Thüringische Landeszeitung (Gera)
Der Mensch ist eine Kasperpuppe
Gogols Korruptionskomödie „Der Revisor“in den Kammerspielen des Meininger Staatstheaters
Durch Straßen und Gassen huscht das jüngste Gerücht vom jüngsten Gericht. Einer aus der fernen Hauptstadt soll in offiziellem Auftrag, aber inkognito, Inventur und Tabula rasa machen an diesem verkommenen Ort, der „ein armseliges Nest“ist oder, in dieser Fassung, „ein widerwärtiges Kaff“, jedenfalls ein russischer Vorläufer von Gotham City. Hier, wo alle knietief im Moral-Morast waten, herrscht ein tyrannischer Blödian von Stadthauptmann; hier herrscht nacktes Elend – und nun blankes Entsetzen. Ein Revisor kommt!
Das böte Stoff für ein Sozialdrama oder eine Tragödie. Nikolai Gogol, ein sehr humorloser Mensch eigentlich, machte daraus vor annähernd 200 Jahren eine Komödie, die ihn überlebte. Verdross ihn bereits die Uraufführung in Sankt Petersburg, so hätte er die Neuinszenierung an Meiningens Kammerspielen
kaum überlebt, was ihm recht geschähe. Sie spielen nicht nur die sehr komprimierte Fassung John von Düffels, sie spielen hier vor allem auch das russische Sprichwort, das Gogol dem Stück vorangestellt hatte: „Schimpf nicht auf den Spiegel, wenn du in eine Fratze blickst!“
Ein Grundidee, die den Abend tragen soll. Doch die reicht nicht aus
Wir sehen also: lauter Fratzen (und wollen deshalb nicht schimpfen), lauter Holzköpfe. Der Schauspieler Ronny Miersch führt uns in seiner zweiten Regiearbeit ins menschliche Kaspertheater, wofür Christian Rinke eine Holzbühne im Breitwandformat und auf drei Ebenen entwarf. Durch die toben sieben Schauspieler in schrillster Kostümierung (und dito Tonlage): als wären sie Handpuppen, mit umgeschnallten Schlenkerbeinchen, die sie über die Brüstungen werfen.
Der Kasper ist ja per se zwar keine anarchistische Figur, aber im besten
Fall ein anarchischer Charakter. Insofern passt das: auf den kleinen Amtsgehilfen, Tunichtgut, Glückspieler Chlestakow auf Durchreise (Yannick Fischer), den alle ohne sein zu großes Zutun als Revisor und höchstes der Tiere hofieren. Alle, die nach unten treten, nach oben buckeln, die die Hand aufhalten und nun von selbst die Börse öffnen.
Fischer stülpt sich auch die rote Zipfelmütze über. Doch das reicht, wie vieles hier, nicht aus. Die Inszenierung verfügt über eine Grundidee, die alles tragen soll. Dann kommt aber nicht mehr so viel, geschieht kaum noch etwas damit.
„Nix als Quatsch im Kopf“, so schimpft zwar Stadthauptmanns Gattin (Christine Zart). Aber sie meint nur die Tochter, nicht diesen Abend, der eher vorgibt, Klamauk zu spielen als dass es geschähe. Die Figuren kiffen und koksen gerne. Doch kein Rausch, kein Exzess. Ein eher schaumgebremster Spaß. Miersch hat dann aber doch noch eine Idee, eine wirklich glänzende. Er wertet Stadthauptmanns Tochter deutlich auf und entlässt sie aus der von Gogol verschuldeten Unmündigkeit. Miriam Haltmeiers Marja spielt nur das Dummchen mit Brille, hat aber als einzige hier den Durchblick. Eine durchtriebene Bitch auf Emanzipationspfaden. Das verschafft der Schauspielerin, seit dieser Saison Meiningens neue Allzweckwaffe, Möglichkeiten, die den Kollegen verwehrt bleiben.
Da kann nur noch Vivian Frey mithalten. Mit Jan Wenglarz gibt er die doppelten Gutsherren Bobtschinski und Dobtschinski wie Salieris Venticelli in „Amadeus“. Die spielen wiederum auch andere: korrupte Beamte der Stadt. Da gelingt es Frey, ganz im Sinne der Aufführung, vergleichsweise freizudrehen.
Der Kasper hat nicht „Seid ihr alle da“gerufen. Dafür waren nach der Pause doch einige wieder weg.
Wieder am 17. 6. (heute), 9. und 13. 7.