Thüringische Landeszeitung (Gera)
Dmitri Medwedew – der Mann, der sagt, was Putin denkt
Der frühere Präsident und Regierungschef war einst Russlands liberale Reformhoffnung. Heute gibt er den Scharfmacher
Als junger Präsident und Regierungschef galt er einst als Russlands liberale Reformhoffnung. Doch Dmitri Medwedew hat eine neue Rolle gefunden. Als Blogger schockiert er auf seinem Telegram-Kanal oder auf Twitter nun fast täglich mit provozierenden Aussagen. Am Donnerstag zog er über die Kiew-Reise von Kanzler Olaf Scholz, dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi her: „Die europäischen Fans von Fröschen, Leberwurst und Spaghetti lieben es, Kiew zu besuchen“, spottete er auf
Twitter. Am Vortag kommentierte er die geplanten Verträge der Ukraine über die Lieferung von US-amerikanischem Flüssiggas für zwei Jahre mit den Worten: „Wer hat gesagt, dass die Ukraine in zwei Jahren überhaupt noch auf der Weltkarte existieren wird?“
Seit mehreren Monaten macht Medwedew auf Telegram verbal Front gegen den ukrainischen, aber auch gegen den westlichen Kollektivfeind. Er versucht, Aufsehen zu erregen – meist mit Kraftausdrücken. Medwedew (56), der einmal als der liberalste Mann in Wladimir Putins Mannschaft galt, bemüht sich jetzt als Scharfmacher, der sagt, was Putin denkt.
Da schreibt er über „einzelne Missgeburten, die sich als ukrainische Behörden bezeichnen“, die „widerliche und feige Heuchelei der Europäer“, die „klaren Anzeichen von Alterssenilität ihrer US-Herren“oder über „Schmutzigkeiten, in die die Westler zu tunken“seien. „Offenbar streben die deutschen Gesetzgeber nach den gleichen Lorbeeren wie ihre Vorgänger, die im vergangenen Jahrhundert und unter anderer Bezeichnung im deutschen Parlament gesessen haben“, kommentiert er die Zustimmung des Bundestages zu Waffenlieferungen an die Ukraine. Eine Anspielung auf Hitlers Reichstag. Überhaupt erhöhe die umfassende
Militärhilfe der Nato für die Ukraine die Wahrscheinlichkeit eines direkten Konfliktes zwischen Nato und Russland. „Solch ein Konflikt beinhaltet immer das Risiko, zum vollwertigen Atomkrieg zu werden.
Das Szenario ist für alle katastrophal.“Der Mann, der hier offen mit dem Nuklearkrieg droht, war früher eher still und moderat. 2008 trat Putin, der sich damals noch an die Verfassung hielt, nach zwei Amtszeiten zurück und überließ den Präsidentenposten seinem ihm ergebenen, aber durchaus demokratisch gesonnenen Juniorpartner. Russland müsse ein Rechtsstaat werden, verkündete Medwedew damals fast als Erstes.
Wladimir Putin hatte Medwedew 1999 aus Petersburg mitgebracht, wo der KGB-Veteran Putin vier Jahre lang stellvertretender Bürgermeister war, Medwedew, Juradozent, sein Rechtsberater. Aber im
Gegensatz zu Putin stammte Medwedew aus keiner Arbeiter-, sondern einer Akademikerfamilie.
In seiner neuen Rolle als antiwestlicher Propagandist hat Medwedew auch in Moskau Aufsehen erregt. „Vielleicht hat man ihm gesagt, er solle sich öffentlich äußern“, vermutet der Politologe Juri Korgonjuk. „Vielleicht will er selbst daran erinnern, dass es ihn noch gibt.“
Seit Putin ihm 2011 den Präsidentenjob nach einer Amtszeit wieder abnahm, gilt Medwedew als politischer Verlierer. Vielleicht will sich der ehemalige Jungpräsident nun als Blogger wieder in Erinnerung bringen, zeigen, dass er auf Linie ist und genau weiß, wie Putin tickt.