Thüringische Landeszeitung (Gera)
Ein Tod für die Unsterblichkeit
Vor 60 Jahren starb Marilyn Monroe, berühmt, aber nicht glücklich
Vielleicht hat sie einfach nur Pech gehabt. Eine Winzigkeit anders aussehend, eine andere Kindheit, und sie wäre vielleicht best girl in town geworden. Das hübscheste Mädchen an der Highschool, zwei, drei Freunde und dann die Verlobung mit einem netten Kerl. Sie wäre die adretteste Hausfrau des Viertels gewesen, zwei süße Kinder und einmal eine kleine Affäre mit einem Durchreisenden.
Norma Jean hätte glücklich im Kreis der Kinder und Enkel sitzen können, und vielleicht hätten die Enkel die alten Fotos betrachtet von Norma Jean und bemerkt, dass Grandma einmal ein sehr hübsches Mädchen war, Grandpa muss sehr stolz auf sie gewesen sein.
Aber weil Norma Jean wenig Glück hatte im Leben, gibt es diese Szene mit der alten Dame nicht. Norma Jean Baker war bestimmt, auf absehbare Zeit unsterblich zu werden. Sie hat es mit dem Leben bezahlt.
Marilyn Monroe hat eine Karriere in die Unsterblichkeit absolviert, wie es sie wohl nicht mehr geben wird. Eine Darstellerin wie sie, deren sich in „Manche mögen’s heiß“und „Nicht gesellschaftsfähig“andeutendes Talent nie wirklich geprüft wurde, würde heute kaum noch zu einer Ikone mit jahrzehntelanger Haltbarkeit avancieren.
Die mediale Verwurstungsindustrie erzeugt Produkte mit ungleich kürzerer Halbwertzeit. Und auf dem gegenwärtigen Fleischmarkt eine Stelle zu besetzen, die von solcher Dauer ist, das wäre ungleich schwerer auch deshalb, weil auf dem heutigen Marktplatz der Sinnlichkeit eine erotische Provokation, die, mit etwas Geschmack, ihre Zeit überlebt, schwer vorstellbar ist.
Die Langeweile von heute ist die Provokation von gestern.
Eine Frau wie Marilyn Monroe würde heute wohl keine solche Karriere machen. Denn damit jemand zur Ikone befördert wird, damit er den rationaler Erklärung nicht mehr unterworfenen Kult-Status gewinnt, bedarf es, neben der individuellen Fähigkeit dazu, auch entsprechender Umstände. (Ohne diese Umstände wäre „Casablanca“ein vergessener Film.)
In einem kulturellen Umfeld, das derart beliebig ist, derart richtungswie konturenlos, gibt es kaum etwas zu verkörpern als die Beliebigkeit. So wird kaum ein Film, kaum ein Mensch als die dauerhafte Inkarnation eines Zeitgeistes, einer Sehnsucht gelten können. So wäre Marilyn, heute lebend, wohl bald eine vergessene Frau. Vielleicht, dass sie dann glücklich geworden wäre.
Marilyn Monroe war immer eine Art von Projektionsfläche. Zunächst für die Träume der Männer, dann für die Analysen der Psychologen. Eine Kindheit bei Pflegeeltern und im Waisenhaus, ein Job in der Fabrik, einen als Fotomodell. Eine Ehe, eine von dreien, mit einem berühmten Intellektuellen, Arthur Miller, eine Affäre mit dem nach George Washington und Abraham Lincoln populärsten amerikanischen Präsidenten und eine Überdosis schließlich am Ende – geeigneter für Mythen und Legenden kann ein Leben nicht sein.
Truman Capote nannte sie in einem Essay „Ein wunderschönes Kind“. Das beschreibt vielleicht, wie kein zweiter Satz, die Aura und die Tragödie dieser Frau. Das Überdauern jener berühmten Szene, da sie John F. Kennedy das „Happy birthday, Mr. President“haucht, ist gewiss auch der amerikanischen Mythologie geschuldet. Diese Szene
fasst aber auch ungleich stärker als der wehende Rock überm UBahn-Schacht und die eher fröhlichen als sinnlichen Filme ihre Wirkung ins Bild: Eine unerhörte laszive Sinnlichkeit verbindet sich mit einer beinahe kindlich wirkenden Unschuld. Die Frau, die im vorigen Jahrhundert zum Archetyp der Macht weiblicher Sexualität avancierte, präsentiert diese Macht mit der Naivität eines Kindes. Und diese Frau, die geschaffen war für das Leben eines netten Mädchens, einer adretten Hausfrau, findet sich miteins in der Mitte der Welt.
Es hätte sehr viel Segen über diesem Leben liegen müssen, damit das gehen kann.
So bezahlte sie mit ihrem verpfuschten Leben und dem frühen Tod, sie starb in der Nacht zum 5. August 1962, 36 Jahre alt. Glück wird man das nicht nennen wollen.
Marilyn Monroe existiert nur auf der Leinwand! Ana de Armas Schauspielerin, als Norma Jeane Baker im Film „Blonde“, der ab dem 23. September bei Netflix zu sehen ist