Thüringische Landeszeitung (Gera)
Der rot-weiße Kraftakt
Oft duftete es nach frisch gemähtem Rasen wie in Neugersdorf. Der Dunst vom Bratwurstrost waberte in Sandersdorf über den Platz, die Zuschauer dicht gedrängt direkt am Rudolstädter Spielfeldrand. Und dann noch die Rasenqualität beim Kick gegen Inter Leipzig in Torgau – geschenkt. Die Reise des FC RotWeiß
Erfurt durch die Oberliga war eine Rückkehr zu den Wurzeln des Fußballs. Zwar wurde der Absturz ins Bodenlose verhindert. Aber zwei Jahre in der Fünftklassigkeit fühlten sich manchmal so an.
Als Insolvenzverwalter Volker Reinhardt im Januar 2020 die Regionalliga-Mannschaft abmeldete und Corona damals höchstens als Biermarke bekannt war, konnte niemand den beschwerlichen Weg zurück auf die deutsche FußballLandkarte erahnen. Saisonabbruch und ein Aufsteiger am Grünen Tisch, der nicht Erfurt hieß. Dazu Geisterspiele oder – immerhin – verringerte Stadionkapazität, aber keinerlei staatliche Zuschüsse wie bei anderen Vereinen.
All das garniert mit Monaten lähmender Ungewissheit, nun wieder eine nicht ganz komplette Spielserie. Und dann auch noch ein Insolvenzverfahren, dessen Entwicklung genauso unwägbar erscheint, wie die vergangenen Monate in der Corona-Krise. Es gibt bessere Momente für einen Fußballmanager, eine Spielbetriebs GmbH zu gründen.
Franz Gerber hat es trotzdem getan – und als ersten Schritt die Rückkehr auf die Regionalliga-Bühne gemeistert. Während Nordstaffelsieger Greifswalder FC am letzten Spieltag beim 0:6 gegen Staaken die Puste ausging, untermauerte der FC Rot-Weiß im Süden mit dem 11:0 gegen Leipzig eindrucksvoll, dass man kein Oberligist sein will.
Der Neustart in die Oberliga im Sommer 2020 war abenteuerlich. Als Franz Gerber damals nur wenige Tage vor dem Saisonstart den Mut besaß, sich ein zweites Mal als Rot-Weiß-Investor zu versuchen, wurden die Uhren auf Null gestellt. Wie als warnendes Beispiel stand am dritten Spieltag das bittere 1:2 in Zorbau, als wollte die Liga dem Erfurter Club verkünden, dass ein Spaziergang zurück in die vierte Liga in dieser manchmal rauen Spielklasse nicht funktionieren würde.
Dass Erfurt zwar in der gleichen Spielklasse, aber einer anderen Liga kickt, wurde jedes Wochenende offenbar. Hier die junge Elf mit einem Durchschnittsalter von gerade einmal 22,2 Jahren, die bis zu sechsmal in der Woche auf dem Trainingsplatz stand. Dort eine Mannschaft mit – nun ja – manchmal auch nicht gerade durchtrainierten Spielern mit einem Body-Mass-Index jenseits des grünen Bereichs.
Für die anderen Vereine war der FC Rot-Weiß Erfurt Fluch und Segen zugleich. In Rudolstadt zum Beispiel sicherten Heerscharen an Polizei das Auswärtsspiel im Ostthüringer Terrain ab und zwangen wie auch anderswo den gastgebenden Club zu einem logistischen Kraftakt. Andererseits versprühten die mitgereisten Rot-Weiß-Fans eine unglaubliche Stimmung und füllten die Kassen der Oberligisten, die sonst in der Regel nicht mehr als 150 hart gesottene Anhänger begrüßen. All das belegt auch die Statistik. Während der Bischofswerdaer FV in der ganzen Saison zusammen 3387 Zuschauer registrierte, kamen allein zum Erfurter Saisonfinale – obwohl sportlich bedeutungslos – gegen Inter Leipzig so viele Besucher ins Steigerwaldstadion.
Wie groß die rot-weiße Fanliebe gehen kann, zeigte eine Begebenheit im Winter. Der Ball rollte schon wieder, aber wegen Corona noch ohne Zuschauer. Erfurt spielte in Torgau gegen Inter Leipzig – vor erlesenem Publikum. 23 Unentwegte waren aus Erfurt angereist und feuerten ihre Mannschaft im wahrsten Sinne des Wortes als Zaungast an. Am Ende stand damals ein 3:0 und der erste von 19 Siegen in Serie.