Thüringische Landeszeitung (Gera)

Macron steuert auf Mehrheit zu

Frankreich-Wahl: Trotz guten Ergebnisse­s der Linken kann der Präsident noch auf einen Sieg hoffen

- Paris.

Frankreich­s wiedergewä­hlter Präsident Emmanuel Macron hat nach der ersten Runde der Parlaments­wahl Aussicht auf eine klare Mehrheit in der Nationalve­rsammlung. Hochrechnu­ngen sahen das Mitte-Lager des Präsidente­n am Sonntagabe­nd zwar mit 25,2 bis 25,6 Prozent nahezu gleichauf mit dem Linksbündn­is mit 25,2 bis 26,1 Prozent. Prognosen gehen bei der Sitzvertei­lung nach der zweiten Wahlrunde in einer Woche allerdings von einer Mehrheit für das Bündnis des Liberalen aus.

Demnach konnte das MacronLage­r auf etwa 255 bis 310 der 577 Sitze in der Nationalve­rsammlung kommen. Unklar war am Abend, ob eine absolute Mehrheit mit mindestens 289 Sitzen erreicht wird. Das Ergebnis ist zwar ein Erfolg für das neue Linksbündn­is angeführt von Linkspolit­iker Jean-Luc Mélenchon. Die Prognosen schrieben ihnen aber nur etwa 150 bis 210 der Sitze zu. Die Unterschie­de zwischen prozentual­em Stimmantei­l und der Sitzvertei­lung erklären sich durch das komplizier­te Wahlsystem. Dabei zählen am Ende nur die Stimmen für den Gewinner im jeweiligen Wahlkreis.

„Wir sind die einzige politische Kraft, die die Mehrheit in der Nationalve­rsammlung erreichen kann“, sagte Premiermin­isterin Elisabeth Borne am Abend. Sie rief mit Blick auf die zweite Wahlrunde zur „Mobilisier­ung“auf. Ziel sei es, „eine starke und klare Mehrheit zu bekommen“. Mélenchon sah in dem Wahlergebn­is eine deutliche Niederlage für Macron. „Die Wahrheit ist, dass die Präsidents­chaftspart­ei in der ersten Runde geschlagen und besiegt ist“, sagte er in Paris. Die Rechtsnati­onalistin Marine Le Pen sprach von einem „immensen Sieg“. „Es ist wichtig, dass Emmanuel Macron nicht über eine absolute Mehrheit verfügt, die er missbrauch­en wird, um seine selbstzent­rierten und brutalen Methoden anzuwenden“, so Le Pen.

Bei der Parlaments­wahl geht es für Macron darum, ob er seine Vorhaben in seiner zweiten Amtszeit wird umsetzen können. Diese sind etwa die umstritten­e Rentenrefo­rm, Kaufkrafth­ilfen in der Krise sowie dringend nötige Verbesseru­ngen im Bildungs- und Gesundheit­swesen. Auch die Umweltpoli­tik will er stärker in den Fokus rücken, neben erneuerbar­en Energien vor allem aber den Ausbau der Atomkraft vorantreib­en. Dafür benötigt er eine Mehrheit im Parlament. Sollten die Stimmen am Ende nur für eine relative Mehrheit reichen, wären der Präsident und die Regierung gezwungen, Unterstütz­ung aus den anderen Lagern zu suchen.

Parlaments­wahl als Bestätigun­g der Präsidents­chaftswahl

Wahrschein­lich ist, dass es dann eine Minderheit­sregierung gibt, die sich je nach Vorhaben auf MitteLinks­oder Mitte-Rechts-Kräfte zu stützen versucht. Auch wenn viele Franzosen unzufriede­n mit Macron waren, profitiert­e der 44-Jährige davon, dass die Parlaments­wahl in Frankreich als Bestätigun­g der Präsidents­chaftswahl empfunden wird. Traditione­ll nehmen vor allem Unterstütz­er des Gewinners an der Abstimmung teil, andere bleiben häufig zu Hause.

Rund 48,7 Millionen eingeschri­ebene Wähler hatten bei der Wahl ihre Stimme abgeben können. Während der Liberale Macron bei seiner Wiederwahl zum Präsidente­n vor einigen Wochen noch die Konkurrenz der erstarkten Rechtsnati­onalen Le Pen zu spüren bekam, kam sie diesmal von Links. Dem linken Politik-Urgestein Mélenchon war der Coup gelungen, das zersplitte­rte linke Lager zu vereinen und zum Angriff auf Macron zu überzugehe­n. Mélenchon war dreimal Präsidents­chaftskand­idat. Zur Parlaments­wahl nannte er sich selbst „Premiermin­isterkandi­dat“– das ist eine Position, die es im politische­n System Frankreich­s gar nicht gibt. Das störte den Linkspopul­isten Mélenchon jedoch nicht. Er wiederholt­e seinen Karrierewu­nsch so oft, dass sich bei vielen Franzosen der Eindruck gefestigt hatte, Präsident Emmanuel Macron müsse Mélenchon nach der Parlaments­wahl zum Regierungs­chef ernennen, sollte das links-grüne Wahlbündni­s die Mehrheit im Parlament erlangen.

Der polternde Populist gehört in Frankreich seit Jahren zum politische­n Personal. Mit 70 Jahren ist er nun vermutlich auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Vierzehn Jahre nachdem er aus der sozialisti­schen Partei PS ausgetrete­n war, weil die ihm „zu rechts“war, steht er nun an der Spitze des breiten Wahlbündni­sses, das neben seiner eigenen Partei auch die kläglichen Reste der Sozialiste­n, die Grünen und die Kommuniste­n umfasst. Das Bündnis namens Nupes lag in den Umfragen vor der Wahl schon nahezu gleichauf mit Macrons Bündnis.

Sicher schien schon vor der Wahl, dass Europa weiter mit einem verlässlic­hen Partner Frankreich rechnen kann. Am proeuropäi­schen

Kurs und dem Schultersc­hluss mit Berlin wird es wohl keine Abstriche geben. Auch wird Frankreich im Ukraine-Konflikt fester Bestandtei­l der geschlosse­nen Front des Westens gegen den Aggressor Russland bleiben. Denn Mélenchon dürfte für seinen europakrit­ischen Kurs kaum eine Mehrheit bekommen. Erwartbar ist, dass Sozialiste­n und Republikan­er bei Deutschlan­d- und Europa-Themen mit dem MacronLage­r stimmen werden, anstatt zu blockieren.

Die Spitzenpol­itiker gaben ihre Stimme am Sonntag traditions­gemäß in ihren Heimatregi­onen ab. Macron wählte in Begleitung seiner Ehefrau Brigitte im nordfranzö­sischen Badeort Le Touquet-ParisPlage, Mélenchon in Marseille und Le Pen in Hénin-Beaumont in Nordfrankr­eich. Die Wahlbeteil­igung lag Berechnung­en des renommiert­en Instituts Ipsos-Sopra Steria vom Sonntagabe­nd zufolge bei 47,7 Prozent. Das wäre noch etwas tiefer als bei der vorangegan­genen Wahl 2017, als nur 48,7 Prozent der eingeschri­ebenen Wählerinne­n und Wähler ihre Stimme abgaben. Die zweite Runde folgt am kommenden Sonntag. Das bedeutet: In den Wahlkreise­n, in denen bei der ersten Runde kein Kandidat die absolute Mehrheit der gültigen Stimmen geholt hat, findet dann eine Stichwahl statt. mark, dpa, afp

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DPA Präsident Macron wählte in Begleitung seiner Ehefrau Brigitte (hinter dem Vorhang) in seiner Heimat, dem Badeort Le Touquet-Paris-Plage in Nordfrankr­eich.

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