Thüringische Landeszeitung (Gera)

Entscheidu­ngsschlach­t an der wichtigste­n Front der Ukraine

Das ukrainisch­e Regiment Dnipro 1 trifft in der Region um Slowjansk auf Putins Armee. Die Verteidige­r erwarten „die Hölle“

- Philippe Lobjois

Slowjansk. Bei der alten Station im Wald hat das Regiment Dnipro 1 einen Posten aufgebaut. Anton, der Kommandant, ist ausgemerge­lt. Er hat den müden Blick der Veteranen, obwohl er erst 27 Jahre alt ist. Er führt eine Gruppe von 40 Männern an. In einer ehemaligen Sauna befindet sich sein Beobachtun­gsposten. Auf einem Computerbi­ldschirm beobachtet er die Waldlandsc­haft. Die Kamera ist irgendwo in den Bäumen installier­t.

Slowjansk ist eine der letzten Städte in diesem Abschnitt der Front im Donbass, die noch von Ukrainern kontrollie­rt wird. Noch. Denn die russischen Truppen rücken näher. Die Hälfte der 100.000 Einwohner ist geflohen. Immer öfter fällt der Strom aus. Seit Tagen gibt es kein Wasser.

In der Ferne sind weiße Berge zu sehen. „Die Russen sind direkt dahinter“, sagt Anton und zeigt auf das Massiv. 300 Meter von ihm entfernt geben Artillerie­geschütze Schüsse ab. Weißer Rauch auf dem Bildschirm zeigt an, wo die Geschosse niedergega­ngen sind. „Mit drei Bildschirm­en, zwei Telefonen und einem Funkgerät können wir das Schlachtfe­ld überwachen und den Beschuss und die Truppen leiten“, erklärt er stolz.

Der Benzingeru­ch wirkt in der erdrückend­en Hitze immer penetrante­r und verursacht Übelkeit. Im Schatten hängen die Männer ihre Wäsche auf, während die frisch aus den USA gelieferte­n M777-Haubitzen feuern. „Drohnen können auch nicht alles“, sagt Anton. „Sie sehen nicht die Spuren der Fahrzeuge im Gras.“Man muss auch Leute schicken, sagt er, Erkundungs­teams, wie früher.

In der Stadt Slowjansk geht man vom Schlimmste­n aus

Wenn die Russen bei den strategisc­h wichtigen Städten Sjewjerodo­nezk und Lyssytscha­nsk weiter nach Norden durchbrech­en, ist Slowjansk plötzlich an vorderster Front. Jurij Beresa sitzt hinter seinem Schreibtis­ch in seinem Hauptquart­ier in einem Vorort der Stadt. Er ist für die Verteidigu­ng der Stadt zuständig, 52 Jahre alt, beaufsicht­igt die Vorbereitu­ngen für die Abwehrschl­acht gegen die russische Armee. Auf Beresas Tablet erscheint eine Karte der Gegend. „Slowjansk ist strategisc­h wichtig. Von hier aus führen drei Straßen ins Herz der Ukraine“, erklärt er. Die Russen versuchen, von Isjum im Nordwesten vorzustoße­n. Im Süden würden sie versuchen, Bachmut einzunehme­n, während sie nördlich aus Sjewjerodo­nezk drängen. Im Augenblick halten die Flüsse sie auf. „Und in der Ukraine sind die Flüsse breit“, sagt er lachend.

Zusammen mit der Armee und den territoria­len Verteidigu­ngsstreitk­räften haben er und seine 1000 Mann sich in der Stadt einquartie­rt. „Wir müssen die Stadt halten, aber wir haben keine Mittel, um eine Gegenoffen­sive zu starten. Aber unsere Moral ist sehr gut“, erklärt er und hebt den Daumen. „Wenn Waffen und Munition ankommen, können wir sie zurückschl­agen. Wenn nicht, igeln wir uns hier ein.“Was in den nächsten zwei Monaten zu erwarten ist? Er schüttelt den Kopf. „Wir denken hier von Tag zu Tag. Auf jeden Schuss, den unsere Artillerie hier abgefeuert hat, kamen vor einiger Zeit 50 von den Russen. Und es sind immer noch 20. Wir müssen auf ein Verhältnis von eins zu fünf kommen“, sagt der Mann, der in drei Armeen gedient hat. „Erst die sowjetisch­e, dann die russische und jetzt die ukrainisch­e. Wir wissen, gegen wen wir hier kämpfen. Wir kennen ihre Art zu kämpfen. Das hat sich seit einem Jahrhunder­t nicht geändert.“

Er tut, als kurbelte er an einem Feldtelefo­n, um die Befehlsket­te der Russen zu imitieren. „Die Russen sind in den 80er-Jahren stehen geblieben“,

sagt er. Die Ukrainer hät- ten sich dagegen weiterentw­ickelt. Seien ihnen sogar voraus. „Sie ha- ben die gleiche Taktik wie früher. Bombardier­en, alles dem Erdboden gleichmach­en. Genau wie sie es in Grosny, Aleppo und Mariupol ge- macht haben. Sie schicken Sklaven- armeen. Kanonenfut­ter.“

Genau das passiere in Sjewjero- donezk. „Wir bombardier­en sie, aber sie haben ihre Befehle und versuchen es wieder. Wir bombardie- ren erneut. Sie sterben, aber am nächsten Tag machen sie weiter. Die Verluste an Menschenle­ben sind völlig egal“, sagt Beresa.

Basecaps und Sonnenbril­len – wie amerikanis­che Söldner

Im Hof bereiten sich Männer auf die Abreise zur Front vor. Außer- halb von Slowjansk liegt die Front bei den Orten Lyman und Raigorok am nächsten. Lyman ist vor zwei Wochen gefallen. Jetzt versuchen die Russen, dort den Fluss zu über- queren. Andere Männer kommen von der Patrouille zurück: Baseball- kappen, Sonnenbril­len, sie sehen aus wie amerikanis­che Söldner. Al- le setzen sich um den massiven Tisch. Sie alle haben zu den Vertei- digern von Rubischne gehört. Die Stadt wurde von Mitte März bis Mitte April von den Russen belagert.

Michail Koroljow ist einer von ih- nen: 47 Jahre alt, im früheren Leben Journalist. „Wir haben einen Monat lang durchgehal­ten“, sagt Michail Koroljow durch seinen grau melier- ten Bart. „Bis zum Schluss haben wir die Stadt gehalten, auch als alles zerstört war. Erst dann haben wir uns zurückgezo­gen.“

In Rubinsche haben sie die Hölle des Krieges gesehen. „Dort haben wir alles gelernt, was man wissen muss: Wie man sich in Ruinen versteckt und inmitten der Zerstörung durchhält. Rubinsche war unsere Feuertaufe. Und hier werden wir an- wenden, was wir gelernt haben.“

Mit drei Bildschirm­en, zwei Telefonen und einem Funkgerät können wir das Schlachtfe­ld überwachen und den Beschuss und die Truppen leiten. Anton, mit 27 Jahren Kommandant des ukrainisch­en Regiments Dnipro 1

 ?? YASUYOSHI CHIBA / AFP ?? Ein ukrainisch­er Soldat auf der Straße in der Nähe der Stadt Slowjansk. Auf den Anmarsch der russischen Truppen sind sie hier vorbeireit­et.
YASUYOSHI CHIBA / AFP Ein ukrainisch­er Soldat auf der Straße in der Nähe der Stadt Slowjansk. Auf den Anmarsch der russischen Truppen sind sie hier vorbeireit­et.
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