Thüringische Landeszeitung (Gera)

„Kulturhist­orisch ein großer Verlust“

Franziska Zschäck, Chefin des Freilichtm­useums Hohenfelde­n, bangt um die Zukunft vieler Dorfhäuser

-

Hohenfelde­n.

Die politische Debatte über energetisc­he Gebäudesan­ierungen hat vor allem Neubauten im Blick – das sagt die Leiterin des Freilichtm­useums Hohenfelde­n, Franziska Zschäck. Viele staatliche Programme und Förderrich­tlinien passten nicht auf alte, oftmals denkmalges­chützte Gebäude. Ein Umdenken sei notwendig, sagt sie im Interview. Wie ist der Zustand der Ortsbilder in Thüringens Dörfern?

Noch ist er gut. Aber er wird immer schlechter. Es gibt Befürchtun­gen, wonach allein bei den unter Denkmalsch­utz gestellten dörflichen Gebäuden in Thüringen mittelfris­tig mit einem Verlust von 50 Prozent zu rechnen ist, manche sprechen sogar von 80 Prozent. Es ist sehr unterschie­dlich und kommt darauf an, in welcher Region wir uns bewegen. Wo ist es denn gut und wo nicht mehr?

Beispielsw­eise in Südthüring­en sind die historisch­en Ortskerne noch vielerorts intakt. Im Eichsfeld sind mir dagegen viel mehr ortsuntypi­sche Häuser aufgefalle­n, die in den vergangene­n Jahren in den Ortskernen gebaut worden sind. Woran liegt das?

Das lässt sich pauschal schwer beantworte­n. Vielleicht hängt es mit einer besonderen Heimatverb­undenheit der Südthüring­er zusammen. Grundsätzl­ich aber denke ich, dass es auch etwas mit mangelnder öffentlich­er Sensibilis­ierung dafür zu tun hat, wie wichtig baulich intakte Dorfbilder für die Attraktivi­tät der Orte sind. Und auch mit dem Vorurteil, dass es sich in einem alten Haus schlechter wohnt und lebt als in einem Neubau. Sind Bausünden nicht auch eine Frage des Geldes? Holzspross­enfenster sind teurer als Kunststoff­fenster, Normmaße doch preiswerte­r als diejenigen der historisch­en Originale?

Ja, das ist bei den Anschaffun­gskosten richtig. Aber ob das auch für den Wert von Häusern gilt oder bei komplexen Sanierunge­n, das muss immer der Einzelfall zeigen. Die Unterschie­de zwischen Alt- und Neubau zeigen sich beispielsw­eise beim Thema Dämmen. Sie werden einen 300 Jahre alten Fachwerkba­u nicht zu einem Niedrigene­rgiehaus umbauen können, wenn es seinen Charakter nicht gänzlich verlieren soll. Alle Energieein­sparverord­nungen sind darauf ausgericht­et, dass die Wärme nicht aus den Innenräume­n entweicht. Aber bei alten Häusern ist es auch wichtig, dass Wärme von außen eben auch ins Haus gelangen kann. Das wird in den Förderbedi­ngungen überhaupt nicht berücksich­tigt. Und man sollte endlich anerkennen, dass der Umbau eines alten Hauses nachhaltig­er und ökologisch­er ist als Abriss und Neubau. Aber gerade bei den Energiepre­isen müssen die Häuser doch dringend gedämmt werden?

Richtig. Aber die Eigentümer brauchen hierfür gute Beratungsa­ngebote und spezielle Lösungsans­ätze. Das sehe ich in Thüringen nicht.

Selbst den Lehrstuhl für ländliches Bauen an der Weimarer Hochschule für Bauwesen hat man vor fast 20 Jahren abgeschaff­t. Was wiederum ein Grund dafür sein könnte, dass es zu wenige Architekte­n gibt, die sich auf die Sanierung, den Umbau und die Entwicklun­g alter Höfe spezialisi­ert haben. Alte Hofanlagen, sie sprechen es an, sind ja auch schon oftmals wegen ihrer Größe ein Problem.

Gerade Scheune und Ställe sind in den vergangene­n Jahrzehnte­n massenweis­e abgerissen worden, weil sie nicht mehr gebraucht wurden. In Regionen, in denen der demografis­che Wandel hart zugeschlag­en hat, baut niemand seine Scheunen mehr aus. Es gibt Dörfer in Nordthürin­gen, da wohnen in der Mehrzahl nur noch alte alleinsteh­ende Menschen in den historisch­en Bauernhöfe­n. Die Kinder sind weggezogen. Da baut keiner mehr eine Scheune zu Wohnraum um. Das verfällt bis zum Abbruch. Aber wenn ein Vierseiten­hof auch nur einen Teil seiner Nebengebäu­de verliert, ist es eben kein Vierseiten­hof mehr. Kulturhist­orisch ist das dann ein großer Verlust. Und davon haben wir viele. Ist das den Bewohnern so bewusst?

Oftmals nicht. Grundsätzl­ich fehlt oft genug auch das Verständni­s dafür, was eigentlich mit dem Erhalt erreicht werden soll. Als hier in Hohenfelde­n das gesamte Dorf unter Flächenden­kmalschutz gestellt wurde, war die Verunsiche­rung groß. Die Hauseigent­ümer befürchtet­en, auf ihren Grundstück­en eingeschrä­nkt zu werden. Inzwischen glaube ich, dass die allermeist­en den Wert eines bauhistori­sch intakten Dorfkerns zu schätzen wissen. Wenn die Häuser intakt sind und auch die öffentlich­en Bereiche sensibel und dörflich gestaltet werden, lebt es sich schöner im Ort. Man empfindet den Ort als Heimat, identifizi­ert sich damit. Und das gilt dann auch für das Dorfleben insgesamt. Hohenfelde­n liegt nun aber auch in einer Gegend, die boomt, ist Pendlersta­dt zwischen Weimar und Erfurt.

Natürlich steht jeder Hauseigent­ümer immer auch vor der Entscheidu­ng: Was will ich? Was ist sinnvoll für mich? Und was kann ich mir leisten? Da haben wir in Mittelthür­ingen andere Voraussetz­ungen als etwa im Kyffhäuser­kreis. Rund um

Erfurt lassen sich auch alte Häuser noch verkaufen. Hier kann es sich auch noch lohnen, alte Scheunen und Stallgebäu­de zu Mietwohnun­gen um- und auszubauen, wie es beispielsw­eise in Tiefengrub­en geschehen ist. In den struktursc­hwachen Gebieten, in denen oft genug schon die Wohnhäuser leer stehen, sehe ich diese Möglichkei­ten nicht. Das klingt fast schon, als würden wir unsere alten Ortskerne verlieren?

Wenn wir unsere historisch­en Ortskerne erhalten wollen, auch unterhalb der Schwelle des Denkmalsch­utzes, werden wir um öffentlich­e Förderprog­ramme nicht herumkomme­n. Das betrifft ja keineswegs nur Thüringen. Es braucht mehr Beratungsa­ngebote für Hauseigent­ümer, aber auch für Kommunen, sowohl für die Möglichkei­ten der Sanierung als auch in Bezug auf die Nutzungsmö­glichkeite­n. Es braucht Förderprog­ramme, die den Mehraufwan­d beim Bauen im Altbau ausgleiche­n.

Und ich könnte mir auch vorstellen, dass selbst die Beauftragu­ng eines Architekte­n, der sich mit Altbauten auskennt, gefördert werden könnte. Bleiben die Hauseigent­ümer – gerade in dieser Phase der immer weiter steigenden Baukosten auf sich allein gestellt –, wird die Scheune abgerissen und eine vorgeferti­gte Betongarag­e auf das Grundstück gestellt. Das ist finanziell vielleicht preiswert, wird aber im Hinblick auf den Kulturgutv­erlust, den Verlust an Geschichte und die Einbußen für die Attraktivi­tät eines Ortes letztendli­ch teurer. epd

 ?? ??
 ?? ZSCHÄCK / EPD ?? Franziska Zschäck, Leiterin des Freilichtm­useums Hohenfelde­n
ZSCHÄCK / EPD Franziska Zschäck, Leiterin des Freilichtm­useums Hohenfelde­n

Newspapers in German

Newspapers from Germany