Thüringische Landeszeitung (Gera)
Mit der Simson ins Schlammbad
Wird es schwierig, dreht Jens Ziegenhahn richtig am Gas. In Ohrdruf haben Enduro-Fans wie der Zella-Mehliser ihren Spaß
Wie geleckt sah die Simson am Freitag aus. Nicht einen Finger machten sich die Kontrolleure bei der technischen Abnahme schmutzig. Am Sonntagnachmittag dagegen ließ sich selbst die Farbe an der 125er kaum noch erkennen. Ein Beleg von viel Spaß für Jens Ziegenhahn. Nach dem Schlammbad rund um Ohrdruf folgt viel Arbeit.
Bis auf die letzte Schraube wird der Zella-Mehliser die Maschine zerlegen, alle Teile säubern, prüfen, schmieren, wieder zusammenbauen. Jeden Abend ein paar Stunden extra nach viel Arbeit in der Büchsenmacher-Werkstatt. „Eine Woche wird wohl draufgehen“, ahnte der 56-Jährige und sah in den Transporter. Dorthin hatte er die grob entschlammte Sonderanfertigung von 1989 verfrachtet. Und er hörte sich an, als ginge der Spaß weiter.
René Kümmerling mochte ganz in der Nähe gar nicht daran denken, was die nächsten Tage folgen sollte. Während die letzten Enduro-Fahrer am Sonntagnachmittag nach und nach die Böschung vorm Ziel herunter drifteten, klingelte weiter unentwegt das Telefon. Als Fahrleiter war der Chef des MC Ohrdruf ständig gefragt. Er hatte Lob für das dritte Klassik-Enduro-Rennen um Ohrdruf erhalten. Große Mühen lagen vor ihm und den zig Helfern. Zerfahrene Wege, dreckige Straßen: Alles muss mit Riesenaufwand wieder hergerichtet werden.
Geschüttet hatte es mehrfach und manchen Abschnitt auf so leicht entschärftem Kurs in ein Schlammbad verwandelt. Dass die Zuverlässigkeitsfahrt für die straßenzugelassenen Motorräder an beiden Tagen gekürzt wurde, verringert das „große Aufräumen“etwas. Es brachte die Fahrer auf ihren bis zu 60 Jahre alten Enduros aber genauso an ihre Grenzen. Ein Teil ließ sie lieber stehen. Mancher kam nicht an.
„Man braucht Balance, Technik und gute Kondition. Solche Bedingungen zehren an den Kräften“, erklärte Jens Ziegenhahn. Mit dem Durchkommen hatte er wenig Probleme. „Das macht die Routine. Was man gelernt hat, fällt leichter“, sagte der Gesamtzweite der Y1-Klasse.
Der Name Ziegenhahn besitzt Klang. Auf der einen Seite für eine hundertjährige Tradition in der Fertigung exquisiter Büchsen und Flinten. Auf der anderen Seite fürs Familien-Hobby Geländefahren. Der
Großvater fuhr auf einem Eigenbau; der Vater begeisterte sich für die Enduros der Heimat, sodass für Junior Jens vorgezeichnet war, auf den Zweitaktern Platz zu nehmen.
Mit 18 saß er beim MC Suhl alsbald fest darauf; es folgte der Wechsel zum MC Simson; Werksfahrer auf einer der spezialgefertigten 125er. Ein rasanter Aufstieg, gefolgt von einer Vollbremsung. Weil die Leistung nicht ganz reichte und er wegen des elterlichen Privatbetriebes nicht als Reisekader galt, um bei den legendären Six Days fahren zu können, stieg Ziegenhahn ab und in den elterlichen Jagdwaffen-Bau ein.
„Von hundert auf null“, erzählte der Büchsenmachermeister. Etwas grämt er sich, es 1987 nicht auf eigene Faust versucht zu haben, bei den Six Days zu fahren. Nach Jelenia Gòra in Polen, wo die DDR-Teams drei WM-Titel abräumten, hätte er ohne Visum gedurft. „Das habe ich mir vermasselt. Aber es ist gut so“, so der Mittfünfziger. Jahre später erfüllte er sich den Traum, Sechstagefahrten als Starter zu erleben.
Die Six Days gelten als Inbegriff für die Enduro-Szene. Seit 1913 finden sie statt, um die Zuverlässigkeit der Motorräder und das Können der Fahrer zu ermitteln. Und sie ist eng verknüpft mit den Enduro-Classics, die in Thüringen und Sachsen boomen. Nicht zuletzt wegen der Zweirad-Schmieden
aus Zschopau und Suhl, wegen der weit verbreiteten Leidenschaft für deren widerstandsfähige Motorräder. Vor allem aber wegen ihrer vielen Erfolge und den Six Days 1964 in Erfurt, die als einzige je auf ostdeutschen Boden stattfanden: mit Hollywood-Schauspieler Steve McQueen in der erstmals mitfahrenden US-Mannschaft und überlegenen Werks- wie KlubTeams von MZ und Simson, die allen nur die Stollenreifen zeigten.
Bei Nebel und Regen führte der erste Tagesritt seinerzeit über mehr als 400 Kilometer durch den Thüringer Wald. Heute undenkbar. René Kümmerling fände so einen Kurs WM-reif. Er ist am Sonntag indes heilfroh gewesen, keinen Kilometer mehr als die gut 50 wieder herrichten zu müssen. Das wird brauchen.
„Man muss den Hut ziehen vor den Veranstaltern“, sagte Jens Ziegenhahn. Ohrdruf ist für den Motorsportler ein lieb gewonnenes Heimspiel. Ein erfolgreiches, auch wenn Xaver Großbeck (Yamaha) nicht zu besiegen war. „Er ist einer der Besten in Deutschland“, sagt der Thüringer über den Bayern.
Klassik-Rennen sind kein Hort für Neider. Viele freuten sich genauso für Ulf Gänsicke mit seiner 56 Jahre alten MZ 175 wie für Toni Zink (KTM), die Klassensiege für den MC Ohrdruf holten. Einige hätten es Lubomir Vojkuvka gegönnt, die schnellste Zeit ins Ziel zu bringen. Auf den letzten Metern ging dem rasenden Tschechen auf seiner Jawa 250 der Sprit aus.
„Rund um Ohrdruf“zieht, es ist ein Treffpunkt, um unter blechverliebten Zweiradfans von Wales bis Schweden zu fahren und ein wenig zu schwelgen. Echte Raritäten reihten sich am Schloss Ehrenstein. Manche Maschine so wertvoll wie ein Mittelklasse-Wagen und fast zu schade, um sie durch den Matsch zu jagen. Besonders, wenn es sich wie bei der 125er Simson GS von Jens Ziegenhahn um eine extrem seltene handelt. Von ihr gäbe es zwei Stück. „Wobei“, so der Zella-Mehliser, „für Tage wie hier wurde sie gebaut“.