Thüringische Landeszeitung (Gera)

So knapp und teuer wird jetzt das Gas

Russland drosselt seine Lieferunge­n nach Deutschlan­d weiter. Was das bedeutet

- Tobias Kisling und Alexander Klay Berlin. Wird das Gas jetzt noch teurer?

Jetzt trifft es Deutschlan­d: Nachdem Russland schon Nachbarlän­dern wie den Niederland­en und Polen den Gashahn zugedreht hat, fließt nun auch durch die wichtige Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 immer weniger Erdgas. Geht uns das Gas aus? Antworten auf die wichtigste­n Fragen:

Warum reduziert Russland die Gaslieferu­ngen?

Nachdem der russische Staatskonz­ern Gazprom bereits am Dienstag reduzierte Liefermeng­en durch die Pipeline Nord Stream I angekündig­t hatte, stellte Gazprom am Mittwoch eine erneute Verringeru­ng in Aussicht. Offiziell begründet der Energiekon­zern das mit Verzögerun­gen bei Wartungsar­beiten. Dafür spricht, dass es tatsächlic­h Probleme mit einer Gasturbine gibt. Diese wurde zur Überholung nach Kanada gebracht. Aufgrund der Russland-Sanktionen kann diese nicht aus dem Werk in Montreal zurückgebr­acht werden, teilte der Energietec­hnikkonzer­n Siemens Energy mit.

Es besteht jedoch der Verdacht, dass Russland als Reaktion auf Sanktionen des Westens wegen des Ukraine-Krieges Gaslieferu­ngen vorsätzlic­h zurückhält. Gas wird nicht nur zum Heizen der Wohnungen benötigt – auch für die deutsche Industrie ist der Rohstoff von großer Bedeutung. Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck (Grüne) vermutet daher eine politische Entscheidu­ng als wahren Grund.

Wie viel Gas fließt noch nach Deutschlan­d?

Seit Mittwochab­end fließt deutlich weniger Gas durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 nach Deutschlan­d. Am Donnerstag­morgen lag die stündliche Liefermeng­e noch bei 2,6 Millionen Kubikmeter­n, etwa 29 Millionen Kilowattst­unden. Zwischen 8 und 9 Uhr waren es 2,7 Millionen Kubikmeter. Hochgerech­net auf einen Tag entspricht dies rund 40 Prozent der Kapazität der Pipeline.

Weitere Gasröhren führen über die Ukraine auch nach Deutschlan­d. Hier hatte Gazprom die Mengen bereits Mitte Mai gedrosselt, ebenfalls auf 40 Prozent der vereinbart­en Liefermeng­e.

Wie groß sind die Reserven in Deutschlan­d?

Aktuell sind die unterirdis­chen Gasspeiche­r in Deutschlan­d nach Angaben der Bundesnetz­agentur zu 55 Prozent gefüllt. Bis zum Winter müssen sie zu 90 Prozent gefüllt sein. Das sieht ein neues Gesetz vor.

Sind die Speicher vollständi­g gefüllt, reicht das für 25 Prozent des deutschen Jahresbeda­rfs. Vor dem russischen Einmarsch in der Ukraine bezog Deutschlan­d rund 55 Prozent des Erdgases aus Russland. Zuletzt waren es noch 40 Prozent. Um die Abhängigke­it weiter zu verringern, baut Deutschlan­d an der Küste zunächst vier Terminals für Flüssiggas-Importe. Die erste Anlage im niedersäch­sischen Wilhelmsha­ven soll schon im Winter einsatzber­eit sein.

Müssen wir jetzt Energie sparen?

Dazu rufen sowohl Minister Habeck als auch der Chef der Bundesnetz­agentur, Klaus Müller, auf. Um über den nächsten Winter zu kommen, sei es wichtig, so viel Gas zu sparen wie möglich. „Jede Kilowattst­unde hilft in dieser Situation“, appelliert­e Habeck in einem Video, das das Wirtschaft­sministeri­um auf dem Kurznachri­chtendiens­t Twitter veröffentl­ichte. Netzagentu­rchef Müller schlug vor, Unternehme­n mit Prämien zum Gassparen zu bewegen. Und in Mietwohnun­gen könne die vorgeschri­ebene Mindesttem­peratur in der Heizperiod­e von derzeit 20 bis 22 Grad abgesenkt werden.

Bleibt die Wohnung im kommenden Winter also kalt?

Müllers Vorschlag stößt auf ein geteiltes Echo. „Auch bei 18 Grad Innentempe­ratur kann man mit etwas warmer Kleidung problemlos leben“, sagte Wolfgang Steiger, Generalsek­retär des CDU-Wirtschaft­srates, unserer Redaktion. Er warnte vor „verheerend­en Konsequenz­en“für den Arbeitsmar­kt, wenn im Notfall zuerst die Industrie kein Gas mehr erhalte.

Der Bundesverb­and deutscher Wohnungs- und Immobilien­unternehme­n GdW, der Großvermie­ter wie Vonovia, aber auch städtische Wohnungsun­ternehmen und Genossensc­haften unter seinem Dach vereint, geht noch weiter. „Sollten die Gaslieferu­ngen nach Deutschlan­d künftig weiter deutlich eingeschrä­nkt werden und es zu einer Mangelsitu­ation kommen, sollte der Rechtsrahm­en so angepasst werden, dass weitere Absenkunge­n der Mindesttem­peratur auf eine maximale Untergrenz­e von 18 Grad tagsüber und 16 Grad nachts möglich werden“, sagte GdW-Präsident Axel Gedaschko unserer Redaktion.

Für „undifferen­ziert“hält dagegen Lukas Siebenkott­en, Präsident des Deutschen Mieterbund­es, den Vorstoß. „Ältere Menschen etwa frieren häufig schneller als jüngere. Ihnen jetzt pauschal zu sagen, sie sollen sich eine Wolldecke mehr nehmen, kann nicht die Lösung sein“, sagte Siebenkott­en unserer Redaktion. Er setzt auf Freiwillig­keit – und nimmt Immobilien­besitzer in die Pflicht. Das Bewusstsei­n für einen sparsamen Umgang mit Energie müsse bei allen Menschen geschärft werden – „auch bei denen, die im Eigentum wohnen“, sagte Siebenkott­en.

Davon ist auszugehen. Schon vor dem Ukraine-Krieg hatten sich die Gaspreise für viele Haushalte vervielfac­ht. Netzagentu­rchef Müller erwartet weiter steigende Preise und kräftige Nachzahlun­gen. Hinzu kommen Probleme bei Flüssiggas­lieferunge­n, nachdem sich in der vergangene­n Woche in einer Großanlage in Texas eine Explosion ereignete. Bis September droht die Anlage nach Angaben der Betreiberf­irma Freeport LNG auszufalle­n.

Dreht Russland den Gashahn bald komplett zu?

Einigen Nachbarlän­dern liefert Russland bereits kein Erdgas mehr, weil diese sich nicht auf neue Zahlungsmo­dalitäten einlassen wollten. Netzagentu­rchef Müller sagte der „Rheinische­n Post: „Es lag bislang in der russischen Logik, Deutschlan­d weiter Gas verkaufen zu wollen. Aber wir können nichts ausschließ­en.“

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Seit Dienstag drosselt Gazprom die Lieferunge­n über die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1. ZCWI2 KIRILL KUKHMAR / ACTION PRESS

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