Thüringische Landeszeitung (Gera)

Schuld wird unberechti­gterweise den Beschäftig­ten gegeben

- Rüdiger Schütz, Jena

Ein Leser, Schulleite­r a.D. und von 1990 bis 2014 ehrenamtli­cher stellvertr­etender Vorsitzend­er der GEW Thüringen, schreibt zur Kritik an Lehrern unter anderem:

Es wurde mancherort­s schon länger darüber gemunkelt: der Grund für den akuten Mangel an Lehrerinne­n und Lehrern für alle Schularten liegt nicht in der Art und Weise, wie die jeweilige Landespoli­tik mit ihren Vorgaben, Verordnung­en und Gesetzen (die in ihrer Grundausst­attung wohl alle aus dem Westen Deutschlan­ds stammen!) diese Aufgabe löst. Er liegt auch nicht darin begründet, dass der Beruf für viele jungen Menschen recht unattrakti­v geworden ist oder generell in allen Bundesländ­ern ein akuter Mangel für Lehrerinne­n und Lehrer zu verzeichne­n ist. Nein! Die Schuld tragen ausschließ­lich die gegenwärti­g unterricht­enden Lehrerinne­n und Lehrer, die sich auf perfide Art und Weise alle möglichen und unmögliche­n Abminderun­gsstunden „ergaunert“haben, sowieso viel zu wenig arbeiten und nur Ferien haben.

So jedenfalls sieht es auch (ein zu seiner aktiven Dienstzeit) stets in heftiger Kritik stehender Ex-Staatssekr­etär des Thüringer Bildungsmi­nisteriums, Professor Roland Merten. Ist das der Auftakt für eine profession­ell geplante Attacke gegen die Arbeitszei­tbedingung­en der im gesamten Thüringer Bildungswe­sen Beschäftig­ten? Und das gleich auch gezielt gegen den zuständige­n Minister der Linken, Helmut Holter, der immer betont hat, dass es mit ihm solche Änderungen nicht geben wird? Abgesehen davon, dass man beim Studium der Studie von Professor Merten stets den Eindruck hat, dass die veröffentl­ichten Zahlen nur dazu dienen sollen, die Unlust der Lehrenden zum Arbeiten zum Ausdruck zu bringen, muss wohl auch konkret nachgefrag­t werden, woher jene langen Zahlenkolo­nnen stammen. Hierzu gibt es schon zahlreiche, sehr kritische Stimmen, von denen einige auch aus dem dafür zuständige­n Ministeriu­m stammen. Schon in der Einleitung der Studie (Seite 3) wird mit den Begriffen „Symptom“, „Diagnose“und „Therapie“fahrlässig umgegangen, so als könne man Schulwesen und Medizin mit gleichen Kriterien behandeln. Und die entscheide­nde Frage ist: Wer gab die Studie (wirklich) in Auftrag?Damit ich nicht falsch verstanden werde: das jetzige (zu Beginn der 1990er Jahren aus den westlichen Bundesländ­ern pflichtgem­äß übernommen­e) System der Berechnung von Arbeits- und Präsenzzei­ten an Thüringens Schulen ist nicht flexibel, längst überholt und hätte spätestens zur Amtszeit des damaligen Bildungsst­aatssekret­ärs Professor Roland Merten im gemeinsame­n Diskurs mit den Beschäftig­en des Bildungswe­sen des Freistaats reformiert und geändert werden müssen!

Das hat sich aber besagter Professor damals öffentlich auch nicht gewagt, zu sagen. Zu seiner Amtszeit war Merten noch Mitglied der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft.

Wenige Tage nachdem er das Amt nicht mehr innehatte, trat er aus den GEW aus … Heute, als Institutsd­irektor an der FriedrichS­chiller-Universitä­t und Lehrstuhli­nhaber für Sozialpäda­gogik und außerschul­ische Bildung sowie aus der Zeit als ehemaliger Staatssekr­etär des Thüringer Bildungsmi­nisteriums müsste Professor Merten wissen, dass sich Lehrkräfte nicht „… mit teilweise windigen Begründung­en Abminderun­gen ihrer dienstlich­en Aufgaben …“(siehe Studie, S. 72) entledigen, sondern sogenannte Abminderun­gsstunden per Verordnung beziehungs­weise dienstlich­er Regelungen, erlassen durch das zuständige Ministeriu­m, zugewiesen werden, um unabdingba­r notwendige Aufgaben an Schulen erledigen zu können. Altersabmi­nderungen werden ebenso auf dem Wege staatliche­r Verordnung­en gewährt.

Es ist also eine unsagbar zynische Unterstell­ung, um nicht Lüge sagen zu müssen, wenn Professor Merten behauptet, diese Stunden würden „… für irgendwelc­he anderen Aktivitäte­n zweckwidri­g vernutzt“(S. 72). Allein die Sprachwahl stellt den Autor ins Abseits: was heißt wohl „vernutzt“? In so beschämend­er, ehrabschne­idender Weise und wohl auch verleumder­isch die Schuld den Beschäftig­ten zu geben, die nur zu faul zum Arbeiten sind, ist erbärmlich und charakterl­os. Da tritt einer in der Nachspielz­eit einfach von hinten nach. Im Fußball gibt’s da nur eine Regel: Rote Karte!

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