Thüringische Landeszeitung (Gera)

Ein Tod für die Unsterblic­hkeit

Vor 60 Jahren starb Marilyn Monroe, berühmt, aber nicht glücklich

- Henryk Goldberg Erfurt.

Vielleicht hat sie einfach nur Pech gehabt. Eine Winzigkeit anders aussehend, eine andere Kindheit, und sie wäre vielleicht best girl in town geworden. Das hübscheste Mädchen an der Highschool, zwei, drei Freunde und dann die Verlobung mit einem netten Kerl. Sie wäre die adretteste Hausfrau des Viertels gewesen, zwei süße Kinder und einmal eine kleine Affäre mit einem Durchreise­nden.

Norma Jean hätte glücklich im Kreis der Kinder und Enkel sitzen können, und vielleicht hätten die Enkel die alten Fotos betrachtet von Norma Jean und bemerkt, dass Grandma einmal ein sehr hübsches Mädchen war, Grandpa muss sehr stolz auf sie gewesen sein.

Aber weil Norma Jean wenig Glück hatte im Leben, gibt es diese Szene mit der alten Dame nicht. Norma Jean Baker war bestimmt, auf absehbare Zeit unsterblic­h zu werden. Sie hat es mit dem Leben bezahlt.

Marilyn Monroe hat eine Karriere in die Unsterblic­hkeit absolviert, wie es sie wohl nicht mehr geben wird. Eine Darsteller­in wie sie, deren sich in „Manche mögen’s heiß“und „Nicht gesellscha­ftsfähig“andeutende­s Talent nie wirklich geprüft wurde, würde heute kaum noch zu einer Ikone mit jahrzehnte­langer Haltbarkei­t avancieren.

Die mediale Verwurstun­gsindustri­e erzeugt Produkte mit ungleich kürzerer Halbwertze­it. Und auf dem gegenwärti­gen Fleischmar­kt eine Stelle zu besetzen, die von solcher Dauer ist, das wäre ungleich schwerer auch deshalb, weil auf dem heutigen Marktplatz der Sinnlichke­it eine erotische Provokatio­n, die, mit etwas Geschmack, ihre Zeit überlebt, schwer vorstellba­r ist.

Die Langeweile von heute ist die Provokatio­n von gestern.

Eine Frau wie Marilyn Monroe würde heute wohl keine solche Karriere machen. Denn damit jemand zur Ikone befördert wird, damit er den rationaler Erklärung nicht mehr unterworfe­nen Kult-Status gewinnt, bedarf es, neben der individuel­len Fähigkeit dazu, auch entspreche­nder Umstände. (Ohne diese Umstände wäre „Casablanca“ein vergessene­r Film.)

In einem kulturelle­n Umfeld, das derart beliebig ist, derart richtungsw­ie konturenlo­s, gibt es kaum etwas zu verkörpern als die Beliebigke­it. So wird kaum ein Film, kaum ein Mensch als die dauerhafte Inkarnatio­n eines Zeitgeiste­s, einer Sehnsucht gelten können. So wäre Marilyn, heute lebend, wohl bald eine vergessene Frau. Vielleicht, dass sie dann glücklich geworden wäre.

Marilyn Monroe war immer eine Art von Projektion­sfläche. Zunächst für die Träume der Männer, dann für die Analysen der Psychologe­n. Eine Kindheit bei Pflegeelte­rn und im Waisenhaus, ein Job in der Fabrik, einen als Fotomodell. Eine Ehe, eine von dreien, mit einem berühmten Intellektu­ellen, Arthur Miller, eine Affäre mit dem nach George Washington und Abraham Lincoln populärste­n amerikanis­chen Präsidente­n und eine Überdosis schließlic­h am Ende – geeigneter für Mythen und Legenden kann ein Leben nicht sein.

Truman Capote nannte sie in einem Essay „Ein wunderschö­nes Kind“. Das beschreibt vielleicht, wie kein zweiter Satz, die Aura und die Tragödie dieser Frau. Das Überdauern jener berühmten Szene, da sie John F. Kennedy das „Happy birthday, Mr. President“haucht, ist gewiss auch der amerikanis­chen Mythologie geschuldet. Diese Szene

fasst aber auch ungleich stärker als der wehende Rock überm UBahn-Schacht und die eher fröhlichen als sinnlichen Filme ihre Wirkung ins Bild: Eine unerhörte laszive Sinnlichke­it verbindet sich mit einer beinahe kindlich wirkenden Unschuld. Die Frau, die im vorigen Jahrhunder­t zum Archetyp der Macht weiblicher Sexualität avancierte, präsentier­t diese Macht mit der Naivität eines Kindes. Und diese Frau, die geschaffen war für das Leben eines netten Mädchens, einer adretten Hausfrau, findet sich miteins in der Mitte der Welt.

Es hätte sehr viel Segen über diesem Leben liegen müssen, damit das gehen kann.

So bezahlte sie mit ihrem verpfuscht­en Leben und dem frühen Tod, sie starb in der Nacht zum 5. August 1962, 36 Jahre alt. Glück wird man das nicht nennen wollen.

Marilyn Monroe existiert nur auf der Leinwand! Ana de Armas Schauspiel­erin, als Norma Jeane Baker im Film „Blonde“, der ab dem 23. September bei Netflix zu sehen ist

 ?? DPA PICTURE-ALLIANCE ?? Norma Jeane Baker alias Marilyn Monroe 1959 während der Dreharbeit­en zu Billy Wilders Komödie „Manche mögen's heiß“. Darin spielte sie die Sängerin Sugar „Kane“Kowalczyk.
DPA PICTURE-ALLIANCE Norma Jeane Baker alias Marilyn Monroe 1959 während der Dreharbeit­en zu Billy Wilders Komödie „Manche mögen's heiß“. Darin spielte sie die Sängerin Sugar „Kane“Kowalczyk.

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