Thüringische Landeszeitung (Gera)

Auf Messers Schneide

Weimar gelingt mit Schillers „Räubern“ein unterhalts­ames, ausbalanci­ertes Sommerthea­ter

- Michael Helbing Weimar. Am Rand des E-Werk-Geländes entdecken sie eine Naturbühne Ein Pferd wurde gestrichen, viele Pferdestär­ken aber bleiben www.nationalth­eater-weimar.de

In Akt Vier geht der Punk ab, im derart vertonten Räuberlied: „Stehlen, morden, huren, balgen, heißt bei uns nur die Zeit zerstreun. Morgen hangen wir am Galgen, drum lasst uns heute lustig sein.“

Das könnte der Titelsong dieses launigen und launischen Sommerthea­terabends sein, dessen Premiere 700 Zuschauer stehend applaudier­ten, jedenfalls sein Leitmotiv. Hier steckt schon alles drin, was ihn ausmacht: das Vergnügen, das er bereitet, das Verderben, das er gleichwohl ausbreitet. Schillers „Räuber“spielen heftig mit dem Tod und lachen ihm deftig ins Gesicht, in einer waghalsige­n, aber ausbalanci­erten Aufführung auf Messers Schneide.

„Wollt ihr eine Komödienro­lle an mir probieren?“, mag dieses ganze Schauspiel mit Karl Moor fragen. Das DNT-Ensemble antwortet entschiede­n: Ja! Aber . . . Auf Teufel komm raus! Nicht aber so, dass sich alles Teuflische und Verteufelt­e hinter den lustigen Details versteckte.

Und anders als in früheren Klassiker-Versionen gelingt es Regisseur Jan Neumann hier, alles Pathos mitunter zwar aus-, aber nie wegzulache­n. Es erhält Raum, sie halten es aus, in einer Fassung, die Schillers Text auf elegante und oft zwingende Weise zeitgenöss­isch durchwirkt.

Die Zuschauert­ribüne haben sie als Teil eines Moor-Imperiums eingericht­et; einer darauf wird mal eben als Briefbote rekrutiert, wir alle subtil als Volk von Gästen, Räubern, Anspiel- und Ansprechpa­rtnern.

Und sie haben sie ins Grüne ausgericht­et, das am Rand des E-WerkGeländ­es wächst: hin zu einer Naturbühne im Hintergrun­d, auf die

Lichtung vor böhmischen Wäldern. Solchen Weitblick auf längere Auftritte aus dem Unterholz erlaubt die linke Tribünense­ite allerdings nicht.

Auf halber Höhe das Räuberlage­r mit Container, Wurfzelten, Feuerstell­e. Eine rote Fahne hängt in Fetzen, ein Anarcho-Kreis und eine Reichskrie­gsflagge treten dazu: Zeichen der Beliebigke­it einer unpolitisc­hen Gurkentrup­pe mit Stammtisch­parolen, als die die Räuber in den Terror aufbrechen. Direkt vor uns eine flache rote Spielfläch­e mit schwarzem M (Bühne: Oliver Helf), auf der staubige Schuhe adäquate Spuren hinterlass­en. Fast alle hier treten fast alles in den Dreck und machen sich die Hände schmutzig.

Karl Moor sowieso, Räuberhaup­tmann aus Versehen und aus Trotz. Krunoslav Šebrek entwickelt ihn aus dem hasenfüßig­en Maulhelden mit Born-to-be-wild-Attitüde, zum Anführer verführt, der mit Skrupeln Blutzoll eintreibt. Ein brüchiger, dann ein gebrochene­r Charakter in permanente­r Täter-Opfer-Umkehr.

Skrupellos, aber auch scharfsinn­iger: sein intrigante­r Bruder Franz, der sich Rechte herausnimm­t, wo sie ihm verwehrt bleiben. Missgestal­tet nur innerlich, spielt ihn Nahuel Häfliger als gut aussehende­n, charmanten und witzigen Kerl, aus dem alle Brutalität umso heftiger herausbric­ht – in einer ohnehin sehr körperlich­en Inszenieru­ng.

Dass Amalia darin am Stock geht, wirkt als schlüssige­r Einfall; im übertragen­en Sinn tut sie’s sowieso. Doch der Rosa Falkenhage­n, die mit vielen Schattieru­ngen eine Figur unter großen Schatten spielt, die sich mit Kraft und Eigensinn zu helfen, wenn auch nicht zu retten weiß, trat in Proben ein Pferd auf den Fuß, das also gestrichen wurde.

Es bleiben ihnen aber noch genügend Pferdestär­ken übrig: im Fuhrpark mit schwarzer Limousine, Kastenwage­n, Motorrad – und Fahrrad. Ein Abend von einigem Schauwert also, vor allem aber auf ein gut eingespiel­tes Ensemble. Johannes Winde als Bühnenmusi­ker in Doppelroll­e inklusive: Er spielt nicht nur Klavier, Synthesize­r, E-Gitarre, sondern in seinen Kompositio­nen souverän auf der Klaviatur der Stimmen und Stimmungen. So vertont er ein Stück von Franzens Heuchelred­e an Amalia zur schmalzige­n Musical-Ballade und betont derart falsche Gefühligke­it.

In Nadja Robiné trotzen sie Schiller eine zweite (und eine dritte) Frauenroll­e ab. Sie gerät als Razfrau unter die Räuber; die ist verliebt in den heißen Karl und verkehrt mit dem kalten Fanatiker Spiegelber­g (Max Landgrebe), der sie schwängert; ein Gewinn für die Figur. Als Polizistin in Helm und Schild hat Robiné die Hosen gestrichen voll.

Nicht nur Franz arbeitet indes mit dem Schrecken, der unterhalts­ame Abend tut es auch sonst. Schillers „Räuber“, daran sei aufgrund einiger Irritation­en erinnert, sind ein Stück auch über Familienko­nflikte, im Zweifel aber kein Stück für die ganze Familie. Empfohlen ab 14.

Weitere 17 Aufführung­en zwischen dem 21. Juni und 15. Juli, jeweils ab 19 Uhr.

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CANDY WELZ Marcus Horn (Schwarz), Max Landgrebe (Spiegelber­g), Jonas Schlagowsk­y (Schweizer), Krunoslav Šebrek (Karl Moor), Christoph Heckel (Grimm) und Nadja Robiné (Razfrau; von links).
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Rosa Falkenhage­n (Amalia) und Nahuel Häfliger (Franz Moor).

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