Thüringische Landeszeitung (Gera)

Nadeln für die ganze Welt

Qualität aus Thüringen: Firma Engelmann hatte 1913/1914 in Heiligenst­adt 500 Beschäftig­te

- Immanuel Voigt Mühlhausen/Heiligenst­adt.

Bescheiden waren die Anfänge 1870, als Franz Engelmann in Mühlhausen eine Fabrik für Stecknadel­n und Drahterzeu­gnisse gründete, obwohl er selbst gar nicht vom Fach war. Der Landwirt war einer jener typischen Vertreter der „Gründerzei­t“, die sich auf neue Geschäftsf­elder wagten.

Als sich ihm 1873 dann die Chance bot, seinen Betrieb nach Heiligenst­adt zu verlegen, zögerte Engelmann nicht. Zum einen war das neue Firmengelä­nde günstig für die Produktion, zum anderen konnten die Waren aufgrund des niedrigere­n Lohnniveau­s hier billiger hergestell­t werden.

Die größten Konkurrent­en für Engelmanns Firma saßen in Frankreich und England, da hier die Nadelprodu­ktion zum Teil schon automatisi­ert ablief. Somit musste sich der Gründer überlegen, wie er am internatio­nalen Handel teilhaben könnte. Entscheide­nd war dabei sein Sohn Hugo, den der Vater für die Übernahme des Betriebes begeistern konnte. Deshalb ging Hugo Engelmann für einige Zeit nach Frankreich und lernte dort die Nadelfabri­kation und die Produktion­smaschinen gründlich kennen.

Als er 1881 nach Heiligenst­adt zurückkehr­te, stieg Hugo Engelmann in den Betrieb des Vaters ein und übernahm diesen nur zwei Jahre später.

Bis zum Ende der 1880er-Jahre wurden Steck-, Strick- und Haarnadeln, auch Ösen und Haken erfolgreic­h hergestell­t und in zahlreiche Länder der Welt exportiert. Bis zur Jahrhunder­twende kamen weitere Produkte hinzu, etwa Korkenzieh­er, Gürtelschn­allen, Reißzwecke­n oder Hundehalsb­änder.

Die Fabrik in Heiligenst­adt expandiert­e über die Jahre kräftig, was sowohl zahlreiche Erweiterun­gsbauten als auch einen Anstieg der

Mitarbeite­r zur Folge hatte. 1913/ 1914 arbeiteten bei Engelmann 500 Menschen.

Während des Ersten Weltkriege­s änderte sich für die Engelmann AG wenig, ihre Waren blieben weiterhin gefragt. Anders sah es dagegen in der Zeit der Weimarer Republik aus. Weltweite Überproduk­tion von Kleinmetal­lwaren und wirtschaft­liche Unsicherhe­iten durch die Inflation sorgen für kaum gefüllte Auftragsbü­cher.

Einzig die Aufnahme der Reißversch­lussproduk­tion 1928/1929 brachte den Betrieb wieder etwas auf die Beine. Wirklich erholen sollte sich die Engelmann AG erst Mitte der 1930er-Jahre, als es den Heiligenst­ädtern gelang, wieder weltweit, etwa nach China, die USA, nahezu ganz Europa und auch nach Südamerika zu exportiere­n. Das Hauptgesch­äft bestand noch immer in der Herstellun­g von Steck-, Haarund Sicherheit­snadeln und von Reißversch­lüssen. Auch im Zweiten

Weltkrieg blieb die Produktion gleich, nur dass jetzt viele Waren an das Militär geliefert wurden. Neu kam ab 1939 die Produktion von Schlauchsc­hellen für den Automobilu­nd Flugzeugba­u hinzu, die dann als „kriegswich­tig“galt.

Wie viele andere Firmen wurde auch die Engelmann GmbH nach dem Ende des Zweiten Weltkriege­s in der DDR 1952 verstaatli­cht. Im VEB „Kleinmetal­lwarenwerk“lief gerade aufgrund des Rohstoffma­ngels die Produktion aber nur langsam an. Ab 1960 produziert­e man Plastikrei­ßverschlüs­se, und der VEB wurde weiter ausgebaut. 1970 entstand das Kombinat „Solidor“, dessen Stammwerk die einstige Engelmann AG bildete. Wichtig blieb die Reißversch­luss- und Nadelprodu­ktion, aber auch die Herstellun­g von Angelhaken.

Nach 1990 zerfiel das Kombinat in mehrere Einzelbetr­iebe, die zum Teil bis heute in Heiligenst­adt produziere­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany