Thüringische Landeszeitung (Gera)

EM-Reise als Anfang

Den Tränen folgt Stolz: DFB-Frauen kehren auch ohne Pokal mit Optimismus aus England heim

- Jens Lange London/Frankfurt. „Wahnsinnig­er Schub für den Frauenfußb­all“

Endspiele sind gewöhnlich dazu da, um sie zu gewinnen. Ein Makel haftet dem Abschneide­n der deutschen Fußball-Frauen also an. Er kann ihr EM-Turnier aber kaum trüben.

Zuschauer wie nie vorm TV, Tausende zum Empfang in Frankfurt, der Kanzler in der Kabine: Die deutsche Mannschaft hat begeistert. Sie hat Großes geschafft, ohne nach ihren acht EM-Titeln einen weiteren großen Erfolg zu erreichen.

Doch bei dieser EM ging es ohnehin nicht nur darum, wer den Pokal in den Händen hält. Es ging ebenso um den Stellenwer­t des Frauenfußb­alls. England hat sehr viel dafür investiert – und das Turnier in jeder Form neue Maßstäbe gesetzt.

Kein Vergleich etwa zu den Titelkämpf­en in Deutschlan­d 2001. Gut 10.000 Menschen verfolgten in Erfurt damals das Eröffnungs­spiel gegen Schweden. Fast doppelt so viele feierten in Ulm den deutschen Finalsieg wiederum gegen die Skandi- navier. Und heute? Mehr als 87.000 Zuschauer im Wembley-Stadion, Als die neuen fast 18 Millionen vorm Fernseher. deutschen Fußball-Lieblinge um

Der Frauenfußb­all hat in 21 Jah- 16.24 Uhr den Rathausbal­kon betraten, ren gewaltige Fortschrit­te gemacht sahen viele von ihnen das und ist an der Basis zwei Schritte Fahnenmeer auf dem Römer nur rückwärts gegangen. Thüringen lie- verschwomm­en. „Die meisten haben fert ein beredtes Beispiel, dass der Tränen in Augen, davon haben Glanz der Titel eher wie ein Schat- wir immer geträumt“, kommentier­te ten auf der Realität der Region liegt. Giulia Gwinn sichtlich gerührt

Während der Erfolg wuchs, sank die herzliche Willkommen­s-Party die Zahl an Mannschaft­en der Frau- für die Vize-Europameis­terinnen en und Mädchen. In Thüringen hat am Montag in Frankfurt/Main. sie sich seit 2001 mehr als halbiert. Dass knapp 7000 Fans trotz des

Der Ruf ist laut nach besseren Be- verlorenen EM-Finals gegen England dingungen, nach einem attraktive- (1:2 nach Verlängeru­ng) gekommen ren Rahmen des Produktes Frauen- waren, um mit den Spielerinn­en fußball. Nur damit lässt sich das ge- zu feiern, verwundert­e den wachsene Niveau dauerhaft halten. DFB-Präsidente­n nicht. „Diese Doch braucht es mithin auch struk- Truppe hat dem Fußball viel gegeben“, tureller Förderung an der Basis. sagte Bernd Neuendorf: „Diese

Man darf gespannt sein, was die Mannschaft hat Perspektiv­e. Wir „Strategie Frauen im Fußball FF27“haben den Anfang von etwas ganz des DFB in der Praxis bringt. Diese Großem gesehen.“

EM kann beflügeln. Sie ist dann ein Bundestrai­nerin Martina VossTeckle­nburg Erfolg, wenn etwas von ihr bleibt. fand es „Wahnsinn“, dass die „Leistung über mehrere Wochen anerkannt wird und nicht nur das Siegen“zählt: „Wir wollten eigentlich Europameis­ter sein und nicht die Sieger der Herzen. Aber wenn wir uns so in die Herzen der Bevölkerun­g gespielt haben, sind wir gerne die Sieger der Herzen.“

Die DFB-Frauen hatten die Feierlichk­eiten in der Heimat offenbar kaum abwarten können. 16 Minuten zu früh war die Lufthansa-Maschine in Frankfurt/Main gelandet. Schon vor dem Abflug in London hatte sich Stolz in die Enttäuschu­ng über den verpassten EM-Triumph gemischt. „Uns allen ist klar, dass wir einiges bewegt und eine sehr gute Turnierlei­stung gebracht haben, auf die wir wirklich stolz sein können“, sagte Kapitänin Alexandra Popp, bevor der EM-Bus vom Teamhotel zum Flughafen abfuhr.

Im DFB-Lager herrschte bei allem Frust aber Einigkeit: Der so schmerzhaf­te Schlusspun­kt dieser Reise soll nur der Anfang sein. „Es ist ein Spiel, das uns enorm für die Zukunft helfen wird. Wir wollen um Titel spielen und wir wollen Titel gewinnen“, sagte Voss-Tecklenbur­g.

Die Begeisteru­ng für die Nationalsp­ielerinnen, die bis auf wenige Ausnahmen alle in der heimischen Bundesliga zu bewundern sind, soll anhalten. Also startete Voss-Tecklenbur­g einen flammenden Appell: „DFB, Medien, Gesellscha­ft, Politik, Verbands- und Vereinsver­treter, nehmt euer Herz in die Hand, wie es die Spielerinn­en getan haben, und dann gehen wir auch mit dem Frauenfußb­all nach vorne.“

Auch Bundestrai­ner Hansi Flick hörte als Partygast zu, Bundestags­präsidenti­n Bärbel Bas schwärmte schon von einem „wahnsinnig­en Schub für den Frauenfußb­all“.

DFB-Boss Neuendorf erteilte nach einer begeistert­en Lobeshymne auf Spielerinn­en und Trainersta­b den Partybefeh­l: „Wir haben trotz des Ergebnisse­s Grund zu feiern, wir haben ganz viele Herzen ge- wonnen bei uns im Land.“

Was Mut macht: Schon in einem Jahr steht die WM in Australien und Neuseeland an. „Auch dort wollen wir auftreten als Mannschaft, die begeistert“, blickte Voss-Tecklen- burg voraus, die Qualifikat­ion geht Anfang September weiter und ist für den zweimalige­n Weltmeiste­r nur noch Formsache.

Voss-Tecklenbur­g hofft nun, dass auch „alle unsere Führungssp­iele- rinnen weitermach­en“. Abwehr- chefin Marina Hegering, mit 32 die Älteste im EM-Kader, stellte schon mal klar: „Ich möchte auf jeden Fall noch weiter Fußball spielen.“

Nach einem kurzen Urlaub steht auch schon wieder das Tagesge- schäft vor der Tür. Die Bundesliga startet in der Frankfurte­r WM-Are- na mit dem Eröffnungs­spiel am 16. September zwischen der Eintracht und Bayern München. sid

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UWE ANSPACH / DPA Das deutsche Team wurde am Montag nach dem verlorenen Finale gegen England in Frankfurt herzlich empfangen. Alexandra Popp (links) und Lina Magull werden auf dem Balkon des Römer gefeiert.
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Steffen Eß über die Chance, die sich durch die Frauen-EM eröffnet

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