Thüringische Landeszeitung (Gera)
Wilderer bestreitet Polizistenmord
Nach Tod zweier Beamter: Angeklagter stellt Schüsse bei Verkehrskontrolle als Notwehr dar
Die Männer waren Komplizen, aber jetzt, da ihnen lange Haftstrafen drohen, kämpft jeder für sich. Zwei Wilderer sollen für den Doppelmord an zwei Polizisten in der Pfalz Anfang des Jahres verantwortlich sein. Seit Dienstag stehen sie vor Gericht – und der Prozess startete mit einem Knalleffekt.
Die brutale Tat hat die Gesellschaft erschüttert und wirkt bis heute nach: Am 31. Januar wurden eine Polizeianwärterin (24) und ein Polizist (29) nachts auf einer Landstraße bei Kusel erschossen. Das Motiv laut Staatsanwaltschaft: Andreas S. (39) und sein Gehilfe Florian V. (33) hatten Sorge, dass ihre gewerbsmäßige Wilderei auffliegen würde, als sie zufällig kontrolliert wurden. Für viele Prozessbeobachter überraschend: Am Dienstag vor dem Landgericht Kaiserslautern streitet Andreas S., der Hauptangeklagte, alles ab. Der mutmaßliche Polizistenmörder behautet, er habe in Notwehr gehandelt.
Ja, in der Tatnacht habe er zusammen mit dem Mitangeklagten gewildert. Aber er will die Polizisten nicht ermordet haben. Stattdessen legt er nahe, dass sein Kompagnon die Polizistin getötet habe.
Während der Verkehrskontrolle, so Andreas S., habe er im Wagen gesessen und nach den Fahrzeugpapieren gesucht, als er plötzlich Schüsse gehört habe. In einer durch einen Verteidiger verlesenen Erklärung gibt er zu Protokoll, sich in einer für ihn völlig chaotischen Situation wiedergefunden zu haben, in der er nicht gewusst habe, wer weshalb auf wen schieße. Da habe er sein Jagdgewehr genommen und zurückgeschossen. „Er hat lediglich geschossen, um zu erreichen, dass nicht weiter auf ihn geschossen wird“, sagt der Anwalt. Der Hauptangeklagte beschuldigt seinen Helfer, die Polizeianwärterin erschossen und dann auf ihren Kollegen gezielt zu haben. Als er die beiden Polizisten tot am Boden habe liegen sehen, habe er gebetet. Danach sei man gemeinsam vom Tatort geflüchtet.
Schilderung des Tathergangs belastet die Angehörigen
Diese Version hat mit dem Geschehen, wie es die Staatsanwaltschaft rekonstruiert hat, wenig zu tun. Demnach soll Andreas S. den ersten Schuss „überraschend aus der
Schrotflinte aus kurzer Entfernung auf den Kopf der Polizeibeamtin“abgegeben haben, als die den Wagen kontrollierte. Die junge Frau stürzte bewusstlos auf die Straße, „sodass der 39-Jährige davon ausging, dass sie tot war. Den zweiten Schuss gab er ebenfalls aus der Schrotflinte aus größerer Entfernung auf den männlichen Polizeibeamten ab, den er am Gesäß traf.“Der Oberkommissar schoss dann „zur Verteidigung mit seiner Dienstpistole“– ohne in der Dunkelheit zu treffen. Andreas S. habe das mit einem Nachtsichtgerät ausgestattete Jagdgewehr genommen, dreimal geschossen und den Beamten jedes Mal schwer verletzt. Der letzte Schuss traf den Mann in den Kopf.
„Als der 39-Jährige dann die auf der Straße liegende Polizeibeamtin nach für ihn kompromittierenden Notizen durchsuchte“, so die Anklage, „bemerkte er nach dem Ergebnis der Ermittlungen, dass sie noch lebte, und gab mit der Schrotflinte einen weiteren Schuss auf ihren Kopf ab.“
Andreas S. verfolgt die Anklageverlesung reglos, er trägt ein zerknittertes graues Hemd. Florian V. sitzt als Mitangeklagter einige Meter entfernt. Er starrt teilnahmslos in die Luft, schüttelt mehrmals mit dem Kopf. Dessen Anwalt Christian Kessler sagt später vor Journalisten, die Einlassung des 39-Jährigen sei die „Rache“dafür, dass Florian V. nach der Festnahme mit den Behörden kooperiert habe.
Die Eltern der Opfer bekommen von alldem nichts mit. Sie sind Nebenkläger, der Verhandlung jedoch ferngeblieben. Die detaillierten Schilderungen der Todesumstände ihrer erwachsenen Kinder seien zu belastend, heißt es vonseiten der Anwälte.
Der Prozess soll bis September andauern. Viele Fragen bleiben nach dem Auftakt weiter offen. Die toten Beamten sind derweil unvergessen: Am Tatort erinnert seit einigen Tagen ein Gedenkstein an die jungen Mordopfer.