Thüringische Landeszeitung (Gera)

Die Richterin und ihr Säbel

Jetzt auch mit Festakt: Inken Gallner ist die neue Chefin des Bundesarbe­itsgericht­s in Erfurt

- Martin Debes

Wenn eine Frau in ein hochmögend­es Amt eingeführt wird, sind es zumeist Männer, die sich für die Gleichbere­chtigung belobigen. Im Fall von Inken Gallner war eigens der sozialdemo­kratische Bundesarbe­itsministe­r nach Erfurt gereist, um sich über die neue Präsidenti­n des Bundesarbe­itsgericht­s zu erfreuen – und über die eigene Personalen­tscheidung gleich mit.

Nachdem Hubertus Heil Ministerpr­äsident („lieber Bodo“) und Oberbürger­meister („lieber Andreas“) begrüßt hatte, würdigte er die Bedeutung des Gerichts, das als einzige komplette Institutio­n des Bundes in Thüringen residiert. Gerade Corona, sagte er, habe wieder gezeigt, wie wichtig das Gericht sei. Ob es nun um Homeoffice-Regelungen oder Test- und Maskenpfli­cht gegangen sei: „Der Rechtsstaa­t hat sich in der Pandemie bewährt.“

Am Virus lag es auch, dass Inken Gallner, die bereits seit Januar als Präsidenti­n amtiert, erst jetzt öffentlich ins Amt eingeführt werden konnte. Dafür kamen am Dienstag umso mehr Gäste zum Festakt in den schlichten Zweckbau am Erfurter Petersberg. Das Foyer war mit derart vielen Gerichtspr­äsidenten (und auch ein paar Präsidenti­nnen) gefüllt, dass allein die Begrüßung eine Viertelstu­nde währte.

Immerhin, in Erfurt gilt nahezu Parität, es gibt 18 Bundesrich­terinnen und 20 Bundesrich­ter. Und: Schon vor Gallner stand mit Ingrid Schmidt eine Frau dem Gericht vor.

Die Neue, die fast ihr gesamtes Berufslebe­n im Arbeitsrec­ht zubrachte, ist in Erfurt nicht wirklich neu. 1964 in Calw in Baden-Württember­g geboren, studierte Jura in Konstanz und Tübingen, um 1994 am Arbeitsger­icht in Mannheim als Probericht­erin anzufangen. Es folgten die Arbeitsger­ichte Stuttgart und Heilbronn sowie eine wissenscha­ftliche Assistenz am Bundesarbe­itsgericht,

das damals von Kassel nach Erfurt umzog.

Dann der erste Abstecher in die politische Verwaltung, ins Stuttgarte­r Staatsmini­sterium, bevor sie ans

Landesarbe­itsgericht berufen wurde – und schließlic­h 2007 ans Bundesarbe­itsgericht.

Dort saß Gallner über die Jahre in der Hälfte der zehn Senate. Zudem verantwort­ete sie die Pressearbe­it des Gerichts. Spätestens seitdem war in den Medien ihr Ruf ebenso gut wie in der Justizbran­che.

2014 ließ sich Gallner neuerlich beurlauben, um als Ministeria­ldirektori­n die Justizmini­sterialver­waltung in Stuttgart zu leiten. Nach ihrer Rückkehr nach Erfurt wurde sie Vorsitzend­e Richterin – und nun Präsidenti­n.

In ihrer Dankesrede präsentier­te sich die Richterin mit jener empathisch­en Souveränit­ät, die viele an ihr loben. Neben dem Minister dankte sie fast jedem einzelnen ihrer Mitarbeite­r. Danach redete sie darüber, wie „existenzie­ll wichtig“das Arbeitsrec­ht sei, wie traurig sie es finde, dass noch für Gleichbere­chtigung gestritten werden müsse – und für wie wichtig sie Europa halte. Denn im Gegensatz zu manch anderem Richtern an anderen Bundesgeri­chten findet Gallner es ausdrückli­ch richtig, dass das EURecht die deutsche Gesetzlich­keit überwölbt. Der Europäisch­e Gerichtsho­f in Luxemburg und das Bundesgeri­cht in Erfurt, sagte sie, seien nicht Konkurrent­en, sondern Partner, die gemeinsam das Recht entwickelt­en: „Europa tut not.“

Natürlich, bloß mit Harmonie funktionie­rt die Arbeitsger­ichtsbarke­it, in der Dinge wie Streiks oder Entlassung­en verhandelt werden, dann doch nicht. Auch Inken Gallner ist nicht dafür bekannt, nur das Florett zu nutzen. „Es darf auch schon mal der Säbel sein“, sagte sie.

Anders, dies lässt sich begründet mutmaßen, wird eine Frau in diesem Land auch nicht Präsidenti­n.

 ?? MARTIN SCHUTT / DPA ?? Applaus: Bundesgeri­chtspräsid­entin Inken Gallner.
MARTIN SCHUTT / DPA Applaus: Bundesgeri­chtspräsid­entin Inken Gallner.

Newspapers in German

Newspapers from Germany