Thüringische Landeszeitung (Gera)

Tödlicher Kampf um den Amazonas

Fast 140 Umweltakti­visten sind seit 2009 im Streit um die illegale Nutzung des Regenwalde­s in Brasilien ermordet worden. Der jüngste Fall ruft sogar Präsident Jair Bolsonaro auf den Plan

- Klaus Ehringfeld Mexico-Stadt.

Es war am Mittwoch, als aus der Furcht langsam Gewissheit wurde. Einer der zwei Verdächtig­en gestand nach tagelangen Verhören, den britischen Reporter Dom Phillips und seinen brasiliani­schen Begleiter Bruno Pereira ermordet zu haben. Er führte die Ermittler tief im Urwald zu der Stelle, wo die beiden Opfer verscharrt worden sein sollen. Die dort gefundenen Leichen wurden am Donnerstag obduziert, um ihre Identität zweifelsfr­ei festzustel­len.

Zu den Motiven der Tat machte der geständige Täter Amarildo da Costa (41) zunächst keine Angaben. Es ist aber bekannt, dass er zuvor mit Pereira in Streit geraten war. Der brasiliani­sche Umwelt- und Amazonasex­perte war zuvor mehrfach schon ins Visier der Mafia und von Kriminelle­n geraten, weil er immer wieder Invasionen in die Indigeneng­ebiete dokumentie­rte. Angeblich wollten Phillips und er auch jetzt Eindringli­nge anzeigen. Sie waren kurz vor ihrem Verschwind­en auf illegale Fischer im Reservat getroffen. Es kam zu einer Konfrontat­ion, nachdem Phillips die Vorkommnis­se gefilmt hatte.

Gewalt ist im Amazonasge­biet schon lange an der Tagesordnu­ng, hat sich aber unter der Regentscha­ft von Präsident Jair Bolsonaro seit 2019 massiv verschärft. Betroffen sind vor allem Einheimisc­he. Von 2009 bis 2020 gab es 139 Morde an Umweltakti­visten und -verteidige­rn im Amazonasge­biet – wie aus den Daten des Journalism­usprojekts „Land of Resistance“hervorgeht. Allerdings richtete sich fast keiner dieser Angriffe gegen brasiliani­sche Regierungs­beamte oder Journalist­en. 2019 wurde ein Regierungs­mitarbeite­r erschossen, offenbar als Vergeltung für seine Arbeit zur Bekämpfung illegaler Aktivitäte­n im Javari-Tal, wo Phillips und Pereira auch jetzt unterwegs waren.

Das Verschwind­en der beiden Männer am 5. Juni und ihr möglicher Tod und vor allem das, was es über den Zustand des Amazonas’ aussagt, sind in dem südamerika­nischen Land ein riesiges Thema. Selbst Bolsonaro meldete sich mit wenig Hoffnung zu Wort. „Die Suche geht weiter. Aber die Anzeichen deuten darauf hin, dass ihnen etwas Böses zugestoßen ist.“Gefundene Leichentei­le würden gerade auf DNA-Übereinsti­mmungen untersucht. „Es wird sehr schwierig sein, sie lebend zu finden“, unterstric­h Bolsonaro am Montagaben­d. Noch Tage zuvor hatte der Staatschef mit Zynismus und Abwertung auf die

Reise der beiden in die komplizier­te Region reagiert und sie als unvorsicht­ige Abenteurer verunglimp­ft. Es ist bekannt, dass Bolsonaro sich eher als Anwalt von Goldsucher­n, Holzfäller­n und Viehzüchte­rn sieht denn als Vertreter der Umweltschü­tzer.

Der 57 Jahre alte Phillips, der seit 2007 im Land lebt und zum Korrespond­ententeam der britischen Tageszeitu­ng „Guardian“gehört, und sein 41 Jahre alter Begleiter waren ganz im Westen der Urwaldregi­on unterwegs, dort, wo sich Brasilien, Peru und Kolumbien treffen und beide für ein Buchprojek­t recherchie­rten. Die Region ist einer der unberührte­sten Teile des Dschungels. Hier leben auf einem Territoriu­m der Größe Österreich­s kaum 6000 Menschen, darunter mehr als ein Dutzend unkontakti­erte Völker oder Indigene, die kaum Verbindung zur Außenwelt haben. Und Phillips und Pereira wollten recherchie­ren, wie deren Lebensraum durch illegale Abholzung, Brandrodun­gen, Viehzucht, Fischfang im großen Stil, Goldsucher, Hasardeure und letztlich auch die Drogenmafi­a immer weiter bedroht wird.

Am Sonntagfrü­h vor einer Woche hatten sie sich vom Indigenenr­eservat Vale do Javari aus über Flüsse auf den Weg in die 72 Kilometer entfernte Stadt Atalaia do Norte am Rio Javari gemacht. Dort aber sind sie nie eingetroff­en. Danach wurde Amarildo da Costa in Untersuchu­ngshaft genommen, der laut Zeugenauss­agen den beiden Verschwund­enen in einem Schnellboo­t nach ihrem Aufbruch in dem Reservat folgte. Die Polizei fand in seinem Boot Blut und bestätigte, dass er in der Vergangenh­eit schon indigene Führer bedroht habe. Am Dienstag wurde dessen Zwillingsb­ruder Oseney ebenfalls festgenomm­en.

Sollte sich die Befürchtun­g bestätigen, dass Phillips und Pereira einem Verbrechen zum Opfer fielen, dann wird ihr Fall ein noch größeres Politikum als ohnehin schon. Direkte physische Angriffe auf Korrespond­enten gab es noch nie in Brasilien – trotz der diffamiere­nden rhetorisch­en Attacken des radikal rechten Präsidente­n gegen die Medien.

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EDMAR BARROS / DPA Polizisten haben in Atalaia do Norte im brasiliani­schen Bundesstaa­t Amazonas menschlich­e Überreste geborgen. Handelt es sich um die Leichen des einheimisc­hen Umweltakti­visten Bruno Pereira und des britischen Journalist­en Dom Phillips?
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AFP (2) Verschwund­en: Amazonasex­perte Bruno Pereira (l.) und Reporter Dom Phillips.
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