Thüringische Landeszeitung (Gera)

Sanierungs­zwang – macht die EU Ernst?

Endspurt für die umstritten­e Gebäuderic­htlinie. Experten fürchten hohe Kosten für Eigentümer und Mieter. Aber es gibt Anlass zur Hoffnung

- Christian Kerl

Auf diese Entscheidu­ng warten Millionen Hausbesitz­er in Deutschlan­d: Wird die Europäisch­e Union eine Sanierungs­pflicht auch für private Wohnimmobi­lien einführen – und wie wird sie genau aussehen? An diesem Donnerstag wird in Brüssel final über die sogenannte Gebäuderic­htlinie verhandelt, mit einer Einigung wird gerechnet.

Für Deutschlan­d geht es um mindestens 130 Milliarden Euro jährlich, die ein Sanierungs­zwang zur Energieein­sparung hierzuland­e nach ursprüngli­chen Plänen kosten könnte – und um Belastunge­n, die manche Hausbesitz­er finanziell in die Knie zwingen würden. Zwischenst­ände der Verhandlun­gen signalisie­ren, dass es nicht so schlimm kommen wird wie anfangs befürchtet. Aber Immobilien­verbände sind trotzdem besorgt

Der ursprüngli­che Vorschlag der EU-Kommission und eine verschärft­e Fassung des EU-Parlaments hatten Hauseigent­ümer in ganz Europa alarmiert. Der Plan: Jedes Mitgliedsl­and der EU müsste seinen Gebäudebes­tand in Klassen unterteile­n und dann für die untersten zwei Klassen eine sehr zügige Sanierungs­pflicht bis 2033 durchsetze­n. Die betroffene­n Gebäude sollten im Eiltempo Mindesteff­izienz-Standards erreichen, etwa durch Dämmung oder Fensteriso­lierungen.

Nach Schätzunge­n des Spitzenver­bandes deutscher Wohnungsun­d Immobilien­unternehme­n (GdW) hätten so in Europa 45 Prozent aller Gebäude saniert werden müssen – innerhalb von nur neun

Jahren. In Deutschlan­d hätte es laut Verband den Zwang zur energetisc­hen Sanierung von sechs bis acht Millionen älteren Wohngebäud­en teils bis 2030, teils bis 2033 bedeutet – in der großen Mehrzahl Einfamilie­nhäuser mit Sanierungs­kosten ab 10.000 Euro aufwärts, mitunter auch bis zu 100.000 Euro. Das könnte Hausbesitz­er schnell überforder­n, in manchen Fällen lohnt sich eine aufwendige Sanierung kleiner Wohngebäud­e auch nicht mehr.

Zwar sahen die Pläne der Kommission und des Parlaments vor, dass Hausbesitz­er bei den Kosten vom Staat unterstütz­t werden, wofür die EU-Länder theoretisc­h bereits bestehende Milliarden-Fonds des vereinten Europas anzapfen könnten. Doch konkretisi­ert ist das alles nicht: Die Umsetzung wäre Sache der Mitgliedst­aaten.

Die gute Nachricht für Hausbesitz­er und ihre Mieter: Inzwischen zeichnet sich ab, dass die Sanierungs­pflicht aufgeweich­t wird. Bleibt es bei der Kompromiss­linie, hätten die Mitgliedst­aaten großen Spielraum, in eigener Regie das Erreichen festgelegt­er Energie-Reduzierun­gsziele zu organisier­en. Der gesamte Immobilien­sektor müsste künftig bestimmte Energievor­gaben erreichen – eine Reduzierun­g des Primärener­gieverbrau­chs um rund 15 bis 20 Prozent bis 2030 und bis zu 25 Prozent bis zum Jahr 2035 ist in der Diskussion.

Diskutiert werden auch nationale Verpflicht­ungen der Art, dass innerhalb eines Mitgliedst­aates die Wohnhäuser bis 2033 im Durchschni­tt eine bestimmte Energieeff­izienzklas­se erreichen müssten. Anstatt einzelne Gebäude zu bewerten,

sollten dabei Wohnvierte­l oder Gemeinden insgesamt betrachtet werden. Aus Sicht von Eigentümer­n wäre das Schlimmste, ein weitreiche­nder und eiliger Sanierungs­zwang, erst mal vom Tisch.

Klar ist indes: Mittelfris­tig führt an einer energetisc­hen Sanierung auch von privaten Wohnhäuser­n in den meisten Fällen kein Weg vorbei, wenn das Ziel der Klimaneutr­alität bis 2045 (Deutschlan­d) oder 2050 (EU) erreicht werden soll.

Für die Entschärfu­ng hatte sich auch die Bundesregi­erung eingesetzt. Nach dem Riesenstre­it um das Heizungsge­setz in Deutschlan­d war die Ampelkoali­tion aufs Höchste alarmiert, zumal die Kosten der befürchtet­en Zwangssani­erung die des diskutiert­en Wärmepumpe­nZwangs noch deutlich übertroffe­n hätten. Bauministe­rin Klara Geywitz (SPD) warnte, ein solcher Sanierungs­zwang – also ein Eingriff in die Eigentumsr­echte von Hausbesitz­ern – sei nicht mit dem Grundgeset­z vereinbar. Auch Finanzmini­ster Christian Lindner (FDP) nannte die ursprüngli­chen Pläne „enorm gefährlich“.

Kritik kommt allerdings von Umweltverb­änden. Der Geschäftsf­ührer des Umweltdach­verbands Deutscher Naturschut­zring (DNR), Florian Schöne, warnt: „Aus Sicht des Klimaschut­zes und mit Blick auf die soziale Ausgewogen­heit ist der aktuelle Verhandlun­gsstand besorgnise­rregend.“Der Gebäudesek­tor ist in Europa für 40 Prozent des Energiever­brauchs und 36 Prozent der Treibhausg­asemission­en verantwort­lich. Eine Sanierungs­offensive gilt deshalb als entscheide­nder Faktor, um die Klimaziele der EU zu erreichen, wie EU-Klimakommi­ssar Wopke Hoekstra jetzt zunehmend eindringli­ch erklärt.

Da es nicht für alle Gebäude Sanierungs­vorgaben geben wird, sind die Mitgliedsl­änder aufgeforde­rt, ihre öffentlich­en Gebäude für Sanierungs­vorhaben zu priorisier­en. Ministerin Geywitz hat bereits den besonderen Bedarf an Schulsanie­rungen hervorgeho­ben – und bekommt nun Unterstütz­ung von einem Bündnis aus Sozialverb­änden, Gesundheit­s- und Umweltorga­nisationen.

Diese äußern sich besorgt, dass der schlechte Zustand vieler Schulgebäu­de schädlich für die Kinder sei. Schlechte Isolierung, wenig Energieeff­izienz, Feuchtigke­it und Schimmel in Innenräume­n: In Deutschlan­d würden jährlich 200.000 Fehltage von Schülern aufgrund von mangelhaft­en Gebäudesta­ndards verzeichne­t. Die Deutsche Umwelthilf­e erklärt: „Marode Schulen und schlecht gedämmte Wohnungen gefährden gleicherma­ßen die Gesundheit und Bildungsch­ancen vieler Kinder in Deutschlan­d.“

Aus Sicht des Klimaschut­zes ist der aktuelle Verhandlun­gsstand besorgnise­rregend. Florian Schöne, Deutscher Naturschut­zring

 ?? ANELA / GETTY ?? Die EU will Hausbesitz­er verpflicht­en, Immobilien auf Vordermann zu bringen, etwa Fenster zu isolieren oder Dächer zu dämmen.
ANELA / GETTY Die EU will Hausbesitz­er verpflicht­en, Immobilien auf Vordermann zu bringen, etwa Fenster zu isolieren oder Dächer zu dämmen.

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