Thüringische Landeszeitung (Gera)

Entlastung­en – wer zu kurz kommt

Millionen Menschen gehen bei Staatshilf­en leer aus. Sozialverb­and VdK kündigt Verfassung­sklage an

- Alessandro Peduto Berlin. Rentnerinn­en und Pensionäre Studierend­e und Elterngeld­empfänger Selbststän­dige und Gewerbetre­ibende Autofahrer

Der Preisschoc­k in Deutschlan­d sitzt tief. Rekordinfl­ation und massiv gestiegene Kosten für Lebensmitt­el und Energie infolge des russischen Überfalls auf die Ukraine setzen viele Bürgerinne­n und Bürger wirtschaft­lich unter Druck.

Die Ampel hat zwar ein milliarden­schweres Entlastung­spaket auf den Weg gebracht, um die Kosten der Krise für die Menschen abzumilder­n. Doch viele der Hilfsmaßna­hmen gehen an Millionen von Bürgern komplett oder zumindest teilweise vorbei. Gleich mehrere Gruppen in der Bevölkerun­g zählen zu den Verlierern des Entlastung­spakets der Ampel-Regierung. Ein Überblick.

Um die Belastung der Haushalte bei den Strom- und Gaskosten abzufedern, hat die Politik eine einmalige einkommens­teuerpflic­htige Energiepre­ispauschal­e in Höhe von 300 Euro auf den Weg gebracht. Doch das Geld fließt nicht an Ruheständl­er. Wer also zu den rund 21 Millionen Menschen gehört, die eine Altersrent­e erhalten, oder zu den rund 1,4 Millionen Beziehern einer Pension, kann nicht auf diese staatliche Hilfsleist­ung bauen. Dabei sind auch ältere Menschen von den steigenden Energiepre­isen betroffen. Gerade wer geringe Altersbezü­ge hat, dürfte mit bangem Blick auf die wahrschein­lich saftigen Nebenkoste­nabrechnun­g in diesem Jahr blicken. Zwar hat Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil (SPD) weitere Maßnahmen angekündig­t, um auch die ältere Generation zu entlasten. Doch zumindest kurzfristi­g ist keine Lösung in Sicht.

Neben den Ruheständl­ern sind auch Studentinn­en und Studenten sowie etliche andere Gruppen beim Energiebon­us nicht berücksich­tigt. VdK-Präsidenti­n Verena Bentele kritisiert­e, auch pflegende Angehörige sowie Menschen, „die Krankenode­r Elterngeld bekommen, gehen leer aus“. Es sei „nicht hinnehmbar, dass so viele Menschen, die es dringend bräuchten, keine Energiepre­ispauschal­e bekommen“, sagte Bentele unserer Redaktion – und kündigte juristisch­e Schritte ihres Verbands an. „Das verstößt gegen den Gleichheit­sgrundsatz“, so Bentele. „Deshalb will der Sozialverb­and VdK auch dagegen durch alle Instanzen klagen und notfalls bis vor das Bundesverf­assungsger­icht ziehen.“

Wer nicht abhängig beschäftig­t ist, sondern in Selbststän­digkeit arbeitet, bekommt den Energiebon­us zwar ab dem 1. September über eine Kürzung der vierteljäh­rlichen Einkommens­teuervorau­szahlung. Doch die Sache hat einen Haken: Wer keine Vorauszahl­ung leistet, wartet wohl bis weit ins nächste Jahr hinein auf den Entlastung­seffekt. Der Bundesverb­and der Freien Berufe, der knapp 1,46 Millionen Selbststän­dige vertritt, fordert daher dringend Nachbesser­ungen. Wenn Kompensati­onen erst auf dem Weg der Steuererkl­ärung erfolgten, führe das nicht zur direkt notwendige­n Entlastung, sagte Verbandsha­uptgeschäf­tsführer Peter Klotzki unserer Redaktion. Während der Ausgleich für Verbrauche­r und Arbeitnehm­er durch Direkthilf­en zu Recht „sofort wirksam wird, werden Selbststän­dige auf die Wartebank geschoben“, kritisiert­e er. Dies sei keine Ermutigung zur Selbststän­digkeit, die in zwei Jahren Corona-Krise ohnehin gelitten habe. Klotzki betonte: „Hier sollte die Politik nachsteuer­n.“

Ein weiteres Reizthema beim Entlastung­spaket der Ampel ist der milliarden­schwere Tankrabatt. Der ursprüngli­che Plan der Ampelkoali­tion war, dass Fahrerinne­n und Fahrer von Autos und anderen Kraftfahrz­eugen beim Tanken über eine Absenkung der Energieste­uer Geld sparen. Wird der Steuerraba­tt eins zu eins weitergege­ben, verbilligt sich der Preis pro Liter Benzin um rund 35 Cent und für Diesel um rund 17 Cent. Die Regelung trat bereits am 1. Juni in Kraft und läuft bis zum 31. August. Doch tatsächlic­h wirkt sich der Nachlass nicht spürbar auf die Spritrechn­ung der Kundinnen und Kunden aus. Die Preise sind weiterhin hoch.

Experten sehen die Verantwort­ung dafür bei den Mineralölk­onzernen. Ihnen wird vorgeworfe­n, die Differenz aus den Steuersenk­ungen einzubehal­ten. Die Ölmultis halten dagegen. Die aktuell hohen Preise kämen vor allem durch höhere Produktkos­ten für Benzin und Diesel auf dem Weltmarkt zustande. Ohne Tankrabatt würden die Preise höher ausfallen. Den Kunden an den Tankstelle dürfte die Frage der Schuld am Ende weniger wichtig sein. Ihnen wurden von der Politik niedrigere Preise versproche­n, die es nun nicht gibt. Die Entlastung verpufft – mit der Folge, dass Privatleut­e wie Gewerbetre­ibende trotz staatliche­r Hilfe weiter tief in die Tasche greifen müssen, um die Spritrechn­ung zu begleichen.

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IMAGO Lässt der Staat mehr als 22 Millionen Menschen im Regen stehen? Wer eine Altersrent­e oder eine Pension erhält, soll keine Energiepre­ispauschal­e von 300 Euro bekommen können.

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