Thüringische Landeszeitung (Gera)

„Ungünstig, für kurze Zeit weit wegzureise­n“

Ein Tourismus-Experte von der Hochschule Harz rät, auch bei Urlaubsrei­sen auf Nachhaltig­keit zu achten

- Charlotte Morgenthal Wernigerod­e.

Wer am meisten aus seinem Urlaub heraushole­n möchte, der sollte bald schon wieder die nächste Sommerreis­e planen, meint Professor Harald Zeiss von der Hochschule Harz in Wernigerod­e (Sachsen-Anhalt). Neben einem Plädoyer gegen Last-MinuteBuch­ungen erläuterte der Experte für nachhaltig­en Tourismus im Gespräch, welche Kriterien einen nachhaltig­en Urlaub ausmachen und was die größten Urlaubssün­den sind. Harald Zeiss ist Vorsitzend­er des Ausschusse­s Nachhaltig­keit beim Deutschen Reiseverba­nd (DRV) und Vorstandsv­orsitzende­r der Nachhaltig­keitsiniti­ative „Futouris“.

Warum sollte ich mich mit nachhaltig­em Tourismus beschäftig­en? Unser Handeln ist derzeit alles andere als nachhaltig. Künftige Generation­en oder Menschen in anderen Ländern der Welt können eben nicht unseren Lebensstil leben, weil wir in vielen Fällen auch auf deren Kosten konsumiere­n. Wem das am Herzen liegt, der sollte nachhaltig handeln.

Nachhaltig­er Tourismus klingt auch anstrengen­d und nach vielen Details, die beachtet werden müssen. Welche Kernthemen stecken eigentlich dahinter?

Jeder kann sich überlegen, ob er in 300 Jahren noch genauso handeln würde wie jetzt. Dann wird schnell klar, ob man nachhaltig lebt oder nicht. Beim nachhaltig­en Tourismus spielt Mobilität eine größere Rolle, also ob ich in einen Flieger steige oder mit dem Auto fahre, und dabei fossile Rohstoffe nutze. Negative ökologisch­e und soziale Auswirkung­en von Tourismus finden sich auch beim Thema Abfall, beispielsw­eise in den vermüllten Meeren oder bei der Wasser-Nutzung und der Frage, ob es sinnvoll ist, in einem Pool in der Wüste zu baden. Menschen gastieren in einem Hotel, wo reichlich Essen auf dem Tisch steht und nebenan werden die Einwohner nicht satt. Es gibt viele Beispiele, die sofort eine direkte Auswirkung haben. Daher sollte jeder seinen Urlaub sorgfältig planen. Außerdem kann jeder selbst aktiv werden und zum Beispiel ansprechen, wenn die Marmelade am Frühstücks­tisch einzeln verpackt ist, oder die Heizungen bei offenem Fenster aufgedreht sind. Das ist eine unnötige Verschwend­ung und dieses Konsumverh­alten ist nicht im

Einklang mit unserer Verantwort­ung auf der Welt.

Ganz praktisch: Wie plane ich einen nachhaltig­en Urlaub?

Am Anfang steht die fast schon philosophi­sche Frage, was ich mit der Ressource Freizeit anfangen will und welche Ziele ich habe. Suche ich Erholung oder Abwechslun­g, suche ich Entspannun­g in der Sonne oder spannende Gegenden, mit Kontakten zu Menschen, möchte ich ein Buch lesen oder Wellness? In vielen Fällen muss ich für diese Ziele nicht weit wegfahren. Wenn ich spirituell­e Erholung suche, kann ich auch in ein Kloster in Niedersach­sen gehen, wenn ich mich weiterbild­en möchte, kann ich vielleicht auch nach Belgien fahren und wenn ich Abenteuer erleben möchte, reicht auch eine Reise in die österreich­ischen Berge. Ein All-inclusive-Urlaub kann für manche ein Segen sein, den habe ich selbst mit meiner Familie und kleinen Kindern gemacht. Aber ich glaube, für viele ist es nicht der passende Urlaub.

Gibt es Beispiele für attraktive Ziele in der Region?

Tolle Erlebnisse kann man auch in der Lüneburger Heide sammeln. Im Harz gibt es spektakulä­re Orte, die gar nicht so sehr besucht sind. In der Eifel kann man im Wald übernachte­n oder im Süden von Berlin zu einer Rudertour aufbrechen. Es gibt wirklich viele spannende Dinge, die mit etwas Aufwand organisier­t werden können. Eine große Anzahl von Reisenden macht sich wohl zu wenig Gedanken, kauft Urlaub von der Stange und hat am Ende nicht den bestmöglic­hen Urlaub verbraucht.

Aber es gibt ja auch einzigarti­ge Orte wie die Freiheitss­tatue in New York, die weiter weg sind. Sollte man sich dann von solchen Reiseträum­en verabschie­den?

Ich finde schon, dass man sich Gedanken machen sollte, wie wichtig es ist, eine Freiheitss­tatue gesehen zu haben. Im Prinzip ist diese völlig uninteress­ant, und einfach historisch aufgeladen und wird mit Filmen und Postern verknüpft. Ich glaube, dass es vielen nur darum geht, anderen Menschen von dem Besuch dort zu erzählen. Aber wenn sie sich von diesen künstliche­n Bildern verabschie­den, haben die Menschen viel eher die Chance auf authentisc­he Erlebnisse.

Reisen bedeutet aber auch für manche, den kulturelle­n Horizont zu erweitern. Wie lässt sich das mit Nachhaltig­keit verbinden?

Ein Besuch von anderen Kulturen und Völkern lässt sich nicht leicht ersetzen. Allerdings macht nur eine Minderheit der Reisenden diese Form des Urlaubs. Denn diese Bildungsre­ise beruhen auch auf einer Art der Sozialisie­rung. Viele Zehntausen­de machen Sporturlau­b wie Radfahren oder Wandern und das sind definitiv nachhaltig­ere Formen. Balkonien ist letztendli­ch die günstige und nachhaltig­ste Art. Der nächste Schritt wäre ein Inlandsode­r Anrainer-Tourismus, zu dem möglichst mit öffentlich­en Verkehrsmi­tteln gefahren wird. Wobei das Auto nicht von vornherein weniger nachhaltig ist. Wenn eine Familie zu viert ins Auto steigt, hat sie eine ähnliche Klimabilan­z wie mit einer Zugfahrt. Bei der Wahl der Unterkunft gibt es Hotels, in denen die Gäste während des Aufenthalt­s sogar CO2-Emissionen einsparen können. Insgesamt gibt es in Deutschlan­d und den Nachbarlän­dern viele nachhaltig­e Unterkünft­e, die eine recht neutrale Bilanz haben. Idealerwei­se verzichten die Reisenden dann noch auf den Verzehr von Fleisch oder Milchprodu­kten.

Was sind denn die größten UrlaubsSün­den?

Die größte klimatisch­e Sünde ist die Kreuzfahrt in der Antarktis oder ein Shopping-Wochenende in New York. Ungünstig ist es immer, für kurze Zeit weit wegzureise­n. Und man sollte nichts unterstütz­en, das schon beim Betrachten Fragen aufwirft, wie das Golfen in der Wüste. Positiv zu bewerten sind hingegen Reisen mit langen Aufenthalt­sdauern, einem intensiven, wertschätz­enden Austausch mit den Gastgebern sowie der Möglichkei­t, Geld für lokale Angebote und familienge­führte Unterkünft­e zu hinterlass­en. epd

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ANDREA WARNECKE / DPA-TMN/ ARCHIV Die Freiheitss­tatue in New York ist eine der bekanntest­en Sehenswürd­igkeiten der Welt. „Ich glaube, dass es vielen nur darum geht, anderen Menschen von dem Besuch dort zu erzählen“, sagt Harald Zeiss, der die Statue im Prinzip für „völlig uninteress­ant“hält.
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HOCHSCHULE HARZ Harald Zeiss, Professor an der Hochschule Harz.

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