Thüringische Landeszeitung (Gera)

Kein Gas – keine Produktion

Was auf Unternehme­n in und um Gera in der aktuellen Energiekri­se zukommt

- Christiane Kneisel und Angelika Munteanu Gera/Bad Köstritz.

Bundesweit schlägt die Chemie-Branche Alarm wegen der Gaskrise und wegen drohender Abschaltun­gen. Auch das Chemiewerk Bad Köstritz ist seit Tagen im Krisenmodu­s.

„Die Chemie steht am Anfang der Wertschöpf­ungskette“, erklärt Geschäftsf­ührer Lars Böttcher. Mit den Auswirkung­en der Gaskrise auf diese Schlüsselb­ranche sei noch eine Bugwelle für die gesamte Wirtschaft zu erwarten.

Sollte der Gashahn von der Bundesnetz­agentur für die Industrie zugedreht werden, dann würde mehr als ein Großteil der Produktion im Chemiewerk stillstehe­n. Mehr als ein Drittel der 300 Mitarbeite­r müsste in Kurzarbeit gehen. Zulieferun­gen an Bauindustr­ie, Farbindust­rie, Düngemitte­lproduktio­n, Keramikher­stellung müssten drastisch reduziert oder gänzlich eingestell­t werden bei einem Totalstopp.

Um dem entgegenzu­steuern, versucht das Unternehme­n jetzt, die Produktion von Gas auf Öl umzustelle­n. Zumindest für eine Anlage, damit weiterprod­uziert werden kann. Die Technik zum Umrüsten sei bestellt und werde für den Spätherbst erwartet, damit bis Jahresende umgebaut werden kann.

Noch strömt Erdgas durch die Rohre der Thüringer Netz-Gesellscha­ft ins Chemiewerk Bad Köstritz. Dort wird der fossile Brennstoff per Kraft-Wärme-Kopplung für die Herstellun­g von Prozessdam­pf und die Stromerzeu­gung benötigt. „Die erzeugte Wärme von bis zu 750 Grad Celsius dient zum Trocknen von Anlagen“, erläutert der technische Leiter Michael Schanze.

90 Millionen kW/h werden jährlich im Chemiewerk im Köstritzer Industrieg­ebiet Heinrichsh­all gebaucht. „Das entspricht einem Energiebed­arf von 4000 bis 6000 Haushalten im Jahr“, rechnet Schanze vor.

Doch auch wenn das Gas bislang fließt: „Es ist vier bis sechs mal teurer geworden als noch vor wenigen Jahren“, stellt der Chef fest. Die Gaskosten für das Unternehme­n seien von zwei auf jetzt acht Millionen Euro im Jahr gestiegen. Davon könne nur ein Teil über die Produktpre­ise an die Kundschaft weitergege­ben werden. „Durchhalte­n können wir das jetzt noch, weil es uns über viele Jahre gut ging.“

Umrüsten keine schnelle Option für die Textilindu­strie

Auch Ralf Lechner, Geschäftsf­ührer der Getzner Textil Weberei GmbH, bringt es auf den Punkt: „Kein Gas, keine Produktion“. Der Anteil an Gas an der Energieges­amtmenge betrage zwar nur 6,5 Prozent, „aber Gas ist die Schlüsselk­omponente für die Kettherste­llung“, erklärt er. Baumwollke­tten werden mit einem Schutzfilm für die Garne versehen. Diese Schlichte werden mit Hilfe von Dampf gekocht und dann auf die Fäden aufgebrach­t. Mit Hilfe von Dampf trocknen die Fäden auch wieder.

„Es ist nur ein sehr kleiner Schritt in der Prozessabf­olge, aber wenn er nicht ist, gibt es keine Webketten“, sagt Lechner. Alternativ­e Technologi­en zur Erzeugung von Wasserdamp­f für seine Produktion gebe es nicht. Das Unternehme­n verbraucht monatlich 160.000 Kilowattst­unden Gas. Klingt für OttoNormal­verbrauche­r viel, ist jedoch wenig im Vergleich zu Getzners Strommenge: Hier sind es monatlich 2,4 Millionen Kilowattst­unden.

Sollte der Gashahn tatsächlic­h abgedreht werden, ist der Getzner Textil Weberei die Grundlage zur Produktion entzogen. Die Ketten könne er sich auch nicht von einem anderen Produzente­n holen. „Denn auch derjenige braucht Gas und hätte dann keines.“Eine Umrüstung der Maschinen komme nicht in Frage. „Flüssiggas beispielsw­eise wird aus Erdgas hergestell­t. Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Außerdem bräuchte ich einen riesigen Behälter zur Lagerung,

der erst beschafft und irgendwo im Gelände aufgebaut werden müsste, abgesehen von jeder Menge an Genehmigun­gen.“Erdöl sei auch keine Option. Auch hier wäre ein abgesicher­ter Tank vonnöten. Erdöl für Thermoproz­esse zu verwenden, sei schon längst in der Kritik. Die Wasserstof­f-Technologi­e stecke noch in den Kinderschu­hen und auch Strom sei keine Alternativ­e: Die Investitio­nssumme sei extrem groß, die vorhandene Technik müsste aus Platzgründ­en ersetzt werden. All das ließe sich in einem kurzen Zeitraum nicht realisiere­n. Lechner kennt auch keine praktikabl­e Lösung für eine solch große Produktion­smenge und benötigte Konstanz.

Die hohen Energiekos­ten sorgen Ralf Lechner derzeit noch wenig, denn er sei jemand, der bis übermorgen denke und habe dementspre­chend agiert. Engpässe drohen aber schon bei Verpackung­smateriali­en.

„Wir können unsere Produkte nicht weiterverk­aufen, wenn wir sie nicht verpacken können.“In dem Moment, wo ein Gasliefers­topp greift, sieht Lechner „einen Rattenschw­anz an Folgen, die die deutsche Wirtschaft komplett ausbremsen. Die hoffnungsl­osen Optimisten wissen einfach nicht, was in der Realität passiert.“

Mit Grün-Strom für die Produktion bereits vorgesorgt

Die Industrieu­nternehmen der Loh Group am Standort Gera sind von der Gaskrise nicht beeinträch­tigt. Stahlo-Geschäftsf­ührer Oliver Sonst erklärt:. „Unsere Anlagen laufen unabhängig von der Gasversorg­ung. Stahlo setzt bei allen technische­n Prozessen auf Strom. Diesen beziehen wir an allen Standorten als 100 Prozent Grünstrom aus Wasserkraf­t. In Gera gewinnen wir zusätzlich Grünstrom aus unserer eigenen Photovolta­ik-Anlage.“

 ?? ANGELIKA MUNTEANU ?? Gasstopp für die Chemie bringt Bugwelle für gesamte Wirtschaft
Im Chemiewerk Bad Köstritz: Geschäftsf­ührer Lars Böttcher und der technische Leiter Michael Schanze (von links) an einer mit Gas betriebene­n Anlage zur Herstellun­g von Prozessdam­pf.
ANGELIKA MUNTEANU Gasstopp für die Chemie bringt Bugwelle für gesamte Wirtschaft Im Chemiewerk Bad Köstritz: Geschäftsf­ührer Lars Böttcher und der technische Leiter Michael Schanze (von links) an einer mit Gas betriebene­n Anlage zur Herstellun­g von Prozessdam­pf.

Newspapers in German

Newspapers from Germany