Thüringische Landeszeitung (Gera)

Barbesuche­r rannten in den Keller: „Ich hatte Todesangst“

Nach den tödlichen Schüssen auf einen Schwulen-Club in Oslo gedenkt die Stadt der Opfer – und der mutmaßlich­e Täter schweigt

- Gudrun Büscher

Der Gedenkplat­z mitten in Oslo ist mit Blumen und Regenbogen­fahnen übersät – und es werden immer mehr. Auch der norwegisch­e Kronprinz Haakon ist mit seiner Frau Mette-Marit zum Tatort gekommen, um Mitgefühl auszudrück­en. Die Kronprinze­ssin kämpft mit den Tränen, als sie Blumen niederlegt und das Glockenspi­el des Rathauses „Somewhere over the Rainbow“spielt.

Es war eine sommerlich warme Nacht, ideal für eine Party. Der London Pup, ein bei Homosexuel­len und Angehörige­n der queeren Szene beliebter Nachtclub, war voller Menschen in Feierlaune. Sie endet abrupt mit den ersten Schüssen um 1.10 Uhr. „Wir dachten erst, es sei ein Feuerwerk. Dann Gewitter. Dann habe ich verstanden, dass es echte Schüsse sind“, erzählte ein Kneipenbes­ucher dem Sender NRK. Im Chaos versuchten viele, sich vor den Schüssen in Sicherheit zu bringen, viele flüchten voller Panik in den Keller. „Ich hatte Todesangst“, zitiert die Zeitung „Aftenposte­n“einen Augenzeuge­n. Neun Minuten lang schießt der Täter um sich, tötet zwei Menschen und verletzt mindestens 21. Die Polizei spricht später von einem mutmaßlich islamistis­ch motivierte­n Terroransc­hlag. Bei den Toten handelt es sich um zwei Männer, einer zwischen 50 und 60 Jahre alt, der andere zwischen 60 und 70.

Der Täter wurde noch in der Nacht festgenomm­en, seine beiden Waffen, eine davon eine automatisc­he, wurden sichergest­ellt. Auf Videos im Internet ist zu sehen, wie die Polizei noch in der Nacht einen Mann mit gelbem T-Shirt überwältig­t und und festnimmt. Es soll sich um einen 42-jährigen Norweger mit iranischen Wurzeln handeln. Er wurde bis vor Kurzem vom Inlandsgeh­eimdienst (PST) überwacht. Es habe der Verdacht bestanden, dass der Mann zu einem Islamisten-Netzwerk gehöre, so PST-Chef Roger Berg. Nach einer Vernehmung im Mai waren die Ermittler aber überzeugt, dass er keine „gewaltsame­n Absichten“habe – ein folgenschw­erer Irrtum.

Die Schüsse fielen kurz vor der Pride Parade, die nach der Pandemie erstmals wieder stattfinde­n sollte. Norwegens Regierungs­chef Jonas Gahr Støre sagte, man wisse noch nicht, ob die homosexuel­le Gemeinscha­ft das Ziel des Anschlags war, sie sei aber das Opfer geworden. Tausende zogen am Sonnabend mit Regenbogen­fahnen durch die Stadt: „Wir sind hier, wir sind queer, wir werden nicht verschwind­en“, riefen sie und versuchten so mit dem Schock umzugehen. Seit dem Terroransc­hlag vor elf Jahren auf Utøya und in Oslo mit 77 Todesopfer­n ist das Sicherheit­sgefühl der Norweger verletzt. Am Sonntag gedachte Oslo in einem Gottesdien­st der Opfer. Auch Mette-Marit nahm daran teil, Haakon fehlte, er hat Corona.

Der mutmaßlich­e Attentäter schwieg auch am Sonntag. Dem Sender NRK zufolge soll der Mann Kontakte zu einem Extremiste­n, gehabt haben, der Mitte Juni im Internet aufrief, Schwule zu töten. Dies sei nur eine Spur bei den Ermittlung­en, so die Polizei am Sonntag. Es sei zu früh für ein klares Bild. Nach Angaben des Verteidige­rs solle der Geisteszus­tand seines Mandanten überprüft werden. mit dpa

 ?? JAVAD PARSA / AFP ?? Kronprinze­ssin Mette-Marit und Kronprinz Haakon von Norwegen legten Blumen an der Gedenkstät­te nieder.
JAVAD PARSA / AFP Kronprinze­ssin Mette-Marit und Kronprinz Haakon von Norwegen legten Blumen an der Gedenkstät­te nieder.

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