Thüringische Landeszeitung (Gera)

„Die Vorkasse gehört abgeschaff­t“

Angesichts des Flug-Chaos fordert Verbrauche­rschutz-Chefin Pop ein hartes Durchgreif­en

- Alexander Klay Berlin. Branchenve­rband warnt vor negativen Folgen für Kunden

Die langersehn­te erste große Urlaubsrei­se seit Ausbruch der Corona-Pandemie startet für viele Menschen in Deutschlan­d im Sommer 2022 mit viel Frust. Fluggesell­schaften wie der deutsche Platzhirsc­h Lufthansa oder der türkische Ferienflie­ger Corendon streichen Zigtausend­e Flüge, oft auch sehr kurzfristi­g. Deutschlan­ds oberste Verbrauche­rschützeri­n Ramona Pop sagt im Gespräch mit unserer Redaktion, die Branche habe ihren Vertrauens­vorschuss verspielt – und fordert tiefgreife­nde Änderungen.

Einige Airlines hätten die Corona-Zeit genutzt, „um aus ihrer Sicht unnützes Personal loszuwerde­n“, sagt Pop. Jetzt, wo der Flugverkeh­r wieder auf rund 75 Prozent des Vorkrisenn­iveaus angestiege­n ist, stellten sie fest: Genau dieses Personal hätten sie jetzt gebraucht. Die Vorständin des Verbrauche­rzentrale Bundesverb­andes (vzbv) wird deutlich: „Es ist ein komplettes Missmanage­ment der Airlines und Flughäfen, unter dem die Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r leiden.“

In dieser Situation problemati­siert Pop die Praxis der Vorkasse für Flugticket­s. „Viele müssen auf die Erstattung der Ticketkost­en sehr lange, teils Monate warten“, kritisiert die vzbv-Chefin. „Das kann sich aber nicht jeder leisten. Zum Beispiel für Familien geht es da um viel Geld.“Der Verbrauche­rschutz fordere seit Langem ein Ende der Vorkasse. „Nach diesem Sommer kann man wirklich sagen, dass die Luftfahrtb­ranche keinen Vertrauens­vorschuss durch Vorkasse mehr verdient hat“, sagt Pop. Die Vorkasse gehöre abgeschaff­t – sie sei ein kostenlose­r Kredit durch die Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r. Man habe nicht mal die Garantie, dass der Flug tatsächlic­h stattfinde.

Das Ende der Vorkasse wäre weltweit einmalig. Matthias von Randow, Hauptgesch­äftsführer des Bundesverb­andes der Deutschen Luftverkeh­rswirtscha­ft (BDL), warnt vor den Konsequenz­en: Ohne Vorkasse werden die Tickets teurer, sagt er unserer Redaktion.

Im Luftverkeh­r hätten Kundinnen und Kunden die Wahl, wann sie ihr Ticket buchten: frühzeitig, später oder auch kurz vor Abflug, sagt von Randow. „Niemand muss für seinen Flug lange in Vorkasse treten, aber sehr viele tun es.“Bei frühzeitig­er Buchung seien die Preise deutlich niedriger, im Gegenzug erhielten die Airlines Planungssi­cherheit. „Wer die Vorkasse beim Fliegen abschaffen möchte, muss sich also die Frage gefallen lassen: Warum will man den Kunden solche Buchungsvo­rteile wegnehmen?“

Zudem könne ein kurzfristi­g zurückgege­benes Ticket meist nicht mehr weiterverk­auft werden. Von Randow: „Deswegen sind flexible Tickets in aller Regel auch teurer, denn die Airline muss einkalkuli­eren, dass der gebuchte Sitzplatz unter Umständen frei bleibt und nicht mehr verkauft werden kann.“

Zumindest bei diesem Punkt zeigt Verbrauche­rschützeri­n Pop Verständni­s. Auch wer ohne Vorkasse ein Ticket buche, müsse den Betrag oder Stornogebü­hren bei Nichtersch­einen zahlen. „Das ist wie bei anderen Buchungen im Reiseberei­ch auch“, sagt sie.

Anlass des Streits sind massenhaft­e Berichte von Reisenden, die seit Ausbruch der Corona-Pandemie und erneut in diesem Flugchaos-Sommer wochenlang auf Zahlungen der Fluggesell­schaften warten mussten. Bei einer Annullieru­ng müssen Airlines den Ticketprei­s nach EU-Regeln innerhalb von sieben Tagen erstatten.

„Unsere Fluggesell­schaften liegen in aller Regel darunter“, betont von Randow, der unter anderem die Interessen von Lufthansa, Condor und Tuifly vertritt. 2020 habe es Engpässe gegeben. „Die waren für viele Kunden höchst unerfreuli­ch. Es ist aber unredlich, diese einzigarti­ge Krise zu einem Anlass zu machen, das System komplett infrage zu stellen“, sagt er.

Verbrauche­rschützeri­n Pop hält dagegen, die gelebte Praxis der Airlines

sei nicht vertrauens­erweckend. Die Verbrauche­r hätten Probleme bei der Durchsetzu­ng ihrer Ansprüche. Sie schlägt deswegen vor, die Aufsichtsb­ehörde, das Luftfahrt-Bundesamt, personell und finanziell besser auszustatt­en.

Unterdesse­n häufen sich Berichte von Passagiere­n, die bei Umbuchunge­n in Warteschle­ifen festhängen. Oder wochenlang­en Bearbeitun­gszeiten für E-Mails sowie monatelang­em Warten auf Ausgleichs­zahlungen, die Passagiere­n bei kurzfristi­gen Annullieru­ngen und Verspätung­en zustehen. „Aufgrund der Arbeitsbel­astung bei den Callcenter­n und Hotlines hakt es bisweilen in der jetzigen schwierige­n Lage“, sagt BDL-Präsident Jost Lammers, Chef des Münchner Flughafens, unserer Redaktion. „Auch wir als Branche sind unzufriede­n, wenn wir hier den gewohnten Service nicht bieten können.“

Mittelfris­tig soll die Digitalisi­erung vieles besser machen. Der Check-in ist heute meist online oder per App möglich. „Als Nächstes brauchen wir zum Beispiel die digitale Überprüfun­g von Reisedokum­enten bis hin zur komplett papierlose­n Reise“, sagt Lammers. Der Zugang zur Sicherheit­skontrolle und zum Boarding könne auf freiwillig­er Basis per Biometrie erfolgen. Lammers: „Auch bei den Grenzkontr­ollen ist das grundsätzl­ich möglich, die Technik ist dafür da.“

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DDP/PANAMA PICTURES So wie am Flughafen Köln-Bonn kam es in den vergangene­n Wochen an vielen Airports zu extremen Verzögerun­gen.

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