Thüringische Landeszeitung (Gera)
„Alle Körper sind Strandfiguren“
Mit spektakulärer Kampagne geht Spaniens Regierung gegen den Schlankheitswahn vor
Spaniens Regierung sorgt erneut mit ihrer Frauenpolitik für internationales Aufsehen: Mitten in der Sommer- und Urlaubszeit ruft sie mit einer Werbekampagne zum öffentlichen Kampf gegen fragwürdige Schönheitsideale wie etwa die perfekte Strandfigur auf. Nicht nur übertriebene Schlankheitsvorstellungen machten vor allem Frauen das Leben schwer, erklärt Spaniens Gleichstellungsministerium. Dieser ästhetische Terror führe gerade bei vielen Heranwachsenden zu Erkrankungen wie Magersucht und Depression.
Auf dem Werbeplakat, mit dem Spanien die Menschen zu mehr Akzeptanz der körperlichen Vielfalt auffordert, sieht man an einem Strand fünf Frauen mit unterschiedlichen Kleidergrößen und Hautfarben: Füllige und weniger Füllige, Jüngere und Ältere. Darunter eine Frau, die nach einer Krebserkrankung eine Brustamputation erlitt und ohne BikiniOberteil die Sonne und das Meer genießt. Und eine andere, die sich nicht die Haare an den Beinen und unter den Achseln entfernt hat, was in Spanien gemeinhin als unästhetisch angesehen wird.
„Der Sommer gehört auch uns“lautet der Titel dieser Kampagne. Begleitet von einem Text, der die Frauen ermutigt, sich nicht von Moden und Erwartungen den Sommer verderben zu lassen: „Genieße ihn, wo und mit wem du willst – ohne Klischees. Und ohne ästhetische Gewalt gegen unsere Körper.“
Als „ästhetische Gewalt“wird der gesellschaftliche Druck bezeichnet, bestimmten Schönheitsidealen zu entsprechen. „Allen Körpern gebührt in gleicher Weise Respekt“, sagt Spaniens Frauenministerin Irene Montero, die der Linkspartei Podemos angehört. „Wir haben das Recht, das Leben so zu genießen, wie wir sind. Ohne Schuldgefühle und ohne uns zu schämen.“
Sozialministerin und PodemosParteichefin Ione Belarra ergänzt: „Alle Körper sind Strandfiguren.“Beide Politikerinnen sind
Teil der spanischen Mitte-linksKoalition, die von dem sozialdemokratischen Premier Pedro Sánchez angeführt wird und die mit ihrer Gleichstellungspolitik in Europa regelmäßig Schlagzeilen produziert. Erst jüngst war in Spanien ein Gesetz zur „sexuellen Selbstbestimmung“beschlossen worden, das die Verfolgung von sexualisierter Gewalt vereinfacht. Demnach ist Sex nur erlaubt, wenn eine ausdrückliche Billigung beider Partner vorliegt. Sonst gilt es als Missbrauch oder Vergewaltigung. Auch wurde ein Gesetz auf den Weg gebracht, das Frauen mit extremen Menstruationsschmerzen das ausdrückliche Recht auf Krankschreibung einräumt. Die neue Kampagne sei „eine Antwort auf die Dickenphobie“, erklärt das Gleichstellungsministerium.
Von dieser körperlichen Diskriminierung seien besonders Frauen betroffen. An Bierbäuchen, starker Körperbehaarung oder Glatzen bei Männern werde hingegen in der Gesellschaft sehr viel weniger Anstoß genommen. Eine Ursache für den Druck auf Frauen habe mit der Modeindustrie zu tun. Den spanischen Gleichstellungsbehörden gehen immer wieder Klagen von Frauen zu, die sich darüber beschweren, dass die Modeketten ihre Kollektionen nur mit Fotomodellen bewerben, die den traditionellen Schönheitsklischees entsprechen. Andere Frauen fühlten sich so herabgesetzt.
Genauso diskriminierend sei die Tatsache, dass es in vielen Boutiquen schwierig sei, größere Größen für Frauen zu finden. Die Gleichstellungsbehörde im nordostspanischen Katalonien hat deswegen ein Sanktionsverfahren gegen ein Modehaus eingeleitet, das nur kleinste Damengrößen wie XS und S verkaufte. Der Vorwurf: Vertrieb von Produkten, die „diskriminierende Klischees“fördern. Vorausgegangen war die Anzeige einer Kundin, die sich darüber ärgerte, dass diese Kleidung „nur Frauen mit dem Körperbau junger Mädchen“passe. Das deckt sich mit der Erfahrung der spanischen Schauspielerin Teresa López Cerdán, die gern für Rollen vollschlanker Frauen engagiert wird. Sie beklagt, dass sie keine Kleidung ihrer Größe für eine Hochzeitsfeier finde. „Das finde ich schlimm. Die Schönheitsideale sind inzwischen auf einem Niveau, wo es mich nicht wundert, dass die Mode der größte Produzent von Essstörungen ist.“
Allen Körpern gebührt in gleicher Weise Respekt. Irene Montero, Frauenministerin