Thüringische Landeszeitung (Gera)
Die Richterin und ihr Säbel
Jetzt auch mit Festakt: Inken Gallner ist die neue Chefin des Bundesarbeitsgerichts in Erfurt
Wenn eine Frau in ein hochmögendes Amt eingeführt wird, sind es zumeist Männer, die sich für die Gleichberechtigung belobigen. Im Fall von Inken Gallner war eigens der sozialdemokratische Bundesarbeitsminister nach Erfurt gereist, um sich über die neue Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts zu erfreuen – und über die eigene Personalentscheidung gleich mit.
Nachdem Hubertus Heil Ministerpräsident („lieber Bodo“) und Oberbürgermeister („lieber Andreas“) begrüßt hatte, würdigte er die Bedeutung des Gerichts, das als einzige komplette Institution des Bundes in Thüringen residiert. Gerade Corona, sagte er, habe wieder gezeigt, wie wichtig das Gericht sei. Ob es nun um Homeoffice-Regelungen oder Test- und Maskenpflicht gegangen sei: „Der Rechtsstaat hat sich in der Pandemie bewährt.“
Am Virus lag es auch, dass Inken Gallner, die bereits seit Januar als Präsidentin amtiert, erst jetzt öffentlich ins Amt eingeführt werden konnte. Dafür kamen am Dienstag umso mehr Gäste zum Festakt in den schlichten Zweckbau am Erfurter Petersberg. Das Foyer war mit derart vielen Gerichtspräsidenten (und auch ein paar Präsidentinnen) gefüllt, dass allein die Begrüßung eine Viertelstunde währte.
Immerhin, in Erfurt gilt nahezu Parität, es gibt 18 Bundesrichterinnen und 20 Bundesrichter. Und: Schon vor Gallner stand mit Ingrid Schmidt eine Frau dem Gericht vor.
Die Neue, die fast ihr gesamtes Berufsleben im Arbeitsrecht zubrachte, ist in Erfurt nicht wirklich neu. 1964 in Calw in Baden-Württemberg geboren, studierte Jura in Konstanz und Tübingen, um 1994 am Arbeitsgericht in Mannheim als Proberichterin anzufangen. Es folgten die Arbeitsgerichte Stuttgart und Heilbronn sowie eine wissenschaftliche Assistenz am Bundesarbeitsgericht,
das damals von Kassel nach Erfurt umzog.
Dann der erste Abstecher in die politische Verwaltung, ins Stuttgarter Staatsministerium, bevor sie ans
Landesarbeitsgericht berufen wurde – und schließlich 2007 ans Bundesarbeitsgericht.
Dort saß Gallner über die Jahre in der Hälfte der zehn Senate. Zudem verantwortete sie die Pressearbeit des Gerichts. Spätestens seitdem war in den Medien ihr Ruf ebenso gut wie in der Justizbranche.
2014 ließ sich Gallner neuerlich beurlauben, um als Ministerialdirektorin die Justizministerialverwaltung in Stuttgart zu leiten. Nach ihrer Rückkehr nach Erfurt wurde sie Vorsitzende Richterin – und nun Präsidentin.
In ihrer Dankesrede präsentierte sich die Richterin mit jener empathischen Souveränität, die viele an ihr loben. Neben dem Minister dankte sie fast jedem einzelnen ihrer Mitarbeiter. Danach redete sie darüber, wie „existenziell wichtig“das Arbeitsrecht sei, wie traurig sie es finde, dass noch für Gleichberechtigung gestritten werden müsse – und für wie wichtig sie Europa halte. Denn im Gegensatz zu manch anderem Richtern an anderen Bundesgerichten findet Gallner es ausdrücklich richtig, dass das EURecht die deutsche Gesetzlichkeit überwölbt. Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg und das Bundesgericht in Erfurt, sagte sie, seien nicht Konkurrenten, sondern Partner, die gemeinsam das Recht entwickelten: „Europa tut not.“
Natürlich, bloß mit Harmonie funktioniert die Arbeitsgerichtsbarkeit, in der Dinge wie Streiks oder Entlassungen verhandelt werden, dann doch nicht. Auch Inken Gallner ist nicht dafür bekannt, nur das Florett zu nutzen. „Es darf auch schon mal der Säbel sein“, sagte sie.
Anders, dies lässt sich begründet mutmaßen, wird eine Frau in diesem Land auch nicht Präsidentin.