Thüringische Landeszeitung (Gera)

Dmitri Medwedew – der Mann, der sagt, was Putin denkt

Der frühere Präsident und Regierungs­chef war einst Russlands liberale Reformhoff­nung. Heute gibt er den Scharfmach­er

- Stefan Scholl Moskau.

Als junger Präsident und Regierungs­chef galt er einst als Russlands liberale Reformhoff­nung. Doch Dmitri Medwedew hat eine neue Rolle gefunden. Als Blogger schockiert er auf seinem Telegram-Kanal oder auf Twitter nun fast täglich mit provoziere­nden Aussagen. Am Donnerstag zog er über die Kiew-Reise von Kanzler Olaf Scholz, dem französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron und dem italienisc­hen Ministerpr­äsidenten Mario Draghi her: „Die europäisch­en Fans von Fröschen, Leberwurst und Spaghetti lieben es, Kiew zu besuchen“, spottete er auf

Twitter. Am Vortag kommentier­te er die geplanten Verträge der Ukraine über die Lieferung von US-amerikanis­chem Flüssiggas für zwei Jahre mit den Worten: „Wer hat gesagt, dass die Ukraine in zwei Jahren überhaupt noch auf der Weltkarte existieren wird?“

Seit mehreren Monaten macht Medwedew auf Telegram verbal Front gegen den ukrainisch­en, aber auch gegen den westlichen Kollektivf­eind. Er versucht, Aufsehen zu erregen – meist mit Kraftausdr­ücken. Medwedew (56), der einmal als der liberalste Mann in Wladimir Putins Mannschaft galt, bemüht sich jetzt als Scharfmach­er, der sagt, was Putin denkt.

Da schreibt er über „einzelne Missgeburt­en, die sich als ukrainisch­e Behörden bezeichnen“, die „widerliche und feige Heuchelei der Europäer“, die „klaren Anzeichen von Altersseni­lität ihrer US-Herren“oder über „Schmutzigk­eiten, in die die Westler zu tunken“seien. „Offenbar streben die deutschen Gesetzgebe­r nach den gleichen Lorbeeren wie ihre Vorgänger, die im vergangene­n Jahrhunder­t und unter anderer Bezeichnun­g im deutschen Parlament gesessen haben“, kommentier­t er die Zustimmung des Bundestage­s zu Waffenlief­erungen an die Ukraine. Eine Anspielung auf Hitlers Reichstag. Überhaupt erhöhe die umfassende

Militärhil­fe der Nato für die Ukraine die Wahrschein­lichkeit eines direkten Konfliktes zwischen Nato und Russland. „Solch ein Konflikt beinhaltet immer das Risiko, zum vollwertig­en Atomkrieg zu werden.

Das Szenario ist für alle katastroph­al.“Der Mann, der hier offen mit dem Nuklearkri­eg droht, war früher eher still und moderat. 2008 trat Putin, der sich damals noch an die Verfassung hielt, nach zwei Amtszeiten zurück und überließ den Präsidente­nposten seinem ihm ergebenen, aber durchaus demokratis­ch gesonnenen Juniorpart­ner. Russland müsse ein Rechtsstaa­t werden, verkündete Medwedew damals fast als Erstes.

Wladimir Putin hatte Medwedew 1999 aus Petersburg mitgebrach­t, wo der KGB-Veteran Putin vier Jahre lang stellvertr­etender Bürgermeis­ter war, Medwedew, Juradozent, sein Rechtsbera­ter. Aber im

Gegensatz zu Putin stammte Medwedew aus keiner Arbeiter-, sondern einer Akademiker­familie.

In seiner neuen Rolle als antiwestli­cher Propagandi­st hat Medwedew auch in Moskau Aufsehen erregt. „Vielleicht hat man ihm gesagt, er solle sich öffentlich äußern“, vermutet der Politologe Juri Korgonjuk. „Vielleicht will er selbst daran erinnern, dass es ihn noch gibt.“

Seit Putin ihm 2011 den Präsidente­njob nach einer Amtszeit wieder abnahm, gilt Medwedew als politische­r Verlierer. Vielleicht will sich der ehemalige Jungpräsid­ent nun als Blogger wieder in Erinnerung bringen, zeigen, dass er auf Linie ist und genau weiß, wie Putin tickt.

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AFP Auf Linie: Dmitri Medwedew (vorne) und Wladimir Putin.
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IMAGO/ITAR-TASS Ein Kämpfer der Separatist­en in Sjewjerodo­nezk.

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