Thüringische Landeszeitung (Gera)
Präsenz vor Publikum
Zum Tod des ehemaligen Erfurter Schauspielers Klaus Schleiff, der vor 40 Jahren Baal in der DDR-Erstaufführung des Brecht-Stückes war
Das erste Mal sah ich ihn in „Die Laune des Verliebten“; das ist erinnerlich nur, weil es das erste Mal war, dass ich Theater von hinten sah. Ein Tellheim folgte, von dieser „Minna“bleibt die Erinnerung an eine etwas gedrückte Premierenfeier. Und dann ging er zwei Jahre nach Potsdam. Zurück kam ein anderer Schauspieler.
Klaus Schleiff wurde, nein, nicht unter, mit Ekkehard Kiesewetter zu einem Protagonisten des Erfurter Schauspiels, als es das noch gab. Ein Mann, den auf der Straße, außerhalb der Bühne, nicht der Hauch einer Aura umgab, ein Schauspieler, der nicht gemacht war für große Liebhaber. Ein Schauspieler auch, dem nie die Taschenspielertricks des Berufes zur Verfügung standen -- das machte wohl auch seine Nähe zu Kiesewetter aus --, nie die lässige Eleganz. Aber die Kraft, eine Figur zu erzählen, wenn er sie angenommen hatte. Dann hatte er, anders als der private Mensch, eine raumgreifende Präsenz. Und es sah nie aus wie Tänzeln, das bekannte sich immer zu dem, was es war: Arbeit.
Der Arbeiter Tschumalow in Heiner Müllers „Zement“, eine der besten Arbeiten von Kiesewetter: Wie dieser Mann aus dem russischen Bürgerkrieg kommt und das Werk aufbauen will mit dem, was er gelernt hat im Krieg. Wie er verzweifelt scheitert an seiner Frau – Renate Hundertmark, die war auch wirklich seine Frau –, wie er ihr seine Not ins Gesicht schreit, weil sie sich, es ist alles anders jetzt, ihm verweigert. Wie der Kerl, der das Weib eben noch bespringen wollte, zu weinen beginnt. Und wie er sich, der rote Kämpfer, mit dem bürgerlichen Ingenieur, den er nicht mag, nur braucht, duelliert. Da war nicht nur der Kampf der Figuren, es war auch einer der Schauspieler, Karl-Heinz Welzel, ein anderer Protagonist. Sie schenkten sich nichts und gaben so alles. Das wiederholte sich dann in „Blaue Pferde auf rotem Gras“, Lenin und sein Arzt.
Beide Produktionen stehen auch dafür, dass das, was damals „sozialistische Gegenwartsdramatik“hieß, mitunter auch neben Kunst ernsthafte Debatten ermöglichte. Wenn zwei erstklassige Schauspieler miteinander und also: gegeneinander, in den Ring steigen, dann ist das Theater ganz bei sich selbst. Dann stiftet es Erinnerungen, dann sind Schauspieler auch so etwas wie die Jahresringe einer Stadt. Dann sind sie Teil einer Erinnerungskultur, die diese Stadt Erfurt kurzsichtig und ignorant zerstört hat.
Als 1982, Kiesewetter hatte das in die Wege geleitet, Friedo Solter in Erfurt die DDR-Erstaufführung des „Baal“inszenierte, da wollte er die
Rolle mit einem Gast besetzten. Mit sanftem Druck nahm er schließlich Schleiff für den anarchischen Allesfresser. Der spielte ihm keinen mystischen, expressionistischen Kerl, der war einfach ein Künstler, dem nichts wichtiger ist als die Kunst. Dafür gab es die Helene-Weigel-Medaille, die er sich, unter anderem, teilte mit Ekkehard Schall und Ulrich Mühe.
Nach 1991 ging Klaus Schleiff nach Chemnitz, er begann gleichsam von vorn und fand dort sein Publikum.
Am Ende von Solters „Baal“kam die Stadtreinigung und räumte den Müll ab. So wie die Stadt Erfurt ihr Schauspiel abgeräumt hat.