Thüringische Landeszeitung (Gera)
„Ungünstig, für kurze Zeit weit wegzureisen“
Ein Tourismus-Experte von der Hochschule Harz rät, auch bei Urlaubsreisen auf Nachhaltigkeit zu achten
Wer am meisten aus seinem Urlaub herausholen möchte, der sollte bald schon wieder die nächste Sommerreise planen, meint Professor Harald Zeiss von der Hochschule Harz in Wernigerode (Sachsen-Anhalt). Neben einem Plädoyer gegen Last-MinuteBuchungen erläuterte der Experte für nachhaltigen Tourismus im Gespräch, welche Kriterien einen nachhaltigen Urlaub ausmachen und was die größten Urlaubssünden sind. Harald Zeiss ist Vorsitzender des Ausschusses Nachhaltigkeit beim Deutschen Reiseverband (DRV) und Vorstandsvorsitzender der Nachhaltigkeitsinitiative „Futouris“.
Warum sollte ich mich mit nachhaltigem Tourismus beschäftigen? Unser Handeln ist derzeit alles andere als nachhaltig. Künftige Generationen oder Menschen in anderen Ländern der Welt können eben nicht unseren Lebensstil leben, weil wir in vielen Fällen auch auf deren Kosten konsumieren. Wem das am Herzen liegt, der sollte nachhaltig handeln.
Nachhaltiger Tourismus klingt auch anstrengend und nach vielen Details, die beachtet werden müssen. Welche Kernthemen stecken eigentlich dahinter?
Jeder kann sich überlegen, ob er in 300 Jahren noch genauso handeln würde wie jetzt. Dann wird schnell klar, ob man nachhaltig lebt oder nicht. Beim nachhaltigen Tourismus spielt Mobilität eine größere Rolle, also ob ich in einen Flieger steige oder mit dem Auto fahre, und dabei fossile Rohstoffe nutze. Negative ökologische und soziale Auswirkungen von Tourismus finden sich auch beim Thema Abfall, beispielsweise in den vermüllten Meeren oder bei der Wasser-Nutzung und der Frage, ob es sinnvoll ist, in einem Pool in der Wüste zu baden. Menschen gastieren in einem Hotel, wo reichlich Essen auf dem Tisch steht und nebenan werden die Einwohner nicht satt. Es gibt viele Beispiele, die sofort eine direkte Auswirkung haben. Daher sollte jeder seinen Urlaub sorgfältig planen. Außerdem kann jeder selbst aktiv werden und zum Beispiel ansprechen, wenn die Marmelade am Frühstückstisch einzeln verpackt ist, oder die Heizungen bei offenem Fenster aufgedreht sind. Das ist eine unnötige Verschwendung und dieses Konsumverhalten ist nicht im
Einklang mit unserer Verantwortung auf der Welt.
Ganz praktisch: Wie plane ich einen nachhaltigen Urlaub?
Am Anfang steht die fast schon philosophische Frage, was ich mit der Ressource Freizeit anfangen will und welche Ziele ich habe. Suche ich Erholung oder Abwechslung, suche ich Entspannung in der Sonne oder spannende Gegenden, mit Kontakten zu Menschen, möchte ich ein Buch lesen oder Wellness? In vielen Fällen muss ich für diese Ziele nicht weit wegfahren. Wenn ich spirituelle Erholung suche, kann ich auch in ein Kloster in Niedersachsen gehen, wenn ich mich weiterbilden möchte, kann ich vielleicht auch nach Belgien fahren und wenn ich Abenteuer erleben möchte, reicht auch eine Reise in die österreichischen Berge. Ein All-inclusive-Urlaub kann für manche ein Segen sein, den habe ich selbst mit meiner Familie und kleinen Kindern gemacht. Aber ich glaube, für viele ist es nicht der passende Urlaub.
Gibt es Beispiele für attraktive Ziele in der Region?
Tolle Erlebnisse kann man auch in der Lüneburger Heide sammeln. Im Harz gibt es spektakuläre Orte, die gar nicht so sehr besucht sind. In der Eifel kann man im Wald übernachten oder im Süden von Berlin zu einer Rudertour aufbrechen. Es gibt wirklich viele spannende Dinge, die mit etwas Aufwand organisiert werden können. Eine große Anzahl von Reisenden macht sich wohl zu wenig Gedanken, kauft Urlaub von der Stange und hat am Ende nicht den bestmöglichen Urlaub verbraucht.
Aber es gibt ja auch einzigartige Orte wie die Freiheitsstatue in New York, die weiter weg sind. Sollte man sich dann von solchen Reiseträumen verabschieden?
Ich finde schon, dass man sich Gedanken machen sollte, wie wichtig es ist, eine Freiheitsstatue gesehen zu haben. Im Prinzip ist diese völlig uninteressant, und einfach historisch aufgeladen und wird mit Filmen und Postern verknüpft. Ich glaube, dass es vielen nur darum geht, anderen Menschen von dem Besuch dort zu erzählen. Aber wenn sie sich von diesen künstlichen Bildern verabschieden, haben die Menschen viel eher die Chance auf authentische Erlebnisse.
Reisen bedeutet aber auch für manche, den kulturellen Horizont zu erweitern. Wie lässt sich das mit Nachhaltigkeit verbinden?
Ein Besuch von anderen Kulturen und Völkern lässt sich nicht leicht ersetzen. Allerdings macht nur eine Minderheit der Reisenden diese Form des Urlaubs. Denn diese Bildungsreise beruhen auch auf einer Art der Sozialisierung. Viele Zehntausende machen Sporturlaub wie Radfahren oder Wandern und das sind definitiv nachhaltigere Formen. Balkonien ist letztendlich die günstige und nachhaltigste Art. Der nächste Schritt wäre ein Inlandsoder Anrainer-Tourismus, zu dem möglichst mit öffentlichen Verkehrsmitteln gefahren wird. Wobei das Auto nicht von vornherein weniger nachhaltig ist. Wenn eine Familie zu viert ins Auto steigt, hat sie eine ähnliche Klimabilanz wie mit einer Zugfahrt. Bei der Wahl der Unterkunft gibt es Hotels, in denen die Gäste während des Aufenthalts sogar CO2-Emissionen einsparen können. Insgesamt gibt es in Deutschland und den Nachbarländern viele nachhaltige Unterkünfte, die eine recht neutrale Bilanz haben. Idealerweise verzichten die Reisenden dann noch auf den Verzehr von Fleisch oder Milchprodukten.
Was sind denn die größten UrlaubsSünden?
Die größte klimatische Sünde ist die Kreuzfahrt in der Antarktis oder ein Shopping-Wochenende in New York. Ungünstig ist es immer, für kurze Zeit weit wegzureisen. Und man sollte nichts unterstützen, das schon beim Betrachten Fragen aufwirft, wie das Golfen in der Wüste. Positiv zu bewerten sind hingegen Reisen mit langen Aufenthaltsdauern, einem intensiven, wertschätzenden Austausch mit den Gastgebern sowie der Möglichkeit, Geld für lokale Angebote und familiengeführte Unterkünfte zu hinterlassen. epd