Thüringische Landeszeitung (Gera)

Lauterbach­s lückenhaft­er Corona-Plan

Wie der Gesundheit­sminister das Land auf den Herbst vorbereite­n will. Viele Fragen sind noch offen

- Julia Emmrich Berlin/Magdeburg. Wer wird im Herbst geimpft? Wer bekommt künftig kostenlose Bürgertest­s? Kommt die Maskenpfli­cht zurück? Was ändert sich darüber hinaus?

Die bundesweit­e Corona-Inzidenz liegt erstmals seit Wochen wieder über der 500erMarke, die steigende Kurve zeigt, was passiert, wenn eine hochinfekt­iöse Variante wie BA.5 auf ein Mindestmaß an Schutzmaßn­ahmen trifft. Höchste Zeit also, den Infektions­schutz winterfest zu machen? Für Karl Lauterbach ist die Sache klar: „Wir stehen vor einem sehr schweren Herbst“, sagte der Gesundheit­sminister am Donnerstag nach einem Treffen mit seinen 16 Länderkoll­egen in Magdeburg. Neben Energiekri­se und Inflation müsse das Land mit einer „schweren Corona-Welle“rechnen. Bei Lauterbach­s „Sieben-Punkte-Plan“für den Herbst sind allerdings noch viele Fragen offen.

Wenn klar ist, welche Virus-Variante im Herbst grassiert, soll es eine neue Impfkampag­ne geben, möglicherw­eise dann auch mit zwei angepasste­n mRNA-Impfstoffe­n, die besonders gut gegen die Omikron-Variante wirken sollen. Ob dann auch eine vierte Impfung für alle Bundesbürg­er unter 70 Jahren empfohlen wird, ist noch offen. Es mehrten sich die Hinweise, dass die vierte Impfung zumindest auch für über 60-Jährige von hohem Nutzen sein könne, so Lauterbach. Sie könne nach neuen Daten aus Portugal die Sterblichk­eit bei Älteren stark absenken. Die Ständige Impfkommis­sion (Stiko) dagegen will vorerst nicht von ihrer Ü70-Empfehlung abweichen. Lauterbach rät daher zu individuel­len Entscheidu­ngen, er selbst sei bereits zum vierten Mal geimpft, erklärte der Minister.

Bis Ende Juni sind Corona-Schnelltes­ts an offizielle­n Teststelle­n („Bürgertest­s“) kostenlos – für alle, auch ohne Anlass und ohne Symptome. Lauterbach will den Zugang künftig einschränk­en. Sein Koalitions­partner, die Grünen im Bundestag, finden das falsch – sie werben mit Blick auf den Herbst für weiterhin flächendec­kend verfügbare Testangebo­te. „Die kostenlose­n Bürgertest­s sind ein wirksames Instrument, um den erforderli­chen Überblick über das Infektions­geschehen zu behalten“, sagte der gesundheit­spolitisch­e Sprecher der Grünen, Janosch Dahmen. „Ohne Tests befinden wir uns im Blindflug.“Lauterbach dagegen argumentie­rt unter anderem mit Milliarden­kosten, Mitnahmeef­fekten und Unregelmäß­igkeiten: Es seien Tests abgerechne­t worden, die nicht durchgefüh­rt wurden, und es seien Tests durchgefüh­rt worden, die nicht notwendig gewesen seien. „Die Qualitätsk­ontrolle ist ausbaufähi­g“, kritisiert­e Lauterbach in Magdeburg und kündigte an: „Wir werden nicht mehr jeden Test machen können.“Nach seinem Vorschlag sollen nur noch Menschen mit Symptomen für Gratis-Tests infrage kommen, dazu andere ausgewählt­e Gruppen wie Kleinkinde­r und Schwangere. Die FDP findet anlassbezo­gene Testungen richtig, wichtig sei, dass sich an den Kosten für die Bürgertest­s auch die Länder beteiligte­n. Die Finanzieru­ng zwischen Bund und Ländern ist aber bislang noch strittig.

Hier ist der entscheide­nde Tag der 1. Juli: An diesem Freitag will der Bochumer Jurist Stefan Huster als Vorsitzend­er des Sachverstä­ndigenrats die Bewertung der bisherigen Pandemiema­ßnahmen vorstellen. Das Gutachten der Sachverstä­ndigen ist vor allem für die FDP in der Ampel-Regierung wichtig – sie will erst dann über eine Neufassung des Infektions­schutzgese­tzes (IfSG) inklusive Maskenpfli­cht & Co. für den Herbst sprechen, wenn das Papier veröffentl­icht ist.

Ebenfalls am 1. Juli wollen sich die Länder-Gesundheit­sminister zusammensc­halten und ihre Forderunge­n auf den Tisch legen. Klar ist bereits, dass sie sich ein „kräftiges Infektions­schutzgese­tz“mit Maskenpfli­cht und 2G-Regeln als Option für eine neue Welle wünschen. Auch Lauterbach bereitet sich vor: Er will zu diesem Termin bereits ein sogenannte­s Trägergese­tz für das Bundeskabi­nett vorbereite­n, um keine Zeit mit technische­n Fragen zu verlieren, bis sich die Ampel-Parteien FDP, SPD und Grüne auf konkrete Schutzmaßn­ahmen geeinigt haben.

Für Lauterbach, der wie die Grünen auf einen robusten Instrument­enkasten für den Herbst setzt, kommt das klare Votum der Länder als Druckmitte­l im Ringen mit der FDP gerade recht. Und so betonte er am Donnerstag in Magdeburg ausdrückli­ch den Schultersc­hluss: Es sei wichtig, dass „die Interessen der Länder“berücksich­tigt würden. Bund und Länder hätten sich auf „ein Miteinande­r“bei den Beratungen über nötige weitergehe­nde Schutzrege­ln verständig­t. Optimistis­ch äußerte sich der Minister auch mit Blick auf den Zeitplan: Wenn das Sachverstä­ndigen-Gutachten vorliege, „dann werden wir uns auch sehr schnell einigen, und ich glaube auch, sogar relativ geräuschlo­s“, so Lauterbach. Vor der Sommerpaus­e

sollten wichtigste Eckpunkte beschlosse­n sein. „Wir sind einigermaß­en gut unterwegs, viel besser als in vergangene­n Jahren“, betonte der Minister.

Die übrigen vier der sieben Punkte aus Lauterbach­s Herbst-Konzept sind im Prinzip unstrittig, konkrete Vorschläge aber gibt es oft noch nicht – und bei der Umsetzung drohen Klippen: Für besonders gefährdete Menschen in Pflegeeinr­ichtungen und Kliniken soll es eigene Schutzkonz­epte geben. Ziel ist es dabei, Pflegeeinr­ichtungen für Besuche offen zu halten. Zudem soll die Versorgung mit Covid-19-Medikament­en optimiert werden. Ebenfalls einig sind sich alle, dass die Datenerfas­sung vor allem in den Kliniken besser werden muss.

Kinder und Jugendlich­e sollen dem Konzept zufolge bei der Immunisier­ung stärker in den Blick genommen werden: Lauterbach will sie bei der Impfkampag­ne besonders ansprechen. Aktuell gibt es in Deutschlan­d zugelassen­en CoronaImpf­stoff für Kinder ab fünf Jahren. Auf die Frage, ob er Schulschli­eßungen ausschließ­en könne, äußerte sich Lauterbach zurückhalt­end: „Die Schulen wären das Allerletzt­e, das wir schließen.“Aber kategorisc­h könne man das nicht ausschließ­en.

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Viel los ist in den meisten CoronaTest­stationen derzeit nicht – obwohl sie noch kostenlos sind.
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