Thüringische Landeszeitung (Gera)

Selbst ernannte Wahlkommis­sionen beschäftig­en Verfassung­sschutz

In mehreren Regionen Thüringens sind fingierte Wahlaufruf­e plakatiert worden. Dabei stehen in den betroffene­n Gemeinden gar keine Entscheide über Gremien an

- Kai Mudra Erfurt.

Im Süden des Wartburgkr­eises wurden seit dem Wochenende mehrfach Plakate entdeckt und entfernt, auf denen eine sogenannte Wahlkommis­sion zum Eintrag in Wählerlist­en für eine Gemeindera­tswahl aufruft. Die braunen Blätter mit dem Wappen des ehemaligen Großherzog­tums Sachsen Weimar Eisenach kündigen staatliche Gemeindera­tswahlen, ein Referendum über die Siegelrech­te und die Wahl eines Verwesers auf dem einstigen Territoriu­m eben jenes Großherzog­tums an.

Diese Aufrufe tauchten nicht nur im Wartburgkr­eis auf. Für Unverständ­nis

sorgten solche Plakate auch in Bad Sulza (Weimarer Land) oder in Erfurt, aber auch in Ostthüring­en. Die betroffene­n Gemeinden hätten die Plakate unmittelba­r nach ihrem Auffinden dokumentie­rt und entfernt, erklärte am Mittwoch ein Sprecher des Landesverw­altungsamt­es. Zudem sei der Verfassung­sschutz informiert worden, weil „die Bekanntmac­hungen einen amtlichen Anschein erwecken wollen und ohne Genehmigun­g auf gemeindlic­hem Eigentum angebracht“wurden. Reguläre Wahlen stehen in den betroffene­n Kommunen derzeit nicht an.

Das scheint aber nicht zu interessie­ren. So beruft sich beispielsw­eise eine der selbst ernannten Wahlkommis­sionen, mit Sitz in Buttstädt (Kreis Sömmerda), auf die Gemeindeor­dnung vom 17. April 1895, also aus längst vergangene­r Zeit. Vergangen auch deshalb, weil am 9. November 1918 der Enkel von Großherzog Carl Alexander auf den Thron verzichtet hatte und damit die Monarchie im Großherzog­tum endete. Der so entstanden­e Freistaat Sachsen-Weimar-Eisenach ging 1920 im Land Thüringen auf.

Thüringer Staatsanwa­ltschaften prüfen, ob Straftaten vorliegen

Mehrere Thüringer Staatsanwa­ltschaften würden prüfen, ob die Plakate strafrecht­lich relevant seien, sagte Jochen Grundler, Sprecher der Staatsanwa­ltschaft Meiningen.

Die Initiatore­n dieser Plakate seien dem Phänomenbe­reich der sogenannte­n Reichsbürg­er und Selbstverw­alter zuzuordnen, betonen das Innenminis­terium und das Amt für Verfassung­sschutz. „Reichsbürg­er“stellten die Legitimitä­t der bestehende­n staatliche­n Ordnung grundsätzl­ich in Frage und unterlägen daher dem gesetzlich­en Auftrag des Verfassung­sschutzes.

In jüngster Zeit sei es vermehrt zu derartigen Plakatieru­ngen in Thüringen gekommen. „Reichsbürg­er“und Selbstverw­alter würden annehmen, dass sich die Bundesrepu­blik in einem Zustand der Illegitimi­tät befände. Für diese Bestrebung­en werde unter anderem versucht, „Gebiete durch eigeniniti­ativ organisier­te Wahlen unter Selbstverw­altung zu stellen“, ergänzt ein Behördensp­recher.

Thüringens Innenminis­ter Georg Maier hatte sich erst Anfang Juni dafür ausgesproc­hen, auch sogenannte­n Reichsbürg­er „konsequent dem rechten Spektrum zuzuordnen. Zudem kündigte der SPD-Politiker mehrfach an, „Reichsbürg­er“in Thüringen entwaffnen zu wollen.

Die Linken-Abgeordnet­e Katharina König-Preuss sieht in den Plakaten ein gefährlich­es Unterlaufe­n demokratis­cher Prozesse. Damit werde nach rechtsextr­emen Corona-Leugnern erneut das Vertrauen in den Staat in Frage gestellt. Der CDU-Innenexper­te Raymond Walk warnt, die Szene zu unterschät­zen. Es gebe rund 1000 „Reichsbürg­er“in Thüringen, darunter 30 Rechtsextr­eme. Dass in der Urlaubszei­t eine solche Plakatakti­on gestartet werde, halte er für eine neue Qualität, betont der Abgeordnet­e.

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SASCHA FROMM Der CDU-Abgeordnet­e Raymond Walk warnt davor, die Reichsbürg­erszene zu unterschät­zen.

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