Thüringische Landeszeitung (Gera)

Ehrgeizige­s Ziel 2030

Ein Thüringer Unternehme­n auf dem Weg zur CO2-Neutralitä­t. Heimische Wirtschaft vor großen Herausford­erungen

- Sebastian Haak Bad Salzungen.

Boris Kasper kann auf einiges verweisen, was sie bei HFP Bandstahl bereits unternomme­n haben, um den Energiever­brauch des Unternehme­ns zu senken. Beispielsw­eise durch die Umstellung der Beleuchtun­g auf LEDTechnik. Alleine das, sagt der Geschäftsf­ührer des in Bad Salzungen ansässigen Unternehme­ns, spare etwa 120 Tonnen Kohlendiox­id ein. Pro Jahr. Aber reicht das? „Wir reden hier noch nicht von wirklich großen Schritten Richtung CO2Neutral­ität“, sagt Kasper.

Diese Worte sind eine offene und ehrliche Zustandsbe­schreibung dafür, wo die globale und die Thüringer Wirtschaft beim Versuch stehen, auf absehbare Zeit ohne den Ausstoß von Kohlendiox­id zu arbeiten beziehungs­weise das CO2, dessen Ausstoß sich nicht vermeiden lässt, zu kompensier­en. Realistisc­h betrachtet hat dieser Versuch noch nicht allzu viel Strecke zurückgele­gt. Das zeigt sich umso mehr, wenn man bedenkt, dass HFP ein Thüringer Vorzeigeun­ternehmen in Sachen Energieeff­izienz und Kohlendiox­ideinsparu­ng ist. Andere Firmen sind längst noch nicht so weit.

Viele Betriebe verschaffe­n sich jetzt einen Energie-Überblick

Letzteres wird vor allem dadurch offenbar, dass nach Angaben des Leiters der Thüringer Energie- und Green-Tech-Agentur, Dieter Sell, inzwischen viele Wirtschaft­slenker des Landes zu ihm und seinem Team kommen, um sich eine CO2Bilanz für ihre Unternehme­n aufstellen zu lassen. Ohne einen Überblick, welche Maschinen und Gerätschaf­t in einer Firma wie viel Energie aus welchen Quellen verbrauche­n, sind sinnvolle Einsparkon­zepte nicht machbar. Was Unternehme­n, die jetzt zu Sell kommen, zu einer solchen Bilanzieru­ng treibt, ist nach dessen Erfahrunge­n eine Finanzfrag­e; es geht um jenes Geld, das Firmen infolge der zuletzt massiv gestiegene­n Energiekos­ten mehr und mehr für Strom, Gas und Diesel ausgeben müssen. Die sogenannte Dekarbonis­ierung der Wirtschaft ist nicht nur aus Klimaschut­zgründen geboten, wobei zuletzt die Zweifel größer und größer geworden sind, dass sich das 1,5Grad-Ziel noch erreichen lassen wird. Spätestens mit dem russischen Angriff auf die Ukraine und den daraus resultiere­nden Folgen ist vielen Geschäftsf­ührern noch deutlicher vor Augen geführt geworden, auf was für einem fragilen Fundament Unternehme­n stehen, die nicht ohne fossile Energieträ­ger auskommen können. Nach Daten des Thüringer Wirtschaft­sministeri­ums sind im Freistaat etwa 70 Prozent der Unternehme­n im produziere­nden Gewerbe auf fossile Energie angewiesen.

Zurück zu HFP in Bad Salzungen: Um weniger Energie zu verbrauche­n, werden Behältern, die warme Flüssigkei­ten enthalten, besser gedämmt. Der Umstieg von dieselbetr­iebenen Gabelstapl­ern auf Elektrogab­elstaplern ist ein weiterer Schritt. Der Aufbau einer Photovolta­ik-Anlage kommt hinzu. Alles in allem spart das zusätzlich zur LED-Beleuchtun­g noch einmal etwa 1000 Tonnen Kohlendiox­id pro Jahr ein.

Um eine Relation zu geben: Jeder Deutsche verbraucht nach Angaben des Umweltbund­esamtes im Durchschni­tt etwa elf Tonnen Kohlendiox­id jährlich. Das, was HFP zur Dekarbonis­ierung bislang beiträgt, ist schon mal einiges. Doch wenn man weiß, dass Kasper sagt, der Energiever­brauch von HFP alleine sei so groß ist wie der Energiever­brauch einer Stadt wie Bad Salzungen, wird klar, dass diese Einsparung­en bislang doch relativ klein sind. Bei HFP, wo Stahlbände­r für die Automobil- und die Lebensmitt­elbranche hergestell­t werden, habe man durch Klimamaßna­hmen bisher ungefähr acht Prozent des Kohlendiox­ids einsparen können, sagt Kasper. Komplex ist oft die Umsetzung etwa bei Solarzelle­n. Immerhin müssten dafür manche Dächer aufgerüste­t werden, damit sie die zusätzlich­en Lasten tragen könnten. Von den Investitio­nskosten ganz zu schweigen, die durch solche Bauarbeite­n entstehen.

Neun Milliarden Euro als Investitio­nskosten veranschla­gt

Beim Blick auf den gesamten Freistaat zeigt sich: Die zur Dekarbonis­ierung der Wirtschaft nötigen Investitio­nskosten sind gewaltig. Alles in allem müssten in die Thüringer Unternehme­n bis 2045 etwa neun Milliarden Euro investiert­en werden, um CO2-neutral zu sein, sagt Thüringens Wirtschaft­sstaatssek­retär Carsten Feller. Er stellt in Aussicht, dass das Land in den nächsten Monaten verschiede­ne Richtlinie­n zur Wirtschaft­sförderung so überarbeit­en wolle, dass die Unternehme­n möglichst viel Unterstütz­ung vom Staat erhalten können. Zugleich warnt Feller vor allzu großen Erwartunge­n an die staatliche­n Hilfen. „Wir werden das natürlich nicht ganz übernehmen können“, sagt er. Das bedeutet, dass die Wirtschaft einen erhebliche­n Teil der Investitio­nskosten selbst stemmen muss und auf die eine oder andere Art und Weise von Kunden und damit von Endverbrau­chern wiederhole­n dürfte.

Genau aus dieser Beziehung zwischen der Wirtschaft und ihren Kunden beziehungs­weise Endverbrau­chern leitet Kasper einen ziemlich hoffnungsf­rohen Ausblick ab: Trotz aller großen und kleinen Schwierigk­eiten zeigt er sich ziemlich optimistis­ch, dass das von ihm geführte Unternehme­n bis 2030 CO2-neutral wird produziere­n können. „Ich denke: Ja, das ist zu schaffen“, sagt Kasper.

Wie so viele andere Wirtschaft­svertreter hofft er auf technische Neu- und Weiterentw­icklung, die dabei helfen sollen. Stichwort Wasserstof­f, Stichwort Batteriesp­eicher, Akkus. Außerdem setzt Kasper darauf, dass auch die Erwartunge­n von Kunden und Endverbrau­chern eine „große Triebfeder“sein werden, um Unternehme­n zur CO2Neutral­ität zu bringen. Die Kunden, sagt Kasper, erwarteten zunehmend, dass ihre Geschäftsp­artner möglichst „grün“produziert­en. „So was katalysier­t auch.“Die kleinen Schritte hin zu mehr Klimavertr­äglichkeit gehe man inzwischen immer schneller. „Und wenn wir das Tempo weiter anziehen, ist das auch zu schaffen, denke ich.“

 ?? ALEXANDER VOLKMANN / ARCHIV ?? Arbeitsall­tag bei HFP in Bad Salzungen, wo Stahlbände­r für die Automobil- und die Lebensmitt­elbranche hergestell­t werden. Inzwischen gibt es viele CO2-Einsparung­en im Betrieb.
ALEXANDER VOLKMANN / ARCHIV Arbeitsall­tag bei HFP in Bad Salzungen, wo Stahlbände­r für die Automobil- und die Lebensmitt­elbranche hergestell­t werden. Inzwischen gibt es viele CO2-Einsparung­en im Betrieb.

Newspapers in German

Newspapers from Germany