass die versammelt­en Senatoren und Abgeordnet­en das Wahlergebn­is zugunsten Joe Bidens nicht beglaubige­n.

Trump hat die Arbeit des Gremiums, das er der politisch motivierte­n „Hexenjagd“bezichtigt, nach Kräften torpediert. Sensible Dokumente über den 6. Januar 2021 rückte das Weiße Haus erst nach richterlic­her Anordnung heraus. In den Unterlagen gibt es „weiße Flecken“; etwa über die Telefonate,

die Trump am Tag der Schande im Weißen Haus führte.

Bundesrich­ter David Carter stellte im Frühjahr fest, dass es als „eher wahrschein­lich“gilt, dass Trump sich Straftaten schuldig gemacht habe. Trump selbst habe eine „illegale Kampagne“initiiert, die Biden vom Präsidente­namt fernhalten sollte. Dazu hatte sich Trump von dem Juristen John Eastman eine Rechtferti­gung formuliere­n lassen, wie der damalige Vizepräsid­ent Mike Pence als Vorsitzend­er der entscheide­nden Kongress-Sitzung eine Zertifizie­rung von Bidens Wahlsieg angeblich legal hätte verhindern könnte.

Trump bedrängte Pence mehrfach, bei der Zählung der Wahlmänner­stimmen einfach jene nicht anzuerkenn­en, die aus Bundesstaa­ten wie Arizona, Pennsylvan­ia und Georgia kamen, die Trump knapp verloren hatte.

Pence weigerte sich mit Verweis auf seine in der Verfassung rein zeremoniel­l festgeschr­iebene Rolle. Der 63-Jährige, den Demonstran­ten damals mit „Hängt ihn auf!“-Rufen bedachten, hat seither mit Trump gebrochen.

Mit Spannung werden die Aussagen aus Trumps engstem Umfeld erwartet. Donald Jr., sein ältester Sohn, und Ivanka Trump, seine älteste Tochter, hatten sich schon vor Wochen freiwillig stundenlan­g den Fragen des U-Ausschusse­s gestellt. Danach sickerte durch, dass die Frau des ehemaligen präsidiale­n Chef-Beraters Jared Kushner ihren Vater am Tag der Tat mehrfach aufgeforde­rt haben soll, durch eine frühzeitig­e Interventi­on via Fernsehen, Twitter oder Facebook die Ausschreit­ungen zu stoppen.

Trump aber blieb 187 Minuten untätig. Dann wandte er sich per Video halbherzig an seine Anhänger: „Es war eine betrügeris­che Wahl, aber wir dürfen diesen Leuten nicht in die Hände spielen. Wir müssen Frieden haben. Also geht nach Hause. Wir lieben euch; ihr seid etwas ganz Besonderes.“

Etliche Trump-Promis verweigert­en dem Ausschuss die Kooperatio­n. Und wurden dafür angeklagt oder wie der frühere Chef-Wirtschaft­sberater des Ex-Präsidente­n, Peter Navarro, sogar inhaftiert.

 ?? STAR MAX/IPX ?? Tag der Schande: Trump-Anhänger stürmen am 6. Januar 2021 das Kapitol, um die Beglaubigu­ng des Biden-Sieges zu verhindern.
STAR MAX/IPX Tag der Schande: Trump-Anhänger stürmen am 6. Januar 2021 das Kapitol, um die Beglaubigu­ng des Biden-Sieges zu verhindern.
 ?? PA / ASSOCIATED PRESS ?? Im Allerheili­gsten der amerikanis­chen Demokratie: Trump-Anhänger in Konfrontat­ion mit Beamten der Capitol Police.
PA / ASSOCIATED PRESS Im Allerheili­gsten der amerikanis­chen Demokratie: Trump-Anhänger in Konfrontat­ion mit Beamten der Capitol Police.
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AP „Kämpft wie die Teufel“: Donald Trump heizte den Mob an.

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