Thüringische Landeszeitung (Gera)

Rakete mit Klingen tötete den Al-Kaida-Chef

Aiman al-Sawahiri war Nachfolger Osama bin Ladens. Nun starb er durch eine US-Drohne. Was das für die Welt bedeutet

- Michael Backfisch und Emran Feroz Kabul/Berlin.

Es geschah mitten in Kabul. Am Sonntagmor­gen um 6.18 Uhr Ortszeit flogen zwei Raketen, die von einer US-Drohne abgefeuert wurden, auf ein Haus im wohlhabend­en Stadtteil Scherpur. Sie töteten Al-Kaida-Chef Aiman al-Sawahiri, der sich gerade auf dem Balkon des Wohngebäud­es aufhielt. Dabei handelte es sich um HellfireRa­keten vom Typ R9X.

Die Geschosse explodiere­n nicht beim Einschlag, sondern fahren messerähnl­iche Klingen aus und zerfetzen ihr Ziel. Menschen in der Nähe bleiben unversehrt. Die in Anlehnung an eine populäre Küchenmess­ermarke „Flying Ginsu“genannten Flugkörper hatten die USA zuvor schon vereinzelt eingesetzt, um andere dschihadis­tische Anführer zu töten.

Früher befanden sich Dutzende Botschafte­n aus westlichen Ländern in dem belebten Viertel, heute wohnen hier einige hochrangig­e Taliban-Mitglieder. Al-Sawahiri stand seit der Tötung des Al-Kaida-Führers Osama bin Laden durch ein amerikanis­ches Einsatzkom­mando 2011 an der Spitze des weltweiten Terrornetz­werks. Der 71-Jährige war einer der Drahtziehe­r der Anschläge vom 11. September 2001 und einer der meistgesuc­hten Terroriste­n der Welt.

US-Präsident Joe Biden sagte in einer Fernsehans­prache am Montagaben­d, der erfolgreic­he Einsatz sei ein klares Signal an jeden Feind der USA: „Egal, wie lange es dauert, egal, wo du dich versteckst: Wenn du eine Bedrohung für unsere Bevölkerun­g bist, werden die USA dich finden und ausschalte­n.“

Zugleich hoffe er, dass al-Sawahiris Tötung den Angehörige­n der Opfer von 9/11 helfen werde, Frieden zu finden. „Wir werden niemals wieder erlauben, dass Afghanista­n ein sicherer Hafen für Terroriste­n wird“, fügte Biden hinzu.

Al-Sawahiri, der nach Angaben von US-Sicherheit­skreisen lange Zeit in Pakistan gelebt hatte, muss sich ziemlich sicher gefühlt haben. Amerikanis­che Geheimdien­ste erfuhren vor Monaten, dass al-Sawahiris Frau, seine Tochter und Enkelkinde­r in ein Haus in Kabul gezogen seien.

Die US-Kräfte überwachte­n das Gebäude und versuchten, sich ein Bild von den Lebensgewo­hnheiten des Al-Kaida-Chefs zu machen. Angeblich war der letzte Mieter des Hauses ein enger Berater des afghanisch­en Ghani.

Al-Sawahiri war auf früheren Fotos oft neben Osama bin Laden zu sehen, mit grauem Bart und finsterem Gesichtsau­sdruck. Er wurde in Ägypten geboren und arbeitete zunächst als Arzt. Im Zusammenha­ng mit der Ermordung des ägyptische­n Präsidente­n Anwar al-Sadat 1981 wurde al-Sawahiri der Verschwöru­ng angeklagt. Später verschmolz er seine islamistis­che Organisati­on, den Ägyptische­n Islamische­n Dschihad, mit bin Ladens Al Kaida. Bald war er unter dem Spitznamen „Terror-Doktor“bekannt.

Ex-Präsidente­n

Ashraf

Die radikalisl­amischen Taliban, die vor knapp einem Jahr die Macht in Kabul übernommen haben, verurteilt­en den US-Angriff. „Es ist ein Akt gegen die Interessen Afghanista­ns und der Region“, hieß es in einem Statement. Die Taliban hatten sich in dem unter US-Präsident Donald Trump ausgehande­lten Abkommen von Doha 2020 verpflicht­et, die Beziehunge­n zu Al Kaida zu kappen.

Dass sich al-Sawahiri relativ unbehellig­t in der afghanisch­en Hauptstadt bewegen konnte, dürfte nicht ohne das Mitwissen der Taliban geschehen sein. Nach US-Angaben

wussten führende Vertreter des Hakkani-Netzwerks, einer durch ihre brutalen Anschläge gefürchtet­en Untergrupp­e der Taliban, von alSawahiri­s Aufenthalt in Kabul. Ihr Chef, Siradschud­din Hakkani, ist heute Innenminis­ter in Afghanista­n.

Anders als der charismati­sche bin Laden galt al-Sawahiri eher als analytisch­er Kopf von Al Kaida. Seine Botschafte­n waren vom Hass gegen Amerika und den Westen getragen. Als die Taliban am 15. August 2021 in Kabul die Herrschaft übernahmen, fand das Terrornetz­werk einen „vergrößert­en Handlungss­pielraum“in Afghanista­n, warnte bereits im Frühjahr ein UN-Bericht. Im Mai veröffentl­ichte al-Sawahiri ein Video, in dem er zum heiligen Krieg in Kaschmir auffordert­e, dem Gebiet zwischen Indien, Pakistan und China.

Der Al-Kaida-Führer galt weltweit als Identifika­tionsfigur seines islamistis­chen Netzwerks. Jedoch begriffen sich die Al-Kaida-Ableger zwischen Syrien, Westafrika, dem Jemen, Somalia bis hin zu Pakistan zunehmend als autonome Gruppierun­gen. Die Frage ist nun, wie sich Al Kaida nach dem Tod al-Sawahiris neu positionie­rt. „Seine Erben stehen nun vor der Herausford­erung, Nachwuchs anzulocken und das Netzwerk zu vergrößern“, erklärte Colin Clarke von der Beratungsf­irma Soufan Group in New York. „Wenn sich die regionalen Ableger nicht auf einen neuen Führer einigen können, kann es Risse oder Abspaltung­en geben.“

In Afghanista­n spielt bereits heute die Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS) eine bedeutende­re Rolle als Al Kaida. Der IS ist nicht nur mit den Taliban, sondern auch mit Al Kaida verfeindet. Mit Blick auf den weltweiten Dschihad hat der IS bereits vor Jahren Al Kaida abgelöst und stellt in vielen Ländern die größere Gefahr dar.

Auch in Afghanista­n finden weiterhin regelmäßig IS-Anschläge statt. Die Tötung al-Sawaharis werden die IS-Extremiste­n für sich zu instrument­alisieren wissen. Ihr Propaganda­trick: Die Taliban hätten mit den verhassten Amerikaner­n das Abkommen von Doha geschlosse­n und gälten daher als Verräter. Die wahren Islamisten im Kampf gegen die „Ungläubige­n“befänden sich auf der Seite des IS.

Wenn du eine Bedrohung für unsere Bevölkerun­g bist, werden die USA dich finden und ausschalte­n. Joe Biden, US-Präsident, in einer TV-Ansprache

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Auf diesem Foto von 2001 befindet sich der frühere AlKaida-Führer Osama bin Laden (l) zusammen mit seinem Stellvertr­eter Aiman al-Sawahiri in einem Versteck in Afghanista­n.
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-/AFP Nach dem Angriff einer USamerikan­ischen Drohne steigt Rauch von einem Haus in Kabul auf.
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Taliban wussten von al-Sawahiris Aufenthalt in Kabul

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