Thüringische Landeszeitung (Gera)
Ehrgeiziges Ziel 2030
Ein Thüringer Unternehmen auf dem Weg zur CO2-Neutralität. Heimische Wirtschaft vor großen Herausforderungen
Boris Kasper kann auf einiges verweisen, was sie bei HFP Bandstahl bereits unternommen haben, um den Energieverbrauch des Unternehmens zu senken. Beispielsweise durch die Umstellung der Beleuchtung auf LEDTechnik. Alleine das, sagt der Geschäftsführer des in Bad Salzungen ansässigen Unternehmens, spare etwa 120 Tonnen Kohlendioxid ein. Pro Jahr. Aber reicht das? „Wir reden hier noch nicht von wirklich großen Schritten Richtung CO2Neutralität“, sagt Kasper.
Diese Worte sind eine offene und ehrliche Zustandsbeschreibung dafür, wo die globale und die Thüringer Wirtschaft beim Versuch stehen, auf absehbare Zeit ohne den Ausstoß von Kohlendioxid zu arbeiten beziehungsweise das CO2, dessen Ausstoß sich nicht vermeiden lässt, zu kompensieren. Realistisch betrachtet hat dieser Versuch noch nicht allzu viel Strecke zurückgelegt. Das zeigt sich umso mehr, wenn man bedenkt, dass HFP ein Thüringer Vorzeigeunternehmen in Sachen Energieeffizienz und Kohlendioxideinsparung ist. Andere Firmen sind längst noch nicht so weit.
Viele Betriebe verschaffen sich jetzt einen Energie-Überblick
Letzteres wird vor allem dadurch offenbar, dass nach Angaben des Leiters der Thüringer Energie- und Green-Tech-Agentur, Dieter Sell, inzwischen viele Wirtschaftslenker des Landes zu ihm und seinem Team kommen, um sich eine CO2Bilanz für ihre Unternehmen aufstellen zu lassen. Ohne einen Überblick, welche Maschinen und Gerätschaft in einer Firma wie viel Energie aus welchen Quellen verbrauchen, sind sinnvolle Einsparkonzepte nicht machbar. Was Unternehmen, die jetzt zu Sell kommen, zu einer solchen Bilanzierung treibt, ist nach dessen Erfahrungen eine Finanzfrage; es geht um jenes Geld, das Firmen infolge der zuletzt massiv gestiegenen Energiekosten mehr und mehr für Strom, Gas und Diesel ausgeben müssen. Die sogenannte Dekarbonisierung der Wirtschaft ist nicht nur aus Klimaschutzgründen geboten, wobei zuletzt die Zweifel größer und größer geworden sind, dass sich das 1,5Grad-Ziel noch erreichen lassen wird. Spätestens mit dem russischen Angriff auf die Ukraine und den daraus resultierenden Folgen ist vielen Geschäftsführern noch deutlicher vor Augen geführt geworden, auf was für einem fragilen Fundament Unternehmen stehen, die nicht ohne fossile Energieträger auskommen können. Nach Daten des Thüringer Wirtschaftsministeriums sind im Freistaat etwa 70 Prozent der Unternehmen im produzierenden Gewerbe auf fossile Energie angewiesen.
Zurück zu HFP in Bad Salzungen: Um weniger Energie zu verbrauchen, werden Behältern, die warme Flüssigkeiten enthalten, besser gedämmt. Der Umstieg von dieselbetriebenen Gabelstaplern auf Elektrogabelstaplern ist ein weiterer Schritt. Der Aufbau einer Photovoltaik-Anlage kommt hinzu. Alles in allem spart das zusätzlich zur LED-Beleuchtung noch einmal etwa 1000 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr ein.
Um eine Relation zu geben: Jeder Deutsche verbraucht nach Angaben des Umweltbundesamtes im Durchschnitt etwa elf Tonnen Kohlendioxid jährlich. Das, was HFP zur Dekarbonisierung bislang beiträgt, ist schon mal einiges. Doch wenn man weiß, dass Kasper sagt, der Energieverbrauch von HFP alleine sei so groß ist wie der Energieverbrauch einer Stadt wie Bad Salzungen, wird klar, dass diese Einsparungen bislang doch relativ klein sind. Bei HFP, wo Stahlbänder für die Automobil- und die Lebensmittelbranche hergestellt werden, habe man durch Klimamaßnahmen bisher ungefähr acht Prozent des Kohlendioxids einsparen können, sagt Kasper. Komplex ist oft die Umsetzung etwa bei Solarzellen. Immerhin müssten dafür manche Dächer aufgerüstet werden, damit sie die zusätzlichen Lasten tragen könnten. Von den Investitionskosten ganz zu schweigen, die durch solche Bauarbeiten entstehen.
Neun Milliarden Euro als Investitionskosten veranschlagt
Beim Blick auf den gesamten Freistaat zeigt sich: Die zur Dekarbonisierung der Wirtschaft nötigen Investitionskosten sind gewaltig. Alles in allem müssten in die Thüringer Unternehmen bis 2045 etwa neun Milliarden Euro investierten werden, um CO2-neutral zu sein, sagt Thüringens Wirtschaftsstaatssekretär Carsten Feller. Er stellt in Aussicht, dass das Land in den nächsten Monaten verschiedene Richtlinien zur Wirtschaftsförderung so überarbeiten wolle, dass die Unternehmen möglichst viel Unterstützung vom Staat erhalten können. Zugleich warnt Feller vor allzu großen Erwartungen an die staatlichen Hilfen. „Wir werden das natürlich nicht ganz übernehmen können“, sagt er. Das bedeutet, dass die Wirtschaft einen erheblichen Teil der Investitionskosten selbst stemmen muss und auf die eine oder andere Art und Weise von Kunden und damit von Endverbrauchern wiederholen dürfte.
Genau aus dieser Beziehung zwischen der Wirtschaft und ihren Kunden beziehungsweise Endverbrauchern leitet Kasper einen ziemlich hoffnungsfrohen Ausblick ab: Trotz aller großen und kleinen Schwierigkeiten zeigt er sich ziemlich optimistisch, dass das von ihm geführte Unternehmen bis 2030 CO2-neutral wird produzieren können. „Ich denke: Ja, das ist zu schaffen“, sagt Kasper.
Wie so viele andere Wirtschaftsvertreter hofft er auf technische Neu- und Weiterentwicklung, die dabei helfen sollen. Stichwort Wasserstoff, Stichwort Batteriespeicher, Akkus. Außerdem setzt Kasper darauf, dass auch die Erwartungen von Kunden und Endverbrauchern eine „große Triebfeder“sein werden, um Unternehmen zur CO2Neutralität zu bringen. Die Kunden, sagt Kasper, erwarteten zunehmend, dass ihre Geschäftspartner möglichst „grün“produzierten. „So was katalysiert auch.“Die kleinen Schritte hin zu mehr Klimaverträglichkeit gehe man inzwischen immer schneller. „Und wenn wir das Tempo weiter anziehen, ist das auch zu schaffen, denke ich.“