Thüringische Landeszeitung (Gera)
Angriff auf die Demokratie
Nach dem Mord an Walther Rathenau vor 100 Jahren richtet sich der Blick auf die Burg Saaleck
Vor 100 Jahren schockierte der am 24. Juni 1922 auf offener Straße begangene Mord am damaligen deutschen Außenminister Walther Rathenau deutschlandweit die Öffentlichkeit. Die Tat stand in einer Reihe mit weiteren politischen Morden in der Weimarer Republik, die allesamt von rechtsradikalen Kreisen geplant und begangen worden waren. Der Großteil der damaligen Politiker sah in dem Attentat nicht nur einen Angriff auf die Republik, sondern auch auf die Demokratie. Im Fall Rathenau rückt bei der Aufklärung des Mordes zudem an Thüringens Grenze gelegene Burg Saaleck ins Blickfeld.
Walther Rathenau stammte aus einem wohlhabenden Elternhaus. Seit Vater Emil gründete 1888 in Berlin die „Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft“kurz AEG. Kindheit und Jugend verbrachte Walther Rathenau in Berlin, nach dem Abitur studierte er Physik und Chemie und promovierte in letzterem Fach erfolgreich. Sein eigentlicher Berufswunsch, Reserveoffizier in einem der angesehenen Regimenter der deutschen Armee zu werden, blieb ihm aufgrund seiner jüdischen Herkunft verwehrt. Also half er beim Aufbau der AEG und wurde schließlich zum engsten Berater seines Vaters. Zwar übernahm Walther Rathenau nach dem Tod des Vaters die Firma nicht, doch blieb er ein einflussreicher Industrieller.
Auf der Suche nach einer neuen politischen Heimat
Mit Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 gehörte die AEG zu einem der großen deutschen Rüstungsbetriebe, der unter anderem im Flugzeugbau tätig war. Nachdem Rathenau anfangs den Krieg noch ablehnte, wandelte sich dieses Bild nach und nach, sodass er schließlich teils radikale Ansichten vertrat. So etwa unterstützte er die Forderung, belgische Zivilisten als Zwangsarbeiter nach Deutschland bringen zu lassen, hieß die deutschen Luftangriffe auf London gut und meinte sogar noch im November 1918, dass der Waffenstillstand verfrüht sei. Vielmehr hätten die deutschen Truppen weiterkämpfen sollen, um so eine bessere Verhandlungsposition für Deutschland zu erringen.
Mit dem Zusammenbruch des deutschen Kaiserreiches und der Ausrufung der Republik musste sich auch Walther Rathenau eine neue politische Heimat suchen. Bereits in den Jahren zuvor war er nicht nur wegen seiner politischen Ansichten, sondern auch als Jude zum Teil massiv angefeindet worden. Schließlich führte ihn sein Weg als Wirtschaftssachverständiger zur neugegründeten „Deutschen Demokratischen Partei“(DDP). Seit Ende Mai 1921 war Rathenau Teil der Regierung um Reichskanzler Joseph Wirth. Im Kabinett Wirth II avancierte er dann ab 1. Februar 1922 zum Außenminister. Trotz seiner zum Teil harten Haltung in politischen Fragen wurde Rathenau zum Ziel der nationalistisch-antisemitischen „Organisation Consul“, da er nun als Außenminister und Jude angeblich „alle Fäden in der Hand“halte.
Obwohl Walther Rathenau immer wieder konkrete Drohungen erhielt, verzichtete er auf Polizeischutz. Als er am Vormittag des 24. Juni 1922 von seiner Villa in BerlinGrunewald mit dem Wagen zum Auswärtigen Amt in der Wilhelmstraße fuhr, überholte ihn ein Auto. Aus diesem wurde mit einer Maschinenpistole mehrfach auf Rathenau geschossen. Zudem warfen die Attentäter eine Handgranate in den Wagen Rathenaus, welcher nach kurzer Zeit seinen Verwundungen erlag. Die Täter konnten sich zunächst unerkannt aus Berlin absetzten. Das Entsetzen über die Tat war groß. Beim Bekanntwerden des Attentates kam es im Reichstag zu tumultartigen Szenen, erst nach 20 Minuten konnte die Ordnung wiederhergestellt werden. Reichskanzler Joseph Wirth fand einen Tag später deutliche Worte: „Da steht der Feind, der sein Gift in die Wunden eines Volkes träufelt. – Da steht der Feind – und darüber ist kein Zweifel: dieser Feind steht rechts.“Auch die Zeitungsmeldungen überschlugen sich förmlich. „Das Volk“aus
Weimar titelte zwei Tage nach dem Attentat „Die Republik in Gefahr!“. Vielerorts kam es zu spontanen Gedächtnisfeiern und Solidaritätsbekundungen. In Jena wurde beispielsweise im Volkshaus eine Trauerfeier für Walther Rathenau abgehalten.
Lichtschein in der Burg Saaleck macht Touristen misstrauisch
Nach dem Mord kam es zur bis dato größten Polizeifahndung der deutschen Geschichte. Den Beamten gelang es zwar relativ schnell, einige Mitglieder der „Organisation Consul“zu verhaften. Ihnen wurde eine Mittäterschaft vorgeworfen. Doch die eigentlichen Attentäter waren weiter auf der Flucht. Es handelte sich dabei um den 23-jährigen Studenten Erwin Kern und den 26-jährigen Maschinenbauingenieur Hermann Fischer. Ihnen gelang es zunächst, sich in Richtung Elbe abzusetzen. Hier war man ihnen aufgrund von landesweit verteilten Fahndungsplakaten auf der Spur und sie mussten fliehen. Schließlich kamen sie ins Grenzgebiet zwischen dem Land Thüringen und der preußischen Provinz Sachsen, dem heutigen Sachsen-Anhalt. Unterschlupf fanden sie auf Burg Saaleck bei Bad Kösen. Burgherr, Hans Wilhelm
Stein, war ebenfalls Mitglied der „Organisation Consul“und versteckte die beiden. Aufgeflogen sind sie nur deshalb, weil zwei Touristen auf der nahen Rudelsburg im Wohnturm auf Saaleck Licht sahen – und das, obwohl sich Hans Wilhelm Stein zu einer Reise abgemeldet hatte. Die herbeigerufene Polizei stellte Kern und Fischer am 17. Juli, wobei ersterer durch einen nicht gezielten Schuss in den Kopf tödlich getroffen wurde und zweiterer sich anschließend selbst richtete. In einem späteren Prozess gegen die verhafteten Mitglieder der „Organisation Consul“wurden teils hohe Haftstrafen verhängt.
Als unmittelbare Folge erließ Reichspräsident Friedrich Ebert am Tag des Attentats eine Notverordnung und wenig später, am 21. Juli 1922, das Republikschutzgesetz, welches nicht nur politische Morde stärker bestrafte, sondern auch Vereinigungen verbot, die sich bewusst gegen die politische Ordnung der Republik stellten.
Walther Rathenaus Tod wurde bis zum Ende der Weimarer Republik mehrheitlich als Opfer für die Demokratie wahrgenommen. Noch heute tragen in zahlreichen deutschen Städten Straßen, Plätze und Schulen seinen Namen.