Thüringische Landeszeitung (Gera)
Wie das Erdgas bis nach Hause kommt
Weitgehend verborgen zieht sich ein 510.000 Kilometer langes Leitungsnetz durch das ganze Land
Das Bedürfnis nach Licht hat den Schotten William Murdoch um das Jahr 1800 herum erfinderisch gemacht. Der Ingenieur erzeugte aus Steinkohle Gas und setzte es als Leuchtmittel ein. Der Begriff „Leuchtgas“wurde noch lange verwendet, denn seine Tüftelei setzte sich in den folgenden Jahrzehnten vielerorts durch.
1826 errichtete Hannover die erste Gasanstalt, in der Steinkohle in Gas und Koks verwandelt wurde. Die Straßenlaternen in Deutschland wurden lange mit Gas befeuert. Dafür brauchten die Stadtväter ein Netz, mit dem die Laternen mit dem Brennstoff versorgt werden konnten. Der Grundstein für ein Verteilnetz, das sich heute bis in fast jeden Winkel der Bundesrepublik zieht, war gelegt.
Nach und nach setzte sich Gas auch als Energie für Herd oder Heizung durch. Die Leitungen für die Beleuchtung der Straßen waren schon vorhanden. Von dort aus konnten die Haushalte oder Gebäude angeschlossen werden. Insgesamt 510.000 Kilometer lang ist das Gasnetz in Deutschland heute. Allein diese Leitungen könnte man 13-mal um den Äquator wickeln.
Zunächst wurde der Rohstoff vor Ort erzeugt, eben in Gasanstalten. So kann der Bedarf schon längst nicht mehr gedeckt werden. Die größten Mengen Erdgas werden heute importiert, aus Russland, den Niederlanden oder Norwegen. Bald wohl auch mehr aus dem Nahen Osten oder den USA.
Das meiste Gas erreicht Deutschland über Pipelines. Die von Russland gerade weitgehend stillgelegte Röhre Nord Stream 1 endet in Lubmin an der Ostsee. Dort wird das Gas unter hohem Druck in das Fernleitungsnetz übertragen. 16 Betreiber sorgen für die überregionale Versorgung von Industrie und Haushalten mit Gas. Dieser Teil des Netzes ist allein schon 40.000 Kilometer lang.
Durch dicke Röhren strömt der Rohstoff in die wirtschaftlichen Zentren der Republik, aber auch an die meist kommunalen Gasversorger. Ein Teil davon landet auch in den 47 unterirdischen Gasspeichern. Nach Angaben des Verbands Zukunft Gas können die Kavernen 260 Terawattstunden Energie aufbewahren. Das sind knapp 30 Prozent des jährlichen deutschen Gasverbrauchs.
In Kriegszeiten ist das nicht viel, wie die aktuelle Entwicklung zeigt. Die Speicher sind nicht einmal zu zwei Dritteln gefüllt. Im nächsten Winter könnte Gas knapp sein.
Insgesamt 700 regionale Netzbetreiber, oft die örtlichen Stadtwerke, übernehmen dann die Verteilung des Gases an die privaten Haushalte oder Betriebe. Dafür wird das Gas mit nur geringem Druck ins Netz bis hin zur Therme im Keller oder zum Herd in der Küche geleitet. Fast jeder zweite Haushalte in Deutschland ist an das Netz angeschlossen.
Sicherheit wird in der Branche großgeschrieben. Denn Gas kann auch tödlich wirken, wenn es freigesetzt vom Menschen eingeatmet wird. Auch ist es leicht entzündlich. So werden die Fernleitungen regelmäßig vom Fachverband DVGW überprüft und gewartet. Für Verbraucher ist ein Sicherheitsmerkmal besonders wichtig. Erdgas ist geruchlos. Niemand würde es riechen, wenn die Gasleitung leckt. Deshalb wird dem Erdgas ein Geruchsstoff beigemischt, der ausgesprochen schlecht riecht und so einem Schnellwarnsystem gleichkommt.
Zu der sogenannten Odorierung sind die Gasversorger verpflichtet. Dabei kommen verschiedene Stoffe zum Einsatz, oft einer, der an den Geruch fauler Eier erinnert. Dann heißt es: Fenster und Türen öffnen und raus aus dem Haus. Vor allem darf nichts angezündet werden.
Sonst droht eine Gasexplosion.
Die Tage der Verwendung von Erdgas als fossilem Brennstoff sind auch ohne Russlands Lieferbegrenzungen gezählt. Die Branche hofft nun auf Wasserstoff als Alternative. Die Betreiber der Fernnetze haben Pläne für ein deutsches Wasserstoffnetz erarbeitet. Es würde 5900 Kilometer lang sein und vor allem auf der vorhandenen Infrastruktur aufbauen.
Die Nutzung der Erdgasrohre für die Durchleitung von Wasserstoff bereitet nach Angaben des Verbands Zukunft Gas keine großen Probleme. In Berlin oder einigen ostdeutschen Städten wurden dem Stadtgas noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts 50 Prozent Wasserstoff beigemischt. Ob das auch für ein reines Wasserstoffnetz gilt, wird derzeit untersucht. So testet etwa der Verteilnetzbetreiber Mitnetz in Bitterfeld, ob Kunststoffrohre dem Wasserstoff standhalten. Die bisherigen Ergebnisse lassen vermuten, dass eine Umrüstung gut möglich ist. Nur wenige Komponenten im Verteilnetz müssten ausgetauscht werden, etwa Hausanschlüsse, Gaszähler und Strömungswächter.