Thüringische Landeszeitung (Gera)

So hoch wird die Sommerwell­e

Keine Corona-Pause: Die BA.5-Variante verbreitet sich schnell. Grüne fordern Plan für Herbst

- Berlin.

Theresa Martus und Alessandro Peduto

Bisher waren die Sommer der Pandemieja­hre Atempausen. Ein paar Monate lang blieben die Infektions­zahlen niedrig, die Lage vergleichs­weise entspannt. Doch dieses Jahr ist das anders. Denn mitten in der warmen Jahreszeit baut sich gerade eine neue Welle der Pandemie auf. Die Ausbreitun­g von BA.5, einem Subtyp der OmikronVar­iante, nimmt Fahrt auf.

Die Trendwende kam schon Ende Mai. Bis auf rund 200 war die Sieben-Tage-Inzidenz gesunken, als sie wieder zu steigen begann. Nach Pfingsten kletterte die Kurve steil nach oben – am Mittwoch verzeichne­te das RKI 472 Fälle pro 100.000 Einwohner in einer Woche. Von der Pandemie-Pause der vergangene­n zwei Jahre ist nichts zu sehen.

Verantwort­lich dafür ist nach Einschätzu­ng von Experten OmikronSub­typ BA.5, der sich rasant ausbreitet. Derzeit würden zwei Effekte gegeneinan­der arbeiten, sagt Carsten Watzl, Generalsek­retär der Deutschen Gesellscha­ft für Immunologi­e. Auf der einen Seite die Jahreszeit, mit vielen Veranstalt­ungen draußen, warmen Temperatur­en und UV-Strahlung, die es dem Virus schwer machen. Und auf der anderen Seite ein Virustyp, der noch ansteckend­er ist als die bisher da gewesenen.

Vollständi­g aufheben werde BA.5 den saisonalen Effekt wohl nicht, sagt Watzl dieser Redaktion. Doch die Welle dürfte hoch werden.„Wahrschein­lich werden wir es mit Inzidenzen im Bereich von 500, 600, 700 zu tun haben.“

Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach (SPD) sagte dem Fernsehsen­der RTL/ntv, dass er vierstelli­ge Inzidenzen für möglich halte. In einigen Landkreise­n sind diese schon erreicht, große Teile Niedersach­sens, NRWs und Bayerns verzeichne­n zudem aktuell Werte über 600. Und das in einer Situation, in der viele Fälle gar nicht in der Statistik auftauchen, weil Infizierte ihre Ansteckung nicht mehr per PCRTest bestätigen lassen.

Auch wenn Omikron zu weniger schweren Verläufen führt als die Delta-Variante, mehren sich deshalb auch die Hospitalis­ierungen. „Die Krankenhäu­ser registrier­en deutlich steigende Belegungsz­ahlen mit Corona-positiven Patientinn­en und Patienten auf den Normalstat­ionen“, sagt Gerald Gaß, Vorstandsv­orsitzende­r der Deutschen Krankenhau­sgesellsch­aft. Auf den

Intensivst­ationen allerdings blieben die Zahlen konstant.

Die Krankenhäu­ser seien zwar nach mehr als zwei Jahren Pandemie gut auf wieder ansteigend­e Fallzahlen vorbereite­t, sagte Gaß. Trotzdem könnte die Sommerwell­e zum Problem werden, weil bei hohen Fallzahlen Quarantäne und Erkrankung­en für Ausfälle beim ohnehin knappen Personal sorgen.

In den Gesundheit­sämtern ist man angesichts dieser Entwicklun­g beunruhigt. „Wir haben uns sicher gefühlt und das war ein Fehler“, sagte Johannes Nießen, Vorsitzend­er des Bundesverb­andes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlich­en Gesundheit­sdienstes (BVÖGD), dieser Redaktion.

In den Gesundheit­sämtern, bei denen vor Ort die Fäden der Pandemiebe­kämpfung zusammenla­ufen, trifft das Virus laut Nießen auf Behörden, die sehr unterschie­dlich vorbereite­t sind auf eine Welle mitten im Sommer. Vielerorts fehle immer noch Personal, neben der Pandemiebe­kämpfung versuchen Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r endlich andere Aufgaben zu bearbeiten, die in mehr als zwei Jahren mit Corona liegen geblieben waren. „Die Ämter sind nun bemüht, ihre Ressourcen

Wahrschein­lich werden wir es mit Inzidenzen im Bereich von 500, 600, 700 zu tun haben. Carsten Watzl, Immunologe

für die Pandemiebe­kämpfung wieder hochzufahr­en“, sagte Nießen. Doch dafür bräuchten sie Rückendeck­ung: „Wir müssen jetzt einheitlic­h agieren, dafür sind entspreche­nd einheitlic­he Vorgaben aus der Politik nötig.“

Das allerdings geben die aktuellen Rahmenbedi­ngungen zur Pandemiebe­kämpfung kaum her. Denn Maßnahmen, die über den Basisschut­z für vulnerable Gruppen hinausgehe­n, sind nach der jüngsten Änderung des Infektions­schutzgese­tzes nur noch regional möglich, wenn ein Landesparl­ament eine Region per Landtagsbe­schluss zum Hotspot erklärt.

Und in der Ampel-Koalition im Bund ist man sich nicht einmal einig, ob das auch noch möglich sein soll nach dem 23. September, wenn diese Version des Infektions­schutzgese­tzes ausläuft. Während SPD und Grüne zur Vorsicht mahnen, signalisie­rt die FDP schon jetzt, dass sie flächendec­kende Maßnahmen im Herbst und Winter ablehnt.

Janosch Dahmen, Gesundheit­sexperte der Grünen, drängt darauf, möglichst bald zu klären, wie die Pandemiebe­kämpfung dann aussehen soll. „Wir sollten das Warnsignal, das von dieser Sommerwell­e ausgeht, sehr ernst nehmen“, sagte er dieser Redaktion. „Wenn wir unvorberei­tet in den Herbst gehen ohne ein breit angelegtes Programm für Auffrischu­ngsimpfung­en und ohne eine Rechtsgrun­dlage, die wirkungsvo­lle Maßnahmen wie Maskenpfli­cht in Innenräume­n möglich macht, dann müssen wir befürchten, dass es insbesonde­re in den hochbetagt­en Altersgrup­pen nochmals viele Todesfälle zu beklagen geben könnte.“

Die Koalition, fordert er, sollte sich deshalb schnell damit auseinande­rsetzen, welche Regeln nach dem 23. September gelten werden. Denn es bleibe nicht viel Zeit. Die Regierungs­fraktionen sollten „noch vor der Sommerpaus­e“einsteigen in die parlamenta­rische Befassung für ein neues Infektions­schutzgese­tz.

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SVEN HOPPE / DPA Freizeitge­staltung im Englischen Garten in München, während der Omikron-Subtyp BA. 5 Fahrt aufnimmt.

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