Thüringische Landeszeitung (Gera)
Gegen Rückforderung an Bedürftige
Bund: Hartz-IV-Empfänger müssen Differenz zu ersetzten Schülermonatskarten nicht erstatten
Das Bundesarbeitsministerium hat Länder und Kommunen aufgefordert, keine Gelder von Hartz-IV-Empfängern im Zusammenhang mit dem 9-Euro-Ticket zurückzufordern. „Das 9-Euro-Ticket soll allen Menschen in Deutschland zugutekommen und sie angesichts der aktuellen Preisentwicklung finanziell entlasten“, hieß es in einem Schreiben von Staatssekretärin Leonie Gebers an die Sozialministerien der Länder.
„Im Übrigen würde eine Rückforderung von bereits zuvor erbrachten Leistungen aus dem Bildungspaket nicht nur für die Jobcenter zu einem übermäßigen Verwaltungsaufwand führen“, erklärte Gebers. Das Papier liegt dieser Zeitung vor.
Hintergrund ist, dass in vielen Ländern die Jobcenter die Kosten für die Monatskarten von Schülern aus armen Familien übernehmen. Dabei geht es teilweise um monatliche Kosten zwischen 40 und 50 Euro.
Diese Monatskarten werden allerdings nun für Juni, Juli und August durch das 9-Euro-Ticket, das neben den Regionalbahnen auch im öffentlichen Nahverkehr gilt, de facto ersetzt. Das Internetportal Hartz-IV.org hatte zuerst darüber berichtet, dass unter anderem Baden-Württemberg dies als „unge(BMAS) rechtfertigte Bereicherung“einschätze und den Differenzbetrag zurückfordern wolle. Laut den entsprechenden Paragrafen in den Sozialgesetzbüchern II und XII sei die Rechtslage aus Sicht des zuständigen Ministeriums eindeutig.
Dies beurteilt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales
unter Hubertus Heil (SPD) völlig anders. „Aufgrund entsprechender Anfragen aus dem Kreis der Länder hat meine Fachebene […] am 3. Juni 2022 die bei Ihnen fachlich zuständigen Kolleginnen und Kollegen sowie die kommunalen Spitzenverbände über die Rechtsauffassung des BMAS informiert“, erklärte Staatssekretärin Gebers. „Danach ist die Differenz nicht zurückzufordern.“Es sei „im Interesse der Betroffenen als auch der Jobcenter“, wenn „eine einheitliche Vorgehensweise“zugunsten der Hartz-IV-Empfänger möglich sei.
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) begrüßte den Inhalt des Schreibens. „Ich bin über die Klarstellung durch das Ministerium von Hubertus Heil dankbar“, sagte er dieser Zeitung. „Es ist zwar ärgerlich, dass es zu dieser Verunsicherung kam – aber es war offenbar keine Absicht.“Der Vorgang belege erneut, dass „Gutgemeintes durch das Kleingedruckte kontraproduktiv wirken“könne, sagte der Regierungschef.
Auch die Thüringer Sozial- und Arbeitsministerin Heike Werner (Linke) zeigte sich auf Anfrage erleichtert. „Kinder und Jugendliche aus einkommensschwachen Familien dürfen nicht die Verliererinnen und Verlierer der Aktion sein“, sagte sie dieser Zeitung.