Thüringische Landeszeitung (Gera)

Mit der Simson ins Schlammbad

Wird es schwierig, dreht Jens Ziegenhahn richtig am Gas. In Ohrdruf haben Enduro-Fans wie der Zella-Mehliser ihren Spaß

- Steffen Eß Ohrdruf. Ein Name für exquisite Büchsen und das Gefühl fürs seltene Blech Steve McQueen – und ein Hauch von Hollywood einst in Erfurt Gänsicke und Zink fahren Klassensie­ge für Ohrdruf ein

Wie geleckt sah die Simson am Freitag aus. Nicht einen Finger machten sich die Kontrolleu­re bei der technische­n Abnahme schmutzig. Am Sonntagnac­hmittag dagegen ließ sich selbst die Farbe an der 125er kaum noch erkennen. Ein Beleg von viel Spaß für Jens Ziegenhahn. Nach dem Schlammbad rund um Ohrdruf folgt viel Arbeit.

Bis auf die letzte Schraube wird der Zella-Mehliser die Maschine zerlegen, alle Teile säubern, prüfen, schmieren, wieder zusammenba­uen. Jeden Abend ein paar Stunden extra nach viel Arbeit in der Büchsenmac­her-Werkstatt. „Eine Woche wird wohl draufgehen“, ahnte der 56-Jährige und sah in den Transporte­r. Dorthin hatte er die grob entschlamm­te Sonderanfe­rtigung von 1989 verfrachte­t. Und er hörte sich an, als ginge der Spaß weiter.

René Kümmerling mochte ganz in der Nähe gar nicht daran denken, was die nächsten Tage folgen sollte. Während die letzten Enduro-Fahrer am Sonntagnac­hmittag nach und nach die Böschung vorm Ziel herunter drifteten, klingelte weiter unentwegt das Telefon. Als Fahrleiter war der Chef des MC Ohrdruf ständig gefragt. Er hatte Lob für das dritte Klassik-Enduro-Rennen um Ohrdruf erhalten. Große Mühen lagen vor ihm und den zig Helfern. Zerfahrene Wege, dreckige Straßen: Alles muss mit Riesenaufw­and wieder hergericht­et werden.

Geschüttet hatte es mehrfach und manchen Abschnitt auf so leicht entschärft­em Kurs in ein Schlammbad verwandelt. Dass die Zuverlässi­gkeitsfahr­t für die straßenzug­elassenen Motorräder an beiden Tagen gekürzt wurde, verringert das „große Aufräumen“etwas. Es brachte die Fahrer auf ihren bis zu 60 Jahre alten Enduros aber genauso an ihre Grenzen. Ein Teil ließ sie lieber stehen. Mancher kam nicht an.

„Man braucht Balance, Technik und gute Kondition. Solche Bedingunge­n zehren an den Kräften“, erklärte Jens Ziegenhahn. Mit dem Durchkomme­n hatte er wenig Probleme. „Das macht die Routine. Was man gelernt hat, fällt leichter“, sagte der Gesamtzwei­te der Y1-Klasse.

Der Name Ziegenhahn besitzt Klang. Auf der einen Seite für eine hundertjäh­rige Tradition in der Fertigung exquisiter Büchsen und Flinten. Auf der anderen Seite fürs Familien-Hobby Geländefah­ren. Der

Großvater fuhr auf einem Eigenbau; der Vater begeistert­e sich für die Enduros der Heimat, sodass für Junior Jens vorgezeich­net war, auf den Zweitakter­n Platz zu nehmen.

Mit 18 saß er beim MC Suhl alsbald fest darauf; es folgte der Wechsel zum MC Simson; Werksfahre­r auf einer der spezialgef­ertigten 125er. Ein rasanter Aufstieg, gefolgt von einer Vollbremsu­ng. Weil die Leistung nicht ganz reichte und er wegen des elterliche­n Privatbetr­iebes nicht als Reisekader galt, um bei den legendären Six Days fahren zu können, stieg Ziegenhahn ab und in den elterliche­n Jagdwaffen-Bau ein.

„Von hundert auf null“, erzählte der Büchsenmac­hermeister. Etwas grämt er sich, es 1987 nicht auf eigene Faust versucht zu haben, bei den Six Days zu fahren. Nach Jelenia Gòra in Polen, wo die DDR-Teams drei WM-Titel abräumten, hätte er ohne Visum gedurft. „Das habe ich mir vermasselt. Aber es ist gut so“, so der Mittfünfzi­ger. Jahre später erfüllte er sich den Traum, Sechstagef­ahrten als Starter zu erleben.

Die Six Days gelten als Inbegriff für die Enduro-Szene. Seit 1913 finden sie statt, um die Zuverlässi­gkeit der Motorräder und das Können der Fahrer zu ermitteln. Und sie ist eng verknüpft mit den Enduro-Classics, die in Thüringen und Sachsen boomen. Nicht zuletzt wegen der Zweirad-Schmieden

aus Zschopau und Suhl, wegen der weit verbreitet­en Leidenscha­ft für deren widerstand­sfähige Motorräder. Vor allem aber wegen ihrer vielen Erfolge und den Six Days 1964 in Erfurt, die als einzige je auf ostdeutsch­en Boden stattfande­n: mit Hollywood-Schauspiel­er Steve McQueen in der erstmals mitfahrend­en US-Mannschaft und überlegene­n Werks- wie KlubTeams von MZ und Simson, die allen nur die Stollenrei­fen zeigten.

Bei Nebel und Regen führte der erste Tagesritt seinerzeit über mehr als 400 Kilometer durch den Thüringer Wald. Heute undenkbar. René Kümmerling fände so einen Kurs WM-reif. Er ist am Sonntag indes heilfroh gewesen, keinen Kilometer mehr als die gut 50 wieder herrichten zu müssen. Das wird brauchen.

„Man muss den Hut ziehen vor den Veranstalt­ern“, sagte Jens Ziegenhahn. Ohrdruf ist für den Motorsport­ler ein lieb gewonnenes Heimspiel. Ein erfolgreic­hes, auch wenn Xaver Großbeck (Yamaha) nicht zu besiegen war. „Er ist einer der Besten in Deutschlan­d“, sagt der Thüringer über den Bayern.

Klassik-Rennen sind kein Hort für Neider. Viele freuten sich genauso für Ulf Gänsicke mit seiner 56 Jahre alten MZ 175 wie für Toni Zink (KTM), die Klassensie­ge für den MC Ohrdruf holten. Einige hätten es Lubomir Vojkuvka gegönnt, die schnellste Zeit ins Ziel zu bringen. Auf den letzten Metern ging dem rasenden Tschechen auf seiner Jawa 250 der Sprit aus.

„Rund um Ohrdruf“zieht, es ist ein Treffpunkt, um unter blechverli­ebten Zweiradfan­s von Wales bis Schweden zu fahren und ein wenig zu schwelgen. Echte Raritäten reihten sich am Schloss Ehrenstein. Manche Maschine so wertvoll wie ein Mittelklas­se-Wagen und fast zu schade, um sie durch den Matsch zu jagen. Besonders, wenn es sich wie bei der 125er Simson GS von Jens Ziegenhahn um eine extrem seltene handelt. Von ihr gäbe es zwei Stück. „Wobei“, so der Zella-Mehliser, „für Tage wie hier wurde sie gebaut“.

 ?? STEFFEN Eß ?? Vorfreude auf viel Arbeit: Bis auf die letzte Schraube wird Jens Ziegenhahn seine seltene 125er auseinande­rbauen.
STEFFEN Eß Vorfreude auf viel Arbeit: Bis auf die letzte Schraube wird Jens Ziegenhahn seine seltene 125er auseinande­rbauen.
 ?? ??
 ?? HANNES BERTRAM (2) ?? Es wird nass und rutschig. Lokalmatad­or Toni Zink mit einer KTM und Stefan Bogutzki (links/v. rechts) freuen sich, dass es losgeht. Ulf Gänsicke (rechts) wühlt sich durch die Kurve.
HANNES BERTRAM (2) Es wird nass und rutschig. Lokalmatad­or Toni Zink mit einer KTM und Stefan Bogutzki (links/v. rechts) freuen sich, dass es losgeht. Ulf Gänsicke (rechts) wühlt sich durch die Kurve.
 ?? ??
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany