Thüringische Landeszeitung (Gera)
Selenskyjs lange Waffen-Wunschliste
Wer hält länger durch im Ukraine-Krieg? Kiew braucht mehr Militärhilfe, um bestehen zu können. Präsident kommt zu G7- und Nato-Gipfeln
Der Krieg um den Donbass ist eine Materialschlacht. Es läuft auf die Frage hinaus: Wer hält länger durch? Die Voraussetzungen sind grundverschieden: Das Arsenal der Invasoren ist schier unerschöpflich – und in Russland geschützt. Die Ukraine hat weniger Waffen, ihre Depots liegen zudem in Reichweite russischer Raketen. Präsident Wolodymyr Selenskyj hat eine lange Wunschliste, höchste Priorität: eine Raketenabwehr. Der Bedarf der Ukraine: 1000 Haubitzen, 300 Mehrfachraketenwerfer, 500 Kampfpanzer, 2000 bewaffnete Fahrzeuge, 1000 Drohnen.
Die Veröffentlichung dieser Liste folgt einem Kalkül: In Kiew stimmt man sich auf eine Visite der Regierungschefs von Deutschland, Frankreich und Italien ein; drei Staaten, die im Ruf stehen, viel versprochen, aber bisher wenig geliefert zu haben. Kiew hat zudem Informationen, wonach Russland weitere 120 Kriegstage einplant. Die Ukraine hat bisher nach eigenen Angaben nur ein Zehntel von dem erhalten, worum sie gebeten hatte. „Egal wie die Ukraine sich anstrengt, egal wie professionell unsere Armee ist, ohne Hilfe von Partnern werden wir diesen Krieg nicht gewinnen können“, warnt Vizeverteidigungsministerin Hanna Maljar.
Das amerikanische Institute for the Study of War zitiert den Vizechef des ukrainischen Nachrichtendienstes GUR, Vadym Skibitsky, wonach auf jedes ukrainische Artilleriegeschütz 10 bis 15 russische kämen. Der Westen aber zögert oder liefert nur unter Vorbehalt. So sagte US-Präsident Joe Biden Mehrfachraketenwerfer nur zu, wenn sie allein in der Ukraine zum Einsatz kommen. Die Ukraine darf also nicht Waffendepots in Russland angreifen. Sie selbst wird aber zum Opfer russischer Raketenangriffe.
Deutschland ist ein Beispiel dafür, warum sich Lieferungen hinziehen. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) verwies darauf, dass die Bundeswehr MarderPanzer selbst brauche. Die Ukraine kriegt nur, was die Truppe entbehren kann oder ausgemustert hat – wie den Gepard-Panzer. Der muss instand gesetzt, die Munition beschafft werden. Die Panzerhaubitze 2000 setzt eine wochenlange Ausbildung voraus. Und das von Kanzler Olaf Scholz (SPD) zugesagte Flugabwehrsystem Iris-T-SLM liegt nicht auf Lager.
In der Rangliste der Militärhilfen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft steht Deutschland – in Relation zur Wirtschaftskraft – nur auf Platz 14. Dazu passt, dass die Bundesregierung am Mittwoch erklärte, der Ukraine zunächst nur drei statt vier Mehrfachraketenwerfer vom Typ Mars II liefern zu wollen. Sie sei „an die Grenze“dessen gegangen, was sie leisten könne, ohne die Landesund Bündnisverteidigung zu gefährden, erklärte Verteidigungsministerin Lambrecht nach Beratungen der US-geführten Ukraine-Kontaktgruppe. Die Biden-Regierung dagegen sagte Kiew eine weitere Waffenlieferung im Umfang von einer Milliarde US-Dollar zu.
Selenskyj wird weiter für eine Steigerung der Militärhilfe kämpfen – Ende Juni auch bei den Gipfeln der G7 im bayerischen Elmau und der Nato in Madrid. Er nehme die Einladungen zu beiden Treffen an, twitterte er am Mittwochabend.