Thüringische Landeszeitung (Gera)
Lindner will neue Debatte über Atomkraft
Finanzminister will über Bau neuer Reaktoren sprechen – hat aber selbst große Zweifel
„Zur Atomenergie ist nicht mehr viel zu sagen“– für Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ist das Thema nach jahrelangen Diskussionen über den Atomausstieg vom Tisch. Ende 2022 gehen die letzten drei Meiler Emsland, Neckarwestheim 2 und Isar 2 vom Netz. Und dann? Sollte sich Deutschland bei der Atomenergie „einer Debatte nicht verschließen, die überall auf der Welt geführt wird“, fordert Finanzminister Christian Lindner (FDP) in der „Bild“. Wegen des Klimaschutzes und der Energieabhängigkeit von Russland sollten alle Möglichkeiten erwogen werden, sagte er.
Aber selbst Lindner ist skeptisch. Wirtschaftlich sei er noch nicht überzeugt, dass sich Investitionen in Kernkraft rechneten. Aber er rate dazu, „die Argumente vorurteilsfrei auf den Tisch zu legen“. Die letzten drei Meiler deckten im ersten Quartal 8,6 Prozent des Strombedarfs.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte im Februar angekündigt, das Land wolle sechs neue Atomkraftwerke bauen, bis 2050 könnten acht weitere folgen. Doch beim Bau neuer Meiler in Europa hat es zuletzt massive Verzögerungen und Kostensteigerungen gegeben.
Daher betont am Donnerstag der Grünen-Politiker Stefan Wenzel, Sprecher für nukleare Sicherheit, Atomkraftwerke seien in vielerlei
Hinsicht ein Unsicherheitsfaktor und die teuerste Art der Energieerzeugung. „Der Atomausstieg bleibt der logische Schritt, das haben wir im Koalitionsvertrag gemeinsam bestätigt.“
Aber könnten die drei deutschen Reaktoren über den Jahreswechsel hinaus weiterlaufen, falls im Winter das Erdgas knapp wird? Grundsätzlich ja. „Wir haben in den vergangenen Wochen klargemacht, dass ein Weiterbetrieb von Isar 2 unter gewissen Voraussetzungen möglich wäre, wenn unser Kraftwerk gebraucht würde“, sagt eine Sprecherin der Eon-Tochter Preussenelektra unserer Redaktion. „Dabei haben wir betont, dass ein Weiterbetrieb einen gewissen zeitlichen Vorlauf benötigt.“Im März hatte die Bundesregierung die Option geprüft und verworfen. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Ein kategorisches Nein kommt auch nicht von RWE, aber: „Das Kernkraftwerk Emsland in Lingen ist auf den Auslaufbetrieb zum Ende des Jahres ausgerichtet“, teilt der Versorger mit. „Ein Weiterbetrieb über den 31.12.2022 hinaus wäre mit hohen Hürden technischer als auch genehmigungsrechtlicher Natur verbunden.“
Bei EnBW heißt es dagegen klar zu Neckarwestheim 2: „Die EnBW hat nach dem Ausstiegsbeschluss im Jahr 2011 eine langfristige Strategie für den Rückbau ihrer Kernkraftwerke ausgearbeitet, die sie seither konsequent umsetzt.“