Thüringische Landeszeitung (Gera)
Auf Messers Schneide
Weimar gelingt mit Schillers „Räubern“ein unterhaltsames, ausbalanciertes Sommertheater
In Akt Vier geht der Punk ab, im derart vertonten Räuberlied: „Stehlen, morden, huren, balgen, heißt bei uns nur die Zeit zerstreun. Morgen hangen wir am Galgen, drum lasst uns heute lustig sein.“
Das könnte der Titelsong dieses launigen und launischen Sommertheaterabends sein, dessen Premiere 700 Zuschauer stehend applaudierten, jedenfalls sein Leitmotiv. Hier steckt schon alles drin, was ihn ausmacht: das Vergnügen, das er bereitet, das Verderben, das er gleichwohl ausbreitet. Schillers „Räuber“spielen heftig mit dem Tod und lachen ihm deftig ins Gesicht, in einer waghalsigen, aber ausbalancierten Aufführung auf Messers Schneide.
„Wollt ihr eine Komödienrolle an mir probieren?“, mag dieses ganze Schauspiel mit Karl Moor fragen. Das DNT-Ensemble antwortet entschieden: Ja! Aber . . . Auf Teufel komm raus! Nicht aber so, dass sich alles Teuflische und Verteufelte hinter den lustigen Details versteckte.
Und anders als in früheren Klassiker-Versionen gelingt es Regisseur Jan Neumann hier, alles Pathos mitunter zwar aus-, aber nie wegzulachen. Es erhält Raum, sie halten es aus, in einer Fassung, die Schillers Text auf elegante und oft zwingende Weise zeitgenössisch durchwirkt.
Die Zuschauertribüne haben sie als Teil eines Moor-Imperiums eingerichtet; einer darauf wird mal eben als Briefbote rekrutiert, wir alle subtil als Volk von Gästen, Räubern, Anspiel- und Ansprechpartnern.
Und sie haben sie ins Grüne ausgerichtet, das am Rand des E-WerkGeländes wächst: hin zu einer Naturbühne im Hintergrund, auf die
Lichtung vor böhmischen Wäldern. Solchen Weitblick auf längere Auftritte aus dem Unterholz erlaubt die linke Tribünenseite allerdings nicht.
Auf halber Höhe das Räuberlager mit Container, Wurfzelten, Feuerstelle. Eine rote Fahne hängt in Fetzen, ein Anarcho-Kreis und eine Reichskriegsflagge treten dazu: Zeichen der Beliebigkeit einer unpolitischen Gurkentruppe mit Stammtischparolen, als die die Räuber in den Terror aufbrechen. Direkt vor uns eine flache rote Spielfläche mit schwarzem M (Bühne: Oliver Helf), auf der staubige Schuhe adäquate Spuren hinterlassen. Fast alle hier treten fast alles in den Dreck und machen sich die Hände schmutzig.
Karl Moor sowieso, Räuberhauptmann aus Versehen und aus Trotz. Krunoslav Šebrek entwickelt ihn aus dem hasenfüßigen Maulhelden mit Born-to-be-wild-Attitüde, zum Anführer verführt, der mit Skrupeln Blutzoll eintreibt. Ein brüchiger, dann ein gebrochener Charakter in permanenter Täter-Opfer-Umkehr.
Skrupellos, aber auch scharfsinniger: sein intriganter Bruder Franz, der sich Rechte herausnimmt, wo sie ihm verwehrt bleiben. Missgestaltet nur innerlich, spielt ihn Nahuel Häfliger als gut aussehenden, charmanten und witzigen Kerl, aus dem alle Brutalität umso heftiger herausbricht – in einer ohnehin sehr körperlichen Inszenierung.
Dass Amalia darin am Stock geht, wirkt als schlüssiger Einfall; im übertragenen Sinn tut sie’s sowieso. Doch der Rosa Falkenhagen, die mit vielen Schattierungen eine Figur unter großen Schatten spielt, die sich mit Kraft und Eigensinn zu helfen, wenn auch nicht zu retten weiß, trat in Proben ein Pferd auf den Fuß, das also gestrichen wurde.
Es bleiben ihnen aber noch genügend Pferdestärken übrig: im Fuhrpark mit schwarzer Limousine, Kastenwagen, Motorrad – und Fahrrad. Ein Abend von einigem Schauwert also, vor allem aber auf ein gut eingespieltes Ensemble. Johannes Winde als Bühnenmusiker in Doppelrolle inklusive: Er spielt nicht nur Klavier, Synthesizer, E-Gitarre, sondern in seinen Kompositionen souverän auf der Klaviatur der Stimmen und Stimmungen. So vertont er ein Stück von Franzens Heuchelrede an Amalia zur schmalzigen Musical-Ballade und betont derart falsche Gefühligkeit.
In Nadja Robiné trotzen sie Schiller eine zweite (und eine dritte) Frauenrolle ab. Sie gerät als Razfrau unter die Räuber; die ist verliebt in den heißen Karl und verkehrt mit dem kalten Fanatiker Spiegelberg (Max Landgrebe), der sie schwängert; ein Gewinn für die Figur. Als Polizistin in Helm und Schild hat Robiné die Hosen gestrichen voll.
Nicht nur Franz arbeitet indes mit dem Schrecken, der unterhaltsame Abend tut es auch sonst. Schillers „Räuber“, daran sei aufgrund einiger Irritationen erinnert, sind ein Stück auch über Familienkonflikte, im Zweifel aber kein Stück für die ganze Familie. Empfohlen ab 14.
Weitere 17 Aufführungen zwischen dem 21. Juni und 15. Juli, jeweils ab 19 Uhr.