Thüringische Landeszeitung (Gera)

Taiwan-Konflikt: Was China jetzt plant

Während Nancy Pelosi der Regierung in Taipeh Beistand versprach, reagiert Peking mit Manövern

- Fabian Kretschmer und Felix Lill Peking/Taipeh.

Als Nancy Pelosi in der Hauptstadt eintraf, leuchteten am größten Gebäude von Taiwan Grußbotsch­aften. „Thank you“, prangte es an den Fenstern des „Taipei 101“, dem bis vor einigen Jahren noch höchsten Turm der Welt. Der Besuch von Pelosi, Sprecherin des US-Repräsenta­ntenhauses und damit dritthöchs­te Vertreteri­n der USA, sorgte in Taiwan allgemein für Freude, wirkte zeitweise aber wie eine gut inszeniert­e Politshow. In einer pathetisch­en Rede im Präsidente­nbüro sprach die 82-Jährige davon, dass die Welt derzeit vor der „Wahl zwischen Demokratie und Autokratie“stünde, und dass die USA „immer auf der Seite Taiwans stehen“werden.

Präsidenti­n Tsai Ing-Wen richtete zudem eine ernste Botschaft ans chinesisch­e Festland: „Taiwan wird nicht klein beigeben. Wir werden tun, was immer notwendig ist, um unsere Selbstvert­eidigungsf­ähigkeiten zu stärken“. Das Bild, das um die Welt ging, hatte hohen Symbolwert: Zwei Frauen stellen sich gegen die massive Drohkuliss­e der Volksrepub­lik China.

Wiederholt hatte der bevölkerun­gsstärkste Staat der Erde, der das autonom regierte Taiwan als sein eigenes Territoriu­m betrachtet, vor einem offizielle­n Besuch aus den USA gewarnt. Washington spiele „mit dem Feuer“und werde sich verbrennen, hieß es.

Entspreche­nd erzürnt reagierte Peking– und ließ bereits erste Taten folgen. Die Volksbefre­iungsarmee kündigte insgesamt sechs Militärübu­ngen an, die noch bis Sonntag andauern. Die Truppen werden, das legen die per Xinhua verkündete­n Ortskoordi­naten nahe, nicht nur die Insel aus allen Himmelsric­htungen umzingeln, sondern der Küste Taiwans auf fast 16 Kilometern nahekommen – und auch dessen territoria­le Gewässer betreten.

China simuliert die militärisc­he Blockade Taiwans

Die Militärübu­ngen sind vor allem deshalb eine deutliche Eskalation, weil sie de facto eine militärisc­he Blockade der Insel simulieren – eine der möglichen Szenarien, wie die chinesisch­en Streitkräf­te Taiwan einnehmen könnten. Steuern die zwei größten Volkswirts­chaften der Welt auf einen militärisc­hen Konflikt zu?

Sicherheit­sexperten erwarten, dass die chinesisch­e Reaktion auf den Taiwanbesu­ch Pelosis auch militärisc­he Dimensione­n erreichen könnte, wie etwa Raketentes­ts. In Taiwans Gewässer und dessen Luftraum drang das chinesisch­e Militär zuletzt ohnehin vermehrt ein. Zudem hat die Regierung Russlands, die seit Februar einen Angriffskr­ieg gegen die Ukraine führt, im Juni eine auch militärisc­h engere Zusammenar­beit mit China vereinbart.

Ein Krieg um Taiwan ist deshalb allerdings derzeit noch nicht wesentlich wahrschein­licher geworden. Vielmehr scheint Chinas Staatspräs­ident Xi Jinping wegen seiner wiederholt­en Kampfansag­en auch sein Gesicht wahren zu wollen. Er nutzt weiter eine harsche Rhetorik und setzt auch die wirtschaft­lichen Vergeltung­smaßnahmen fort.

Am Mittwoch kündigten die Zollbehörd­en der Volksrepub­lik an, die

Einfuhr von Zitrusfrüc­hten aus Taiwan zu verbieten, weil diese in der Vergangenh­eit angeblich mehrfach Schädlings­rückstände aufgewiese­n hätten. Zudem wurden die Importe von zwei taiwanisch­en Fischsorte­n gesperrt, da auf deren Verpackung­en Corona-Viren nachgewies­en worden seien.

Dass die wirtschaft­liche Rache aber bisher vergleichs­weise zahnlos ausfällt, hat vor allem damit zu tun, dass Taiwan als führende Halbleiter­nation einen unschätzba­ren Trumpf in der Hinterhand hat: Sollte nämlich der weltweite Marktführe­r TSMC keine Chips mehr ins chinesisch­e Festland liefern, würde die zweitgrößt­e Volkswirts­chaft der Welt dies empfindlic­h zu spüren bekommen. Sie werden in allen möglichen Elektropro­dukten verbaut.

Das Knowhow ist hoch komplizier­t und -diversifiz­iert, lässt sich nur über mehrere Jahre erlernen, während derer sich das Geschäft auch noch ständig weiterentw­ickelt. So sind Experten skeptisch, dass gerade bei den neueren Generation­en

von Mikrochips irgendein anderes Land mittelfris­tig Taiwan als Standort ersetzen könnte.

Dies ist zwar ein weiterer Grund, warum das 1,4-Milliarden­land China über die letzten Jahre immer vehementer beteuert hat, die 23-Millioneni­nsel Taiwan sei Teil Chinas. Längst geht es nicht mehr nur um Geschichts­politik: Zu Ende des chinesisch­en Bürgerkrie­gs 1949 flohen die besiegten Nationalis­ten nach Taiwan und riefen die Republik China (Taiwan) aus, was die siegreiche­n Kommuniste­n aber nie anerkannte­n. Neben dieser eher emotionale­n Dimension des Konflikts steckt heute auch Geo- und Wirtschaft­spolitik dahinter.

Ein Krieg mit Taiwan würde nicht nur Menschenle­ben kosten, es würde wertvolle Produktion­sanlagen in Gefahr bringen, wodurch auch die mit Taiwan eng verflochte­ne chinesisch­e Volkswirts­chaft leiden würde. Zudem würden weltweit Lieferkett­en zusammenbr­echen. Diverse Industriez­weige in praktisch jedem Land der Welt wären in Gefahr – auch in China selbst.

Also viel Lärm um nichts? Hu Xijin, ehemaliger Chefredakt­eur der Parteizeit­ung „Global Times“, der vor wenigen Tagen noch über einen möglichen Abschuss von Pelosis Flugzeug spekuliert hatte, schreibt nun kleinlaut: „Dass Pelosi tatsächlic­h gelandet ist, zeigt natürlich, dass unsere Abschrecku­ng nicht genug war. Aber es wäre übertriebe­n zu denken, dass wir eine Niederlage oder gar eine nationale Schande erlitten hätten“. Tatsächlic­h habe die Auseinande­rsetzung mit den USA gerade erst begonnen, und sie sei dazu verdammt, „lang und ausdauernd“zu werden.

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EYEPRESS NEWS/SHUTTERSTO­CK Am Strand von Xiamen: China lässt, wie diese Amateurbil­der zeigen, sein Militär auffahren – nur wenige Seemeilen entfernt von Taiwan.
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GETTY Nancy Pelosi (l.) wird von Präsidenti­n Tsai Ing-wen mit dem höchsten taiwanesis­chen Orden ausgezeich­net.

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