Thüringische Landeszeitung (Gera)

Youtubekan­al und Co.

- Tobias Schubert Gera. Tausende Zuschauer – sogar aus Brasilien Hauptberuf: Kanalsanie­rer. Nebenberuf: Bauherr

Wer den Ausstellun­gsraum von Oliver Kulz in der Humboldtst­raße betritt, fühlt sich sofort in andere Welten versetzt. Kirchen stehen dort, Autos, Flugzeuge, das Brandenbur­ger Tor oder eine große Titanic. Sie alle sind zusammenge­setzt aus hunderten und tausenden Klemmbaust­einen, die die Originale trotz der kleinen Maßstäbe in vielen Details nachbilden. Gerade arbeitet Kulz an einer Nachbildun­g von Notre Dame, das einmal aus 63.000 kleineren und größeren Bausteinen bestehen soll.

Die Faszinatio­n trifft nicht nur den Verfasser dieser Zeilen, der selbst während der Pandemie zum Klemmbaust­einhobby der Kindheit zurückfand, sondern wie sich schnell zeigt, auch viele Geraer Passanten: Menschen bleiben am Schaufenst­er stehen, staunen über die großen Modelle. Was sie wahrschein­lich nicht ahnen: Keines von ihnen ist von Lego, auch wenn die meisten Deutschen bei den Klemmbaust­einen wohl sofort an die dänische Marke denken.

Das Hobby Klemmbaust­eine ist kein Neues. Für viele Menschen gehörte es zur Kindheit. „Ich kenne es aus der Kindheit, da stand es unter dem Weihnachts­baum“, erzählt der gebürtige Nordrhein-Westfale. Ein blauer Trekker von Lego war das, das Jahr 1981. Die Jahre vergingen, Arbeit und andere Hobbys kamen, aber aus den Augen verlor er die Klemmbaust­eine nie. Immer mal wieder kam ein Set dazu, bis es 2012 plötzlich wieder knallte. „Ein Frustkauf“, sagt Kulz, habe dazu geführt, dass das Hobby wieder auflebte.

Doch der Brahmenaue­r baut nicht nur für sich, sondern auch für ein ständig wachsendes Publikum. Auf seinem Youtube-Kanal „Klemmbaust­einwelt“schauen dem 50-Jährigen inzwischen zwischen 3000 und 5000 Menschen regelmäßig beim Bauen zu, mehr als 17.000 haben ihn abonniert – selbst aus Brasilien. 2019 erschien das erste Video auf seinem Kanal „unbearbeit­et, unbeholfen und ohne Beleuchtun­g“, sagt Kulz schmunzeln­d. Heute ist das anders, eine Scheune auf dem heimischen Bauernhof wurde zum Studio umgebaut, fünf Monate dauerte das. „Die Szene ist profession­eller geworden“. Warum er begann, sich zu filmen? „Mich fasziniert­e der Prozess des Aufbaus, den sah man nicht so oft. Meistens nur das fertige Modell.“Als er wieder einmal darüber schimpfte, nahm seine Frau das Handy, legte es hin und verabschie­dete sich mit den Worten „Jetzt mach mal dein Video“für mehrere Stunden zum Einkaufen. Der Rest ist Geschichte.

Mit seinen Abrufzahle­n gehört Kulz zwar nicht zu den größten – der „Held der Steine“alias Thomas Panke erreicht auch einmal zwei Millionen und mehr Aufrufe, wenn er über Lego schimpft, bei „Johnny’s World“betrieben von „Steingemac­htes“-Inhaber Thorsten Klahold sind es knapp 76.000 Abonnenten – aber er ist einer der festen Größen, vielen bekannt, die sich mit dem Hobby beschäftig­en. Und die Szene wächst.

Gerade während der Pandemie wurde das entspannte Bauen für viele zum perfekten Spaß während des Lockdowns. Mit ihm konnte man sich während der Schließung­en die Zeit vertreiben, sah trotzdem etwas durch die eigenen Hände entstehen. Der Markt, der sowieso schon am Wachsen war – Lego gehört zu den drei größten Spielzeugh­erstellern der Welt – explodiert­e regelrecht und wurde zum Türöffner für viele alternativ­e Hersteller.

Doch den Erfolg der kleinen Bausteine alleine auf den Lockdown zu reduzieren, ist zu wenig. Denn schon vor der Pandemie drängten verstärkt andere Hersteller auf den deutschen Markt und machen seitdem der Quasi-Monopolste­llung der dänischen Firma Konkurrenz. Darunter sind etwa Cobi aus Polen, die vor allem für ihre Nachbildun­gen historisch­er Fahrzeuge bekannt sind, Mega Bloks oder Mega Construx aus den USA, die zum Spielwaren­giganten Mattel gehören und sich unter anderem die Lizenz für die Fernsehser­ie „Game of Thrones“sicherten oder auch Bluebrixx aus Deutschlan­d, die beispielsw­eise die eigensdesi­gnte Burg Blaustein anbieten – wenn nicht wie üblich vergriffen – die seit dem Erscheinen weiter wächst. Jüngst beispielsw­eise erst um einen Bergfried oder eine Vorburg. Ebenso waren Unternehme­n aus China darunter, die zu Beginn vor allem günstigere Plagiate des dänischen Hersteller­s vertrieben. Aber auch das ist gerade stark im Wandel begriffen. Längst arbeiten viele der Hersteller mit den Designern oder den deutschen Youtubern

Den Kanal von Oliver Kulz findet man auf Youtube unter „Klemmbaust­einwelt“. Auf der Plattform Twitch kann man ihm freitags und sonntags live beim Bauen zuschauen. An Samstagen will er zumindest stundenwei­se, wenn möglich vormittags, in der Geraer Humboldtst­raße anwesend sein. „Da kann jeder gerne reinkommen“, sagt er. Auch Fragen will er dabei beantworte­n. An manchen Modellen in der Galerie finden sich auch QR-Codes, die man mit dem Handy scannen kann.

zusammen – die oft auch Händler sind – um rechtlich einwandfre­ie Modelle in Deutschlan­d zu verkaufen. Die Firma Panlos ist so ein Beispiel mit ihren von den Superhelde­nfilmen inspiriert­en Gebäuden, Mould King, die von einem fliegenden Holländer über eine große Feuerwehr mit Drehleiter oder riesengroß­en Raumschiff­en, angelehnt an eine bekannte Filmreihe, so ziemlich jede Fantasie bedienen. Auch Lesdiy gehört dazu, mit denen Kulz zusammenar­beitet und bald auch ein Set in Deutschlan­d herausbrin­gen will: In Zusammenar­beit mit einem Designer soll es ein Trekker nach dem Vorbild des Claas Xerion entstehen.

Alle haben sie gemein, dass sie Lücken füllen, die Fans bei Lego sahen – etwa was den Bereich Wilder Westen oder Mittelalte­r betrifft – und das sie ganz legal in Deutschlan­d erhältlich sind.

Worin eigentlich der Reiz besteht, stunden- oder, wie bei Notre Dame, tagelang Steinchen aufeinande­rzusetzen? Das ist schwierig zu beantworte­n, denn der liegt für jeden woanders.

Für Kulz, der sich inzwischen vor

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Ein augenzwink­ernder Hinweis auf die Vielfalt: Ein Männchen aus Steinen anderer Anbieter.
Szene wird immer größer, besonders in der Pandemie Ein augenzwink­ernder Hinweis auf die Vielfalt: Ein Männchen aus Steinen anderer Anbieter.
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PETER MICHAELIS (4) Der Youtuber Oliver Kulz mit einem der Sets in der Galerie in der Geraer Humboldtst­raße.
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So vielfältig wie die Steine inzwischen geworden sind, so bunt sind auch die Möglichkei­ten. Hier ein Trabant.
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Fast alles möglich: Ein riesige Kampfrobot­er aus einer bekannten Science-Fiction/Fantasy-Filmreihe.

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