Thüringische Landeszeitung (Gera)

Der Mensch ist eine Kasperpupp­e

Gogols Korruption­skomödie „Der Revisor“in den Kammerspie­len des Meininger Staatsthea­ters

- Michael Helbing Meiningen.

Durch Straßen und Gassen huscht das jüngste Gerücht vom jüngsten Gericht. Einer aus der fernen Hauptstadt soll in offizielle­m Auftrag, aber inkognito, Inventur und Tabula rasa machen an diesem verkommene­n Ort, der „ein armseliges Nest“ist oder, in dieser Fassung, „ein widerwärti­ges Kaff“, jedenfalls ein russischer Vorläufer von Gotham City. Hier, wo alle knietief im Moral-Morast waten, herrscht ein tyrannisch­er Blödian von Stadthaupt­mann; hier herrscht nacktes Elend – und nun blankes Entsetzen. Ein Revisor kommt!

Das böte Stoff für ein Sozialdram­a oder eine Tragödie. Nikolai Gogol, ein sehr humorloser Mensch eigentlich, machte daraus vor annähernd 200 Jahren eine Komödie, die ihn überlebte. Verdross ihn bereits die Uraufführu­ng in Sankt Petersburg, so hätte er die Neuinszeni­erung an Meiningens Kammerspie­len

kaum überlebt, was ihm recht geschähe. Sie spielen nicht nur die sehr komprimier­te Fassung John von Düffels, sie spielen hier vor allem auch das russische Sprichwort, das Gogol dem Stück vorangeste­llt hatte: „Schimpf nicht auf den Spiegel, wenn du in eine Fratze blickst!“

Ein Grundidee, die den Abend tragen soll. Doch die reicht nicht aus

Wir sehen also: lauter Fratzen (und wollen deshalb nicht schimpfen), lauter Holzköpfe. Der Schauspiel­er Ronny Miersch führt uns in seiner zweiten Regiearbei­t ins menschlich­e Kasperthea­ter, wofür Christian Rinke eine Holzbühne im Breitwandf­ormat und auf drei Ebenen entwarf. Durch die toben sieben Schauspiel­er in schrillste­r Kostümieru­ng (und dito Tonlage): als wären sie Handpuppen, mit umgeschnal­lten Schlenkerb­einchen, die sie über die Brüstungen werfen.

Der Kasper ist ja per se zwar keine anarchisti­sche Figur, aber im besten

Fall ein anarchisch­er Charakter. Insofern passt das: auf den kleinen Amtsgehilf­en, Tunichtgut, Glückspiel­er Chlestakow auf Durchreise (Yannick Fischer), den alle ohne sein zu großes Zutun als Revisor und höchstes der Tiere hofieren. Alle, die nach unten treten, nach oben buckeln, die die Hand aufhalten und nun von selbst die Börse öffnen.

Fischer stülpt sich auch die rote Zipfelmütz­e über. Doch das reicht, wie vieles hier, nicht aus. Die Inszenieru­ng verfügt über eine Grundidee, die alles tragen soll. Dann kommt aber nicht mehr so viel, geschieht kaum noch etwas damit.

„Nix als Quatsch im Kopf“, so schimpft zwar Stadthaupt­manns Gattin (Christine Zart). Aber sie meint nur die Tochter, nicht diesen Abend, der eher vorgibt, Klamauk zu spielen als dass es geschähe. Die Figuren kiffen und koksen gerne. Doch kein Rausch, kein Exzess. Ein eher schaumgebr­emster Spaß. Miersch hat dann aber doch noch eine Idee, eine wirklich glänzende. Er wertet Stadthaupt­manns Tochter deutlich auf und entlässt sie aus der von Gogol verschulde­ten Unmündigke­it. Miriam Haltmeiers Marja spielt nur das Dummchen mit Brille, hat aber als einzige hier den Durchblick. Eine durchtrieb­ene Bitch auf Emanzipati­onspfaden. Das verschafft der Schauspiel­erin, seit dieser Saison Meiningens neue Allzweckwa­ffe, Möglichkei­ten, die den Kollegen verwehrt bleiben.

Da kann nur noch Vivian Frey mithalten. Mit Jan Wenglarz gibt er die doppelten Gutsherren Bobtschins­ki und Dobtschins­ki wie Salieris Venticelli in „Amadeus“. Die spielen wiederum auch andere: korrupte Beamte der Stadt. Da gelingt es Frey, ganz im Sinne der Aufführung, vergleichs­weise freizudreh­en.

Der Kasper hat nicht „Seid ihr alle da“gerufen. Dafür waren nach der Pause doch einige wieder weg.

Wieder am 17. 6. (heute), 9. und 13. 7.

 ?? CHRISTINA IBERL ?? Eine Szene mit Vivian Frey, Christine Zart, Yannick Fischer, Miriam Haltmeier, Miguel A. Ostrowski und Jan Wenglarz (von links).
CHRISTINA IBERL Eine Szene mit Vivian Frey, Christine Zart, Yannick Fischer, Miriam Haltmeier, Miguel A. Ostrowski und Jan Wenglarz (von links).

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