Thüringische Landeszeitung (Gera)
Sanierungszwang – macht die EU Ernst?
Endspurt für die umstrittene Gebäuderichtlinie. Experten fürchten hohe Kosten für Eigentümer und Mieter. Aber es gibt Anlass zur Hoffnung
Auf diese Entscheidung warten Millionen Hausbesitzer in Deutschland: Wird die Europäische Union eine Sanierungspflicht auch für private Wohnimmobilien einführen – und wie wird sie genau aussehen? An diesem Donnerstag wird in Brüssel final über die sogenannte Gebäuderichtlinie verhandelt, mit einer Einigung wird gerechnet.
Für Deutschland geht es um mindestens 130 Milliarden Euro jährlich, die ein Sanierungszwang zur Energieeinsparung hierzulande nach ursprünglichen Plänen kosten könnte – und um Belastungen, die manche Hausbesitzer finanziell in die Knie zwingen würden. Zwischenstände der Verhandlungen signalisieren, dass es nicht so schlimm kommen wird wie anfangs befürchtet. Aber Immobilienverbände sind trotzdem besorgt
Der ursprüngliche Vorschlag der EU-Kommission und eine verschärfte Fassung des EU-Parlaments hatten Hauseigentümer in ganz Europa alarmiert. Der Plan: Jedes Mitgliedsland der EU müsste seinen Gebäudebestand in Klassen unterteilen und dann für die untersten zwei Klassen eine sehr zügige Sanierungspflicht bis 2033 durchsetzen. Die betroffenen Gebäude sollten im Eiltempo Mindesteffizienz-Standards erreichen, etwa durch Dämmung oder Fensterisolierungen.
Nach Schätzungen des Spitzenverbandes deutscher Wohnungsund Immobilienunternehmen (GdW) hätten so in Europa 45 Prozent aller Gebäude saniert werden müssen – innerhalb von nur neun
Jahren. In Deutschland hätte es laut Verband den Zwang zur energetischen Sanierung von sechs bis acht Millionen älteren Wohngebäuden teils bis 2030, teils bis 2033 bedeutet – in der großen Mehrzahl Einfamilienhäuser mit Sanierungskosten ab 10.000 Euro aufwärts, mitunter auch bis zu 100.000 Euro. Das könnte Hausbesitzer schnell überfordern, in manchen Fällen lohnt sich eine aufwendige Sanierung kleiner Wohngebäude auch nicht mehr.
Zwar sahen die Pläne der Kommission und des Parlaments vor, dass Hausbesitzer bei den Kosten vom Staat unterstützt werden, wofür die EU-Länder theoretisch bereits bestehende Milliarden-Fonds des vereinten Europas anzapfen könnten. Doch konkretisiert ist das alles nicht: Die Umsetzung wäre Sache der Mitgliedstaaten.
Die gute Nachricht für Hausbesitzer und ihre Mieter: Inzwischen zeichnet sich ab, dass die Sanierungspflicht aufgeweicht wird. Bleibt es bei der Kompromisslinie, hätten die Mitgliedstaaten großen Spielraum, in eigener Regie das Erreichen festgelegter Energie-Reduzierungsziele zu organisieren. Der gesamte Immobiliensektor müsste künftig bestimmte Energievorgaben erreichen – eine Reduzierung des Primärenergieverbrauchs um rund 15 bis 20 Prozent bis 2030 und bis zu 25 Prozent bis zum Jahr 2035 ist in der Diskussion.
Diskutiert werden auch nationale Verpflichtungen der Art, dass innerhalb eines Mitgliedstaates die Wohnhäuser bis 2033 im Durchschnitt eine bestimmte Energieeffizienzklasse erreichen müssten. Anstatt einzelne Gebäude zu bewerten,
sollten dabei Wohnviertel oder Gemeinden insgesamt betrachtet werden. Aus Sicht von Eigentümern wäre das Schlimmste, ein weitreichender und eiliger Sanierungszwang, erst mal vom Tisch.
Klar ist indes: Mittelfristig führt an einer energetischen Sanierung auch von privaten Wohnhäusern in den meisten Fällen kein Weg vorbei, wenn das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 (Deutschland) oder 2050 (EU) erreicht werden soll.
Für die Entschärfung hatte sich auch die Bundesregierung eingesetzt. Nach dem Riesenstreit um das Heizungsgesetz in Deutschland war die Ampelkoalition aufs Höchste alarmiert, zumal die Kosten der befürchteten Zwangssanierung die des diskutierten WärmepumpenZwangs noch deutlich übertroffen hätten. Bauministerin Klara Geywitz (SPD) warnte, ein solcher Sanierungszwang – also ein Eingriff in die Eigentumsrechte von Hausbesitzern – sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Auch Finanzminister Christian Lindner (FDP) nannte die ursprünglichen Pläne „enorm gefährlich“.
Kritik kommt allerdings von Umweltverbänden. Der Geschäftsführer des Umweltdachverbands Deutscher Naturschutzring (DNR), Florian Schöne, warnt: „Aus Sicht des Klimaschutzes und mit Blick auf die soziale Ausgewogenheit ist der aktuelle Verhandlungsstand besorgniserregend.“Der Gebäudesektor ist in Europa für 40 Prozent des Energieverbrauchs und 36 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Eine Sanierungsoffensive gilt deshalb als entscheidender Faktor, um die Klimaziele der EU zu erreichen, wie EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra jetzt zunehmend eindringlich erklärt.
Da es nicht für alle Gebäude Sanierungsvorgaben geben wird, sind die Mitgliedsländer aufgefordert, ihre öffentlichen Gebäude für Sanierungsvorhaben zu priorisieren. Ministerin Geywitz hat bereits den besonderen Bedarf an Schulsanierungen hervorgehoben – und bekommt nun Unterstützung von einem Bündnis aus Sozialverbänden, Gesundheits- und Umweltorganisationen.
Diese äußern sich besorgt, dass der schlechte Zustand vieler Schulgebäude schädlich für die Kinder sei. Schlechte Isolierung, wenig Energieeffizienz, Feuchtigkeit und Schimmel in Innenräumen: In Deutschland würden jährlich 200.000 Fehltage von Schülern aufgrund von mangelhaften Gebäudestandards verzeichnet. Die Deutsche Umwelthilfe erklärt: „Marode Schulen und schlecht gedämmte Wohnungen gefährden gleichermaßen die Gesundheit und Bildungschancen vieler Kinder in Deutschland.“
Aus Sicht des Klimaschutzes ist der aktuelle Verhandlungsstand besorgniserregend. Florian Schöne, Deutscher Naturschutzring