Thüringische Landeszeitung (Gera)
Ziemlich beste Freundinnen
Nicht ganz „Wie im echten Leben“ist dieser französische Film mit Juliette Binoche
Toiletten sind das Schlimmste. Für jede Kabine auf der Fähre haben sie vier Minuten. 60 Betten in 90 Minuten. Beim Chef muss man sich gut verkaufen. „Alles soll sauber und ordentlich sein.“sagt Marianne. Und: „Ich bin fröhlich.“
Als der MDR vor Jahren behauptete, Artern könne die „Stadt der Träume“sein und so ins echte Leben wollte, da sagten die zum Bewerbungsgespräch geladenen arbeitslosen Frauen auf, was sie sagen sollten: Es fehlten die „Ostprodukte“, denn die sollten verkauft werden. So fühlen sich manche der Szenen des französischen Filmes „Wie im echten Leben“tatsächlich an wie im echten Leben.
Und das sind sie auch, wenigstens zum Teil. Emmanuel Carrere, in Frankreich eher als Autor denn als Regisseur bekannt, verfilmte das Buch von Florence Aubenas, die, im Prinzip, die Story dieses Filmes gelebt hat. Die Geschichte einer Schriftstellerin, die sich in eine andere Welt begibt, eine Welt, in der 10 Euro eine Menge Geld sind, eine Welt, in der eine Frau davon träumt, sich nach einem Lottogewinn ein neues Tattoo zu leisten und ein Paar richtig gute Sportschuhe.
Wir erleben diese andere Welt mit den Augen von Marianne, was sagen will: mit denen von Juliette Binoche. Die Oscar-Gewinnerin („Der englische Patient“) war wohl die treibende, die ermöglichende Kraft hinter diesem Film – und sie ist die treibende, die ermöglichende Kraft in diesem Film. Binoche in der Rolle der undercover den Dreck anderer Leute putzenden Intellektuellen ist die einzige professionelle Schauspielerin hier, einige der Frauen spielen sich gleichsam selbst. So wird die Story des Filmes in gewisser Weise fortgeschrieben in seiner ästhetischen Struktur.
Das funktioniert erstaunlich gut aus zwei Gründen. Zum einen nimmt sich Binoche sehr zurück, spielt nie eine große Emotion, eine herausragende artifizielle Nummer, die zwanghaft das Maß an das Ensemble legen würde. Und das wiederum ist möglich, weil sowohl das Drehbuch mit seinen gewollt banalen Dialogen wie die distanziert beobachtenden Bilder des Filmes sich halbdokumentarisch anfühlen. Hier muss niemand Spannung aufbauen, niemand eine Entwicklung spielen, niemand einen Zusammenbruch. Professionelle Kunstlosigkeit. Kein Drama, nirgends.
Das ist womöglich ein Problem für ein Publikum, das sich nicht auf diese ruhige, gelassene Erzählweise einlassen mag oder kann. Denn der Film erzählt weniger eine sich linear entwickelnde Geschichte, er versammelt eine Folge von Impressionen, Impressionen von gehetzter Arbeit, aber auch von Freundschaft und Solidarität. Von der Einübung zur resignierten Unterwerfung unter die Umstände – und von der Möglichkeit, sich fröhlich dagegen zu behaupten, durch Nähe, durch Freundschaft. So strahlt die Geschichte
Wärme aus, ohne je zu überhitzen, diese Wärme ist ihre Energie. Allerdings, die Selbstwahrnehmung der Schriftstellerin als Putzfrau, die Problematik dieser Pseudo-Zugehörigkeit wird kaum reflektiert. Dem Regisseur und seiner Protagonistin lag wohl die quasi authentische Anmutung näher. Die schönen Freundschaften überlagern zunehmend die schlechten Arbeitsbedingungen, da weht auch ein Hauch Sozialromantik.
Am Ende aber fordern zwei der Frauen, die sich nicht auf das glückliche Ende eingelassen haben, die Schriftstellerin auf, noch einmal mit zu den Toiletten zu gehen. Sie tut es nicht. Die beiden, ziemlich beste Freundinnen aus der Putzkolonne, steigen in den Bus und fahren ohne ein Lächeln zurück in ihr echtes Leben. Das ist das letztes Bild dieses Filmes und sein ehrlichstes auch.
Ab dem 30. Juni in (Lichthaus), (Kino am Hirschlachufer) und (Kino im Schillerhof). Ab dem 7. Juli dann auch in (Metropol).