Thüringische Landeszeitung (Gera)
Nacharbeit für Gutachter
Gerichtsbericht: Seit Januar beschäftigt sich das Landgericht Gera mit einem Missbrauchsverfahren, doch ein Ende ist nicht in Sicht
Wegen 70 Fällen des schweren sexuellen Missbrauchs an einer Grundschülerin aus Jena ist der Freund der Mutter angeklagt. Doch das Verfahren zieht sich: Erst musste es neu beginnen, weil ein Schöffe mehrfach bei den Zeugenbefragungen eingeschlafen war, nun muss ein Gutachter nachbessern.
Der frühere Chef der Kinderpsychiatrie in Jena hatte ein Glaubwürdigkeitsgutachten erstattet. Er war zum Ergebnis gelangt, dass das Mädchen die Wahrheit sagt. Sie hatte den Lebensgefährten ihrer Mutter belastet, sich regelmäßig in der Wohnung der Mutter in Jena-Lobeda
an ihr vergangen zu haben. Rechtsanwalt Tino Gunkel forderte daraufhin ein zweites Sachverständigengutachten unter Verweis auf diverse Mängel.
Im Verfahren wurde erst zu einem späten Zeitpunkt bekannt, dass das betroffene Mädchen zu verschiedenen Tests in der Fachklinik in Stadtroda war. Diese Leistungsdiagnostik soll zeigen, ob sie hochbegabt ist oder möglicherweise an einer Autismus-Spektrum-Störung leidet. Dies war dem ersten Gutachter bei seiner Untersuchung jedoch nicht bekannt. Wegen eines längeren Auslandsaufenthaltes des Kinderpsychiaters beauftragte die neunte Strafkammer einen anderen Sachverständigen, der nun den Prozess verfolgt.
Am Verhandlungstag am Montag sagten unter anderem der getrenntlebende Vater des Kindes und eine Sozialarbeiterin des Jugendamtes Jena aus. Nach der Inhaftierung des Freundes der Mutter blieb das Mädchen längere Zeit in einer Einrichtung, weil das Jugendamt durch die Haltung der Mutter nicht genügend Schutz für das Kind sah. Im bisherigen Prozessverlauf hatte sich gezeigt, dass die Mutter zu ihrem Lebensgefährten hält und der Tochter die Vorwürfe nicht glaubt. Auch die Gefahr einer Beeinflussung des Mädchens durch die Mutter habe eine Rolle gespielt.