Thüringische Landeszeitung (Gera)
Auf einen Streich
Sieben CDU-Landräte gehen in den Ruhestand. Für ihre Partei wird das zum Problem
Im Dezember 1989, die Mauer war vier Wochen zuvor gefallen, wählten die Heiligenstädter Kreisverordneten Werner Henning zum Vorsitzenden des Rates des Kreises. Der promovierte Germanist, der die Materialwirtschaft der örtlichen Bekleidungswerke leitete, war durch lokalpatriotische Reden auf den Demonstrationen aufgefallen.
Für den Christdemokraten, damals 33, begann in der verbleichenden DDR eine Rekordkarriere. 1990 wählte ihn der erste und letzte freigewählte Kreistag in Heiligenstadt zum Landrat. Seit 1994 gewann er alle Direktwahlen im neuen, größeren Landkreis Eichsfeld. Immer bekam er die absolute Mehrheit, nie musste er in die Stichwahl.
Heute ist Henning der dienstälteste Landrat der Bundesrepublik und 65 Jahre. Damit hat er die gesetzliche Altersgrenze überschritten, die besagt, dass Bürgermeisterund Landratskandidaten zum Zeitpunkt ihrer Wahl das 65. Lebensjahr nicht vollendet haben dürfen.
Henning findet die Regelung hilfreich; auch seine Familie sei darüber froh. „Und führe mich nicht in Versuchung ...“, sagt er und lacht. Wer wisse schon, ob er 2024 nicht doch noch einmal angetreten wäre.
Die Abgänge kommen für die CDU zum ungünstigen Zeitpunkt
Für seine Eichsfelder CDU ist die Lage weniger entspannt. Auch wenn sie mit ihrem notorisch eigenwilligen Landrat hadert: Sie muss fürchten, bei den Kommunalwahlen in zwei Jahren den Landkreis ebenso zu verlieren wie die einst für sie sicheren Städte Heiligenstadt und Leinefelde-Worbis, wo nun Parteilose als Bürgermeister amtieren.
Aber immerhin, es gibt aussichtsreiche Nachfolgekandidaten. Der Landtagsabgeordnete und CDUKreisvorsitzende Thadäus König könnte antreten oder der Ohmberger Landgemeinde-Bürgermeister Heiko Steinecke. „Wir sind gut aufgestellt“, sagt König selbstbewusst.
Doch das Eichsfeld ist ja auch nur ein Teil eines gewaltigen Problems für die Thüringer CDU. Nicht nur Werner Henning geht in Rente. Es hören zudem altersbedingt auf: die parteieigenen Landräte Reinhard Krebs (Wartburgkreis), Andreas Heller (Saale-Holzland), Harald Henning (Sömmerda), Thomas Fügmann (Saale-Orla-Kreis) sowie die ebenfalls seit 1990 amtierende Landrätin Martina Schweinsburg (Greiz). Auch Thomas Müller (Hildburghausen) dürfte die Altersgrenze knapp reißen. Am Ende sind es sieben auf einen Streich.
Es ist der Abgang einer ganzen Generation – und er kommt für die CDU zum ungünstigen Zeitpunkt. Nach ihrer Landtagswahl-Niederlage, dem Thomas-Kemmerich-Großdesaster und der BundestagswahlPleite will sie mit der Landtagswahl im Herbst 2024 wieder durchstarten – und am besten zurück an die Regierungsmacht.
Doch im Frühjahr davor sind eben noch neben den Europawahlen die Landrats- und Oberbürgermeister-Wahlen zu absolvieren. Die CDU kann dann nur noch mit Christiane Schmidt-Rose (Weimarer Land) und Uwe Melzer (Altenburger Land) auf den zumeist entscheidenden Amtsbonus setzen – der diesmal besonders wichtig ist, weil gleichzeitig Stadt-, Gemeinderäte und Kreistage gewählt werden. Die CDU könnte sich also den Start in den Landtagswahlkampf ordentlich verderben. Sie versuchte deshalb voriges Jahr, das Kommunalwahlgesetz zu ändern und die Altersgrenze für Kandidaten auf 67 heraufzusetzen. Doch der Rest des Parlaments verhinderte dies, denn die Alterssorgen hat die CDU nahezu exklusiv. Nur in Sonneberg wird der parteilose, von Linke und SPD gestützte Landrat Hans-Peter Schmitz in Pension gehen müssen.
Die Landratswahlen werden so offen wie seit 1990 nicht mehr
Im Rest des Landes – die fünf kreisfreien Oberbürgermeister eingeschlossen – dürfen die sozialdemokratischen, liberalen oder parteilose Amtsinhaber noch einmal antreten. Sie wollen es anscheinend alle tun – und sei es, um ihre Pensionsansprüche zu wahren.
Während es also in den Städten so bleiben dürfte, wie es ist, werden die Landratswahlen so offen wie seit 1990 nicht mehr. Dass die knappe Hälfte der 17 Posten vakant ist, eröffnet auch der AfD echte Angriffsmöglichkeiten, etwa in den SaaleKreisen. Im Eichsfeld könnte der heimliche AfD-Bundeschef Björn Höcke versuchen, es als PR-Aktion vor der Landtagswahl wenigstens in die Stichwahl zu schaffen.
Die CDU befindet sich also auf Personalsuche. Spätestens im Frühjahr 2023, sagt Generalsekretär Christian Herrgott, wolle man alle Kandidaten beisammen haben. Die Landespartei betrachte die Abstimmungen in den Kommunen als „den klaren Schwerpunkt“vor der Landtagswahl.
Werner Henning muss dies nicht belasten. Er betrachte, sagt er, seine Nachfolge „mit großer Gelassenheit“. Er wolle bis zum letzten Tag arbeiten und danach die Tür fest hinter sich schließen. Mit der Politik werde er mit „sehr großer Sicherheit“nichts mehr zu tun haben.