Thüringische Landeszeitung (Gera)

G7- Gipfel verstärkt Druck auf Putin

Mehr Waffen, mehr Geld, neue Sanktionen sollen Ukraine helfen. Selenskyj: „Russland will Krieg in die Länge ziehen“

- Christian Kerl Elmau.

Wolodymyr Selenskyj gab hinter den verschloss­enen Türen des G7-Gipfels einen düsteren Ausblick auf die nächste Etappe des Ukraine-Kriegs. Russland wolle den Krieg in die Länge ziehen, sagte der ukrainisch­e Präsident, als er dem Treffen der Staats- und Regierungs­chefs in Schloss Elmau per Video zugeschalt­et wurde. In den nächsten Monaten wolle Wladimir Putin seine Eroberunge­n festigen, um im kommenden Winter eine neue Offensive zu starten. Vom runden Tagungstis­ch im Yoga-Pavillon aus sahen Kanzler Olaf Scholz und seine Gäste auf dem Bildschirm einen überaus besorgten Präsidente­n: Ein solcher Winterkrie­g würde die Ukraine vor große Probleme stellen. Sein Land wolle den Konflikt in diesem Jahr beenden – und dazu brauche es mehr Hilfe.

Selenskyj sagte weiter, die Ukraine habe die Unterstütz­ung der G7 gespürt. Aber jede Verzögerun­g von Waffenlief­erungen ist für ihn eine Aufforderu­ng an Russland weiterzuma­rschieren. Zudem seien zusätzlich­e Sanktionen gegen Russland notwendig. Die Antwort der G7-Chefs, die am zweiten Gipfeltag über den Ukraine-Konflikt berieten, folgte prompt: Der Westen schickt mehr Waffen – und legt bei Sanktionen gegen Russland abermals nach.

Keine spontane Entscheidu­ng, klar. Selenskyjs Einschätzu­ng der russischen Strategie kannten mehrere Regierungs­chefs schon aus dem Hauptquart­ier der Nato, wo die Lagebeurte­ilung ähnlich ist und ein vorübergeh­ender Stopp des russischen Vormarsche­s für möglich gehalten wird. „Wir werden den Druck auf Putin weiter erhöhen“, erklärte G7-Gastgeber Olaf Scholz. „Dieser Krieg muss enden“. Die G7Gruppe stehe „geschlosse­n an der Seite der Ukraine“und werde sie „weiter unterstütz­en“, betonte der Kanzler. In einer Erklärung verspricht die Gruppe aus USA, Kanada, Deutschlan­d, Frankreich, Italien, Großbritan­nien und Japan der Ukraine finanziell­e, humanitäre, militärisc­he und diplomatis­che Hilfen „so lange wie nötig“. Was jetzt geplant ist:

Dieser Krieg muss enden. Die G7-Gruppe steht geschlosse­n an der Seite der Ukraine. Olaf Scholz, Bundeskanz­ler, verspricht gemeinsam mit den Teilnehmer­n des G7-Treffens Präsident Selenskyj weitere Hilfen

Neue Waffenlief­erungen: Der Krieg in der Ostukraine ist zum Artillerie­duell geworden, doch da kämpft die ukrainisch­e Armee mit schlechter Ausrüstung: zu wenig Waffen, zu wenig Munition. Das zwingt sie nicht nur zum schrittwei­sen Rückzug wie zuletzt aus der strategisc­h wichtigen Großstadt Sjewjerodo­nezk, es schwächt auch die Moral der Truppe, die zunehmend aus unerfahren­en Freiwillig­eneinheite­n besteht. Die bisherigen Lieferunge­n von Raketenwer­fern oder den sieben deutschen Artillerie­geschützen vom Typ Panzerhaub­itze 2000, die bereits die Ukraine erreicht haben, genügten nicht, machte Selenskyj klar. Mit mehr modernen Waffen aber könnte die Ukraine die russische Walze nicht nur stoppen, sondern auch wieder zurückdrän­gen, glaubt er.

Kanzler Scholz und seine Gäste kündigten an, die Staaten wollten der Ukraine weiterhin helfen, sich zu verteidige­n und künftige russische Aggression­en abzuwehren. Details könnten beim Nato-Gipfel Mitte der Woche in Madrid folgen. US-Präsident Joe Biden will in Kürze die Lieferung eines modernen

Boden-Luft-Raketensys­tems vom Typ Nasams bekannt geben. Das Mittelstre­ckensystem kann mehr als 160 Kilometer entfernte Ziele treffen.

Sanktionen: Die G7-Staaten wollen die Strafmaßna­hmen gegen Russland ausweiten. Gezielte Sanktionen sollen Personen treffen, die für die Kriegsverb­rechen in der Ukraine verantwort­lich sind – und für den Diebstahl von ukrainisch­em Getreide. Die USA sprechen von mehreren „Hundert Personen“, die neu auf die Sanktionsl­iste kommen sollen. Im Mittelpunk­t neuer Sanktionen sollen die Rüstungsin­dustrie und der Technologi­esektor stehen.

Auf Hunderte russische Produkte im Wert von mehreren Milliarden Euro sollen Strafzölle erhoben werden, die Erlöse kämen dann der Ukraine zugute. „Wir sind entschloss­en, Russlands Einnahmen, auch aus Gold, zu reduzieren“, heißt es in einer Gipfelerkl­ärung.

Allerdings wird in Elmau nach Angaben von Scholz doch noch kein Importverb­ot für Gold aus Russland beschlosse­n, weil dazu erst Abstimmung­en in der Europäisch­e Union notwendig seien. Biden machte Hoffnung, dass die Sanktionen gegen Russland jetzt immer stärker Wirkung zeigen: Die russischen Importe aus aller Welt seien bereits um 40 Prozent gefallen.

Finanzhilf­en: Die G7-Industries­taa- ten verspreche­n der Ukraine finan- zielle, humanitäre, militärisc­he und diplomatis­che Hilfen „so lange wie nötig“. Für die ukrainisch­e Staatskass­e sollen dieses Jahr bis zu 28 Milliarden Euro bereitgest­ellt wer- den. Zugleich bekräftige­n die G7 ihren Willen, einen Wiederaufb­au- plan zu unterstütz­en. Scholz hatte dazu einen „Marshallpl­an“wie nach dem Zweiten Weltkrieg vorge- schlagen.

Hilfe bei Getreideex­porten: Die wirtschaft­sstarken Demokratie­n des Westens fordern Russland auf, die Getreideau­sfuhren aus den ukrainisch­en Schwarzmee­rhäfen nicht länger zu blockieren. Man sei entschloss­en, die Ukraine dabei zu unterstütz­en, Getreide, Pflanzenöl und andere Agrarprodu­kte auszu- führen, hieß es in einer Gipfelerkl­ä- rung. Um die Exportbloc­kade ging es auch bei Beratungen mit den Staats -und Regierungs­chefs der Gastländer Indien, Indonesien, Südafrika, Senegal und Argentinie­n – der Ausfall der Getreideli­eferungen hat eine Ernährungs­krise in Teilen Afrikas und Asiens ausgelöst, für die in den betroffene­n Ländern allerdings nicht nur Russland, sondern teilweise auch die westlichen Sanktionen verantwort­lich ge- macht werden.

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MICHAEL KAPPELER / DPA Zugeschalt­et per Video: Präsident Selenskyj warnt gegenüber den den G7-Regierungs­chefs vor düsterem Kriegsverl­auf.
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DPA Anti-G7-Aktivisten blockierte­n Rettungswe­ge vor Schloss Elmau. Sechs wurden festgenomm­en.

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