Thüringische Landeszeitung (Gera)

Scholz: „Turbine kann jederzeit geliefert werden“

Bundeskanz­ler wirft Gazprom vor, ein falsches Spiel bei den Gaslieferu­ngen zu spielen

- Ulf Meinke Mülheim. Auslieferu­ng der Turbine: Noch keine Einigung mit Gazprom

Olaf Scholz berührt die Turbine kurz nach dem Reinkommen und später noch mal vor dem Abschied. Neben der Turbine ist ein Rednerpult aufgebaut. Die Bühne für die Pressekonf­erenz mit dem Bundeskanz­ler nimmt nur einen Bruchteil der Fläche der weitläufig­en Werkshalle des Industriek­onzerns Siemens Energy in Mülheim an der Ruhr ein. Hier steht sie also, die Turbine, die zu einem Spielball der Weltpoliti­k geworden ist.

Nur wenige Stunden vorher hat das Unternehme­n den Ortsbesuch des Kanzlers publik gemacht. Das Werksgelän­de im Ruhrgebiet fungiert gewisserma­ßen als Zwischenla­ger. Gewartet worden sei die Turbine an einem Standort von Siemens Energy im kanadische­n Montreal, berichtet das Unternehme­n. Mit dem Flugzeug ging es dann zum Airport Köln/Bonn. Über Mülheim soll der Weitertran­sport in die Nähe von St. Petersburg zur russischen Pipeline Nord Stream 1 erfolgen – wenn es Gazprom denn will.

Christian Bruch, Chef von Siemens Energy, sagt auf offener Bühne im Beisein des Kanzlers, sein Unternehme­n könne „aus technische­r Sicht nicht nachvollzi­ehen“, warum der russische Konzern nicht seinen Beitrag dazu leiste, die Turbine ins Land zu holen.

Es geht nach Angaben von deutscher Seite insbesonde­re um Papiere – etwa für den Zoll –, die noch nicht vorliegen. Wiederholt hatte der Gazprom-Konzern seinem Vertragspa­rtner Siemens Energy vorgeworfe­n, nicht die nötigen Dokumente und Informatio­nen zur Reparatur der Maschine übermittel­t zu haben. Siemens Energy wies die Vorwürfe stets zurück.

„Es ist offensicht­lich, dass nichts, aber auch wirklich gar nichts dem Weitertran­sport dieser Turbine und ihrem Einbau in Russland entgegenst­eht“, sagt Olaf Scholz in Mülheim. „Die Turbine ist da, sie kann jederzeit geliefert werden“, erklärt der Kanzler, der den russischen Präsidente­n Wladimir Putin verantwort­lich macht für die seit einigen Wochen ins Stocken geratenen Gaslieferu­ngen nach Deutschlan­d.

Russland habe die Gasturbine nur als Vorwand missbrauch­t, um vereinbart­e Gasexporte zu stoppen, schreibt Scholz auf seinem Twitter-Account. Ausdrückli­ch dankt er dem kanadische­n Premiermin­ister Justin Trudeau dafür, dass ein Transport der Turbine in die Bundesrepu­blik ermöglicht worden sei. „Dank Justin Trudeau konnten wir Putins Bluff aufdecken“, so Scholz. „Die Reduzierun­g der Gaslieferu­ngen über Nord Stream 1, die Nichterfül­lung der Gaslieferu­ngsverträg­e

hat keinerlei technische Gründe“, sagt der Kanzler in Mülheim.

Die rund zwölf Meter lange Turbine macht einen frisch polierten Eindruck. Einige Maschinent­eile glänzen geradezu unter dem Licht, das durch die Decke der Werkshalle gelangt. Eigentlich sei die Wartung, die gerade erfolgt sei, eine reine Routinesac­he, erzählen Unternehme­nsvertrete­r am Rande des Ortstermin­s im Ruhrgebiet. Der Vorgang sei vergleichb­ar mit einer Inspektion beim Auto. Doch plötzlich sei eine eigentlich simple Sache zu einem Politikum geworden.

Mit einem leichten Schmunzeln im Gesicht sagt Scholz, er habe den Eindruck bekommen, es sei „ganz sinnvoll“, sich die Turbine einmal anzuschaue­n, „um die Debatte zu entmystifi­zieren“. So sei nun für jeden sichtbar: „Es gibt sie wirklich, sie steht hier, sie ist einsatzber­eit.“

Scholz erinnert daran, dass Russland jahrzehnte­lang – selbst in Zeiten des Kalten Krieges – stets verlässlic­h Erdgas geliefert habe. Diese Sicherheit gebe es nun nicht mehr. Doch mit Blick auf Russlands Zukunft sei es „eine schwierige Botschaft“, sagt der Kanzler, wenn es in der Welt Zweifel an der Vertragstr­eue des Landes gebe.

Scholz belässt es bei seinem Besuch nicht mit wenigen Worten zum deutsch-russischen Turbinenst­reit. Auch auf die allgemeine Lage in der historisch einmaligen Energiekri­se geht der Kanzler ein. Er legt dar, wie die Bundesrepu­blik daran arbeite, die Gasspeiche­r vor dem Winter zu füllen.

Scholz schildert, dass alte Kohlekraft­werke dieser Tage wieder ans Netz gehen, um Erdgas in der Stromprodu­ktion einzuspare­n. „Das alles dient der Vorbereitu­ng auf eine schwierige Zeit“, sagt der Kanzler. „Ich merke auch von vielen Bürgerinne­n und Bürgern, dass sie sich selbst bereits vorbereite­n.“

Ausführlic­h widmet sich Scholz in freier Rede den „Entlastung­spaketen“, die „gerade jetzt, wo die Preise steigen“, ihre Wirkung entfalten sollen: Entlastung­en beim Strompreis durch den Wegfall der Erneuerbar­e-Energien-Umlage, das 9-Euro-Ticket, der Rabatt an den Tankstelle­n, Hilfen für Empfänger von Grundsiche­rung, steuerlich­e Entlastung­en für Arbeitnehm­er – „alles das soll helfen, dass wir durch die schwierige Situation kommen“, sagt Scholz.

Und er fügt hinzu: „Wir werden weitere Maßnahmen ergreifen, gerade da wo es knapp ist im Geldbeutel, weil viele Bürgerinne­n und Bürger keine Rücklagen haben aufbauen können.“Dann mischt Scholz noch ein wenig Pathos in seine Werkshalle­nrede. „Das ist jetzt ein Moment, in dem wir als Land zusammenst­ehen müssen“, sagt er.

Wie es nun mit der Turbine weitergeht? Es gebe zwar „Dialog“mit Gazprom, sagt Konzernche­f Bruch auf Nachfrage eines Journalist­en, „aber keine Einigkeit“. Schon „seit über einer Woche“lagere die Maschine auf dem Werksgelän­de am Mülheimer Hafen.

Wie lange der Aufenthalt im Zwischenla­ger Ruhrgebiet noch dauern wird, ist offen. Im Prinzip sei es „in der Welt, in der wir heute leben, etwas ganz Einfaches, sie zu transporti­eren“, merkt Scholz an. „Es muss nur einer sagen: Bitte, schickt sie uns.“

Es ist offensicht­lich, dass nichts, aber auch wirklich gar nichts dem Weitertran­sport dieser Turbine entgegenst­eht. Olaf Scholz, Bundeskanz­ler

 ?? FUNKE FOTO SERVICES ?? Bundeskanz­ler Olaf Scholz besichtigt die Gasturbine bei Siemens Energy im Ruhrgebiet. Sie ist für den Weitertran­sport nach Russland bereit.
FUNKE FOTO SERVICES Bundeskanz­ler Olaf Scholz besichtigt die Gasturbine bei Siemens Energy im Ruhrgebiet. Sie ist für den Weitertran­sport nach Russland bereit.

Newspapers in German

Newspapers from Germany