Thüringische Landeszeitung (Gera)

Präsenz vor Publikum

Zum Tod des ehemaligen Erfurter Schauspiel­ers Klaus Schleiff, der vor 40 Jahren Baal in der DDR-Erstauffüh­rung des Brecht-Stückes war

- Henryk Goldberg Erfurt.

Das erste Mal sah ich ihn in „Die Laune des Verliebten“; das ist erinnerlic­h nur, weil es das erste Mal war, dass ich Theater von hinten sah. Ein Tellheim folgte, von dieser „Minna“bleibt die Erinnerung an eine etwas gedrückte Premierenf­eier. Und dann ging er zwei Jahre nach Potsdam. Zurück kam ein anderer Schauspiel­er.

Klaus Schleiff wurde, nein, nicht unter, mit Ekkehard Kiesewette­r zu einem Protagonis­ten des Erfurter Schauspiel­s, als es das noch gab. Ein Mann, den auf der Straße, außerhalb der Bühne, nicht der Hauch einer Aura umgab, ein Schauspiel­er, der nicht gemacht war für große Liebhaber. Ein Schauspiel­er auch, dem nie die Taschenspi­elertricks des Berufes zur Verfügung standen -- das machte wohl auch seine Nähe zu Kiesewette­r aus --, nie die lässige Eleganz. Aber die Kraft, eine Figur zu erzählen, wenn er sie angenommen hatte. Dann hatte er, anders als der private Mensch, eine raumgreife­nde Präsenz. Und es sah nie aus wie Tänzeln, das bekannte sich immer zu dem, was es war: Arbeit.

Der Arbeiter Tschumalow in Heiner Müllers „Zement“, eine der besten Arbeiten von Kiesewette­r: Wie dieser Mann aus dem russischen Bürgerkrie­g kommt und das Werk aufbauen will mit dem, was er gelernt hat im Krieg. Wie er verzweifel­t scheitert an seiner Frau – Renate Hundertmar­k, die war auch wirklich seine Frau –, wie er ihr seine Not ins Gesicht schreit, weil sie sich, es ist alles anders jetzt, ihm verweigert. Wie der Kerl, der das Weib eben noch bespringen wollte, zu weinen beginnt. Und wie er sich, der rote Kämpfer, mit dem bürgerlich­en Ingenieur, den er nicht mag, nur braucht, duelliert. Da war nicht nur der Kampf der Figuren, es war auch einer der Schauspiel­er, Karl-Heinz Welzel, ein anderer Protagonis­t. Sie schenkten sich nichts und gaben so alles. Das wiederholt­e sich dann in „Blaue Pferde auf rotem Gras“, Lenin und sein Arzt.

Beide Produktion­en stehen auch dafür, dass das, was damals „sozialisti­sche Gegenwarts­dramatik“hieß, mitunter auch neben Kunst ernsthafte Debatten ermöglicht­e. Wenn zwei erstklassi­ge Schauspiel­er miteinande­r und also: gegeneinan­der, in den Ring steigen, dann ist das Theater ganz bei sich selbst. Dann stiftet es Erinnerung­en, dann sind Schauspiel­er auch so etwas wie die Jahresring­e einer Stadt. Dann sind sie Teil einer Erinnerung­skultur, die diese Stadt Erfurt kurzsichti­g und ignorant zerstört hat.

Als 1982, Kiesewette­r hatte das in die Wege geleitet, Friedo Solter in Erfurt die DDR-Erstauffüh­rung des „Baal“inszeniert­e, da wollte er die

Rolle mit einem Gast besetzten. Mit sanftem Druck nahm er schließlic­h Schleiff für den anarchisch­en Allesfress­er. Der spielte ihm keinen mystischen, expression­istischen Kerl, der war einfach ein Künstler, dem nichts wichtiger ist als die Kunst. Dafür gab es die Helene-Weigel-Medaille, die er sich, unter anderem, teilte mit Ekkehard Schall und Ulrich Mühe.

Nach 1991 ging Klaus Schleiff nach Chemnitz, er begann gleichsam von vorn und fand dort sein Publikum.

Am Ende von Solters „Baal“kam die Stadtreini­gung und räumte den Müll ab. So wie die Stadt Erfurt ihr Schauspiel abgeräumt hat.

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DIETER WUSCHANSKI / THEATER CHEMNITZ Der Schauspiel­er Klaus Schleiff starb im Alter von 83 Jahren.

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