Thüringische Landeszeitung (Gera)

„Leute rufen zu meiner Ermordung auf “

Gesundheit­sminister Karl Lauterbach über Hetze im Netz, den Corona-Herbst und wie er die Anti-Covid-Pille Paxlovid besser einsetzen will

- Julia Emmrich und Jörg Quoos Berlin. Karl Lauterbach:

Karl Lauterbach kommt nicht allein zum Interview. Seine Tochter ist dabei, die Teenagerin hat gerade Schulferie­n. Sie setzt sich mit an den großen Tisch im Ministerbü­ro und hört aufmerksam zu, was ihr Vater sagt – über den Corona-Herbst, die unterschät­zte Wirkung der Anti-Covid-Pille Paxlovid und über die Morddrohun­gen, die der SPD-Politiker bekommt.

Herr Lauterbach, Leute wie Sie gehören inzwischen zu einer Minderheit. Wie haben Sie es geschafft, sich bis heute nicht zu infizieren?

Ich bin sehr, sehr vorsichtig. Ich trage fast immer FFP2-Masken und bin vier Mal geimpft. Hier im Ministeriu­m testen wir uns jeden Tag. Und wir tragen weiterhin Masken. Bei Sitzungen nehme ich die Maske meistens nur dann ab, wenn ich spreche. Trotzdem kann es mich täglich treffen bei den vielen Kontakten.

Wie hart wird der Corona-Herbst? Der Herbst wird vermutlich sehr schwierig. Wahrschein­lich wird weiterhin die Omikron-BA.5-Variante vorherrsch­end sein. Es ist die bisher ansteckend­ste Variante. Sie setzt sich über die bisherigen Impfungen und überstande­ne Infektione­n hinweg. Selbst diejenigen, die vier Mal mit den bisherigen Impfstoffe­n geimpft wurden, haben gegenüber BA.5 nur einen Schutz vor Infektion von weniger als 40 Prozent. Die Wahrschein­lichkeit, ins Krankenhau­s zu kommen, ist höher als bei der BA.1- oder BA.2Variante, aber für Geimpfte viel geringer. Wir werden deswegen aus zwei Gründen im Herbst in Bedrängnis kommen: Es wird sehr viele Ausfälle beim Klinikpers­onal geben, gleichzeit­ig wird die Zahl der Covid-Patienten auf den Normalund Intensivst­ationen deutlich steigen. Ich befürchte, dass es zu Überlastun­gen der kritischen Infrastruk­tur und der Krankenhäu­ser kommen kann.

Es gibt viele, die genervt sind von Ihren Warnungen.

Ich erlebe öfter etwas anderes: Wenn ich Menschen auf der Straße treffe, bedanken sich viele bei mir. Auch dafür, dass ich eine realistisc­he Einschätzu­ng der Lage liefere. Neulich war ich mit meiner Tochter in einem Geschäft in Berlin-Mitte, da bildete sich eine Traube von Leuten, die sich bedanken wollten.

Aber es gibt auch sehr feindselig­e Begegnunge­n ...

Jeden Tag wird in den sozialen Netzwerken zu Gewalt gegen mich aufgerufen, Leute rufen regelmäßig – teilweise sogar mit Klarnamen – zu meiner Ermordung auf.

Eine österreich­ische Ärztin wurde jetzt durch solche Drohungen offenbar in den Tod getrieben. Schützt der Staat die Ärzte ausreichen­d? Was erleben Sie persönlich?

Ich selbst erfahre ungefähr die höchste Sicherheit­sstufe, die es für Politiker in Deutschlan­d überhaupt gibt. Ich fahre immer mit zwei gepanzerte­n Fahrzeugen vor. Das gab es für einen Gesundheit­sminister wahrschein­lich noch nie. Ich bin also sehr gut geschützt. Die österreich­ische Kollegin dagegen musste den Schutz selbst bezahlen und konnte sich das nicht mehr leisten. Ich verachte und verabscheu­e die Hetzer im Netz, die diese Frau in den Tod getrieben haben. Exponierte Ärztinnen und Ärzte müssen von den Bundesländ­ern ausreichen­d geschützt werden.

Wochenlang haben Sie mit Justizmini­ster Marco Buschmann um neue Regeln im Infektions­schutzgese­tz gerungen. Geht Deutschlan­d diesmal gut vorbereite­t in den Herbst?

Ich glaube, dass das Paket sehr gut ist. Wir sind für den Herbst gerüstet. Es schützt uns gleichzeit­ig vor einer Überlastun­g durch zu viele CovidPatie­nten und einer kritischen Lage durch Personalau­sfälle.

Wie messen wir künftig die pandemisch­e Lage?

Wir setzen auf eine Kombinatio­n aus Inzidenz, Einweisung­en in die Kliniken und Abwasserun­tersuchung­en. Wir werden dazu im Herbst aus jeder Klinik tagesaktue­ll die Zahlen der mit Corona-Patienten belegten und der freien Betten haben. In ausgewählt­en Krankenhäu­sern soll zudem erhoben werden, wer mit und wer wegen Corona in die Klinik kommt. Darüber hinaus werden wir die Abwasserda­ten flächendec­kend haben. Es wird genug Standorte geben, um zu sagen, wie sich die Pandemie entwickelt, ob die Kurve hoch- oder runtergeht. Wir streben dazu Standorte in allen Bundesländ­ern an. Oberstes Ziel muss es sein, die Zahl der CoronaOpfe­r zu senken. Was nützt es, wenn die Kliniken nie überlastet waren, aber ein großer Teil der Pflegeheim­bewohner gestorben ist.

Das Corona-Medikament Paxlovid ist seit Januar in der EU zugelassen. Warum wird die Anti-Covid-Pille in Deutschlan­d so selten eingesetzt? Das hat mehrere Gründe. In der Bevölkerun­g, aber auch in der Ärzteschaf­t halten leider viele eine Infektion mit der Omikron-Variante für nicht gefährlich­er als eine Grippe. Dementspre­chend halten sie ein starkes Medikament wie Paxlovid nicht für nötig. Viele unterschät­zen zudem, wie stark Paxlovid die Sterblichk­eit senkt. Und drittens ist Paxlovid schwer einzusetze­n, weil das Prozedere der Abgabe im Moment noch zu komplizier­t ist.

In den USA ist das anders ...

In den USA werden pro Tag rund 40.000 Menschen mit Paxlovid behandelt. Bei uns ein paar Hundert. Wir haben bislang weniger Paxlovid eingesetzt, als die USA an einem Tag einsetzen. Obwohl wir mehr als eine Million Dosen eingekauft haben.

Viele haben Angst vor Wechselwir­kungen mit anderen Medikament­en. Es gibt Ärzte, die setzen Paxlovid nicht ein, weil sie innerhalb der fünf Tage, in denen das Medikament gegeben wird, andere Medikament­e absetzen müssen. Der mögliche Nachteil, den sie damit eingehen, wird aber mehrfach aufgewogen durch die Vorteile von Paxlovid: Je mehr Risikofakt­oren jemand hat, desto stärker senkt Paxlovid die Sterblichk­eit. Wenn jemand älter ist, an Diabetes leidet und schon mal einen Schlaganfa­ll hatte, dann sinkt die Sterblichk­eit um bis zu 90 Prozent. Für Ältere ist Paxlovid lebensrett­end, wenn es schnell eingesetzt wird.

Was soll sich jetzt ändern?

Wir wollen, dass Risikopati­enten und Menschen über 60 Jahre schneller mit Paxlovid versorgt werden. Ab nächster Woche wird deswegen die Abgabe neu geregelt: Die Hausärzte dürfen das Medikament künftig selbst an die Patienten abgeben, ohne den Umweg über die Apotheke. Der Arzt darf also die Therapie direkt in seiner Praxis beginnen. Daneben werden in Zukunft alle Pflegeeinr­ichtungen Paxlovid für den Notfall vorrätig haben. Wir haben mit dem Infektiolo­gen Leif Erik Sander und dem Intensivme­diziner Christian Karagianni­dis eine Liste erarbeitet, für welche Patienten Paxlovid sinnvoll ist, damit es schnell und unbürokrat­isch angewendet werden kann. Künftig gilt: Wer über 60 Jahre alt ist und einen positiven PCR-Test hat, bekommt jetzt zusammen mit dem Befund den Hinweis auf Paxlovid. Wer zu Hause einen positiven Schnelltes­t hat, kann künftig den Hausarzt anrufen, bekommt von diesem Paxlovid verschrieb­en und von der Apotheke geliefert.

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RETO KLAR / FUNKE FOTO SERVICES Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach (SPD).

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