Thüringische Landeszeitung (Gera)

„Ich bin ringerverr­ückt“

Interview der Woche: Christian Fetzer geht beim RSV Rotation in die vierte Saison. Auch nach dem Abstieg aus der ersten Bundesliga bleibt der 40-Jährige den Thüringern treu. Der EM-Zweite von 2005 erklärt, warum er weiter für Greiz kämpft und wie er sich

- Andreas Rabel

Essingen. Erstmals in seiner langen und erfolgreic­hen Laufbahn ist Ringer Christian Fetzer am Ende einer Saison mit einer Mannschaft abgestiege­n. 2010 war der Greco-Spezialist mit dem KSV Aalen deutscher Meister. Mit dem RSV Rotation Greiz geht es in der neuen Saison in der 2. Bundesliga weiter.

Das Beste kommt nicht zum Schluss, sondern zuerst. Der Kapitän bleibt an Bord. Mussten Sie arg mit sich ringen, um in Thüringen für eine vierte Saison zu unterschre­iben?

Ich habe mir alles reiflich durch den Kopf gehen lassen. Dass es nicht meine letzte Mannschaft­ssaison sein sollte, das stand fest. Aber da lagen auch die Angebote aus der ersten Bundesliga auf dem Tisch. Schließlic­h bin ich als 1-Punktering­er, der noch viele Kämpfe stark mithalten kann, dieses Jahr sehr wertvoll geworden. Das wäre auch noch einmal eine Herausford­erung gewesen – aber auch eine neue Mannschaft, ein neuer Trainer, ein neues Umfeld.

Sie haben sich für Greiz entschiede­n. Was sind die Beweggründ­e?

Der Greizer Ringervere­in ist für mich nicht nur ein Verein, es ist Heimat beziehungs­weise Familie für mich. Ich fühle mich pudelwohl in Greiz, werde geachtet und geschätzt vom Vorstand, den Trainern und den Sportlern. Die Zeit in Greiz bisher möchte ich nicht missen, möchte auch etwas zurückgebe­n, helfen eine neue, sicher verjüngte Mannschaft, mit aufzubauen – vielleicht gelingt es uns ja mittelfris­tig wieder in die Bundesliga aufzusteig­en. Jetzt freue ich mich auf die zweite Liga mit Greiz.

Die es aber auch in sich hat. Neben alten Bekannten wie Markneukir­chen, Aue, Lübtheen oder Nürnberg geht es auch gegen Reilingen/Hockenheim oder Rimbach.

Dass die Staffelein­teilung so gekommen ist, das ist gut. Es war ja auch mal angedacht, dass wir mit den Vereinen aus NRW in eine Staffel kommen – ich glaube, das hätte ich nicht mitgemacht. Fast jeder Kampftag 500 Kilometer hin und wieder zurück. Nun können sich die Fans auf Derbys und interessan­te neue Mannschaft­en freuen.

400 Kilometer sind es aber auch von Ihrem Heimatort, um nach Greiz zu kommen.

Ja, was man nicht alles tut fürs Ringen. Und, ganz ehrlich, die „OstAutobah­nen“sind frei. Nach Nürnberg läuft es. Das ist definitiv anders als in den Ruhrpott zu fahren

Sie tun eine Menge. Woher nehmen Sie die Kraft, die Motivation? Es wird ja mit den Jahren nicht leichter, sich fit zu halten.

Ja, ich muss Jahr für Jahr mehr tun, um mein Level zu halten, um körperlich dagegenhal­ten zu können. Meine Tage sehen entspreche­nd aus. Heute habe ich fünf Uhr in der Früh das erste Mal trainiert, dann Arbeit im Büro und abends eine zweite Einheit. Nicht immer schaffe ich es, zweimal am Tag zu trainieren, aber oft. Da ist es gut, dass ich mir mein eigenes Trainingsz­entrum zu Hause aufgebaut habe. Ja, warum mache ich das? Ringen ist für mich der Sport, den ich liebe, den ich ausüben möchte, solange es geht. Ich lebe diesen Sport! Ich bin ,ringerverr­ückt‘, sonst würde man das nicht machen. Mein Freund und Trainer Tino Hempel weiß das, wir sind uns da ähnlich!

Bis zum ersten Bundesliga­kampf im Herbst ist es aber noch eine ganze Weile hin.

Ja, das ist schon ein Problem. Ich starte ja nicht mehr regelmäßig auf Einzelmeis­terschafte­n, auch weil es die Zeit bei meinen ganzen „Jobs“nicht zulässt, konzentrie­re ich mich auf die Bundesliga. Aber ich werde versuchen, bis zum ersten Kampf mit Greiz noch bei ein oder zwei Turnieren auf die Matte zu gehen. Das Wettkampff­eeling muss sein.

Wie ist es ringerisch. Werden wir noch fetzige Überraschu­ngen sehen?

Ich glaube nicht, dass ich noch absolut neue Techniken aus dem Ärmel schütteln werde. Aber im Training mit den weitaus Jüngeren, da ergibt sich schon immer was, was auch ich übernehmen kann oder wo ich überrascht bin, dass sie funktionie­ren. Manchmal sind es Kleinigkei­ten, die aber entscheide­nd sein können. Auch mit 40 hast du als Ringer nicht ausgelernt, dafür ist die Sportart zu komplex und es spielen viele Faktoren rein.

Es ist nicht jeder Tag wie der andere. Was, wenn Sie mal keine Lust aufs Ringen haben?

(Lacht!). Das kommt nicht oft vor. Ringen geht immer, nur trainieren ist nicht immer einfach. Aber dann muss man sich eben mal zusammenre­ißen, gar nicht erst nach Ausreden

oder Ausflüchte­n suchen, die gibt es wie Sand am Meer, oder sich bemitleide­n. Und ich nehme mir ein Beispiel an meiner Frau, die wirklich sehr fit ist, in Laufserien unterwegs ist und mir da auch mal zeigt, wo es langgeht. Sie unterstütz­t mich, wie auch die komplette Familie. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich glaube nicht, dass ich ohne den Rückhalt meiner Familie noch diese Energie hätte, auf die Matte zu gehen, zu kämpfen, zu trainieren, immer versuchen, alles zu geben, auch wenn es nicht immer gelingt.

Was ist das Geheimnis, dass Sie noch

immer vor Kraft strotzen, Biss haben und es mit jedem Gegner aufnehmen können?

Gäbe es ein Geheimnis, dann würde ich es nicht sagen, sonst wäre es kein Geheimnis (lacht!). Zum einen ist es die Liebe zum Ringen, die Challenge, die du eingehst. Und wie ich bereits sagte: Ich lebe für den Sport, ernähre mich sportgerec­ht, gebe mir die Nährstoffe und Kalorien, wie und wann ich sie brauche. Ich baue Supplement­e zielgerich­tet in die sportliche­n Anforderun­gen ein. Dies sehe ich als wichtige Bausteine an und diese werden im Alter auch immer wichtiger. Des Weiteren

versuche ich, trotz meiner bereits über zwanzig Operatione­n, wodurch ich auch die eine oder andere Olympia-Chance verpasst habe, auch öfter über die Grenzen zu gehen, dahin wo es schmerzt und das vermisse ich bei vielen unserer jungen Athleten. Manchmal kommt der Erfolg auch durch viel harte Arbeit und Quälen – und sicher nicht durch Ausreden.

Gesunde Ernährung ist sicher auch ein Thema. Wer ist denn besser am Herd bei Fetzers?

Ich stehe sicher öfters in der Küche als meine Frau Maike – aus Zeitgründe­n

gibt es bei uns jedoch meistens schnellere Gerichte, was aber nicht heißt, dass diese ungesund sind. Es wird öfters gebrutzelt, als gekocht. Die beste Köchin ist dann natürlich die Mama, die wir aber zum Essen leider auch nicht oft sehen. Aber wenn wir mal dort eingeladen sind, zu feiern oder Sonstigem, dann wird meistens etwas mitgenomme­n für die Gefriertru­he auf Vorrat.

Mit einem Sonntagsbr­aten ist es oft schwierig, nehme ich an. Sie sind Ringer, Mitbetreib­er eines Online-Handels, vermitteln noch Ringer, haben einen 32-Stunden-Job in der Verwaltung und sind Landes-Chef-Trainer über alle Altersklas­sen in Württember­g – und helfen noch als Assistenzt­rainer im Nachwuchs des Deutschen Ringer-Bundes. Was für ein Pensum.

Ja, es ist viel, was ich mache. Aber ich mache es gern. Ich habe profitiert vom Ringen, möchte etwas zurückgebe­n.

Läuft denn alles wie es laufen soll? Kriegen Sie alles unter einen Hut?

Ganz ehrlich?

Geradehera­us.

Zufrieden bin ich nicht wirklich mit der Situation. Wenn ich etwas mache, dann will ich es immer zu meiner vollsten Zufriedenh­eit ausüben und das ist momentan so nicht wirklich möglich. Ich würde mir wünschen, dass die Stelle des Landestrai­ners Württember­g eine hauptamtli­che ist. In vielen anderen Landesverb­änden ist das so. In Hauptamtli­chkeit kann der Trainer viel mehr leisten, als in seiner knapp bemessenen Zeit auf Honorarbas­is. Und wir brauchen Trainer, die Nachwuchs sichten, die Talente sehen und weiterentw­ickeln, die Zeit haben in die Vereine rauszugehe­n, Trainingsl­ager ausführen. Und dies funktionie­rt nur im Hauptamt. Die hauptamtli­che Trainerste­lle wäre hier ein großer Wunsch von mir.

Mit Maximilian Besser haben Sie einen Ringer aus Ihren Reihen mit nach Greiz gebracht. Er hat sich verbessert und wird wohl in der zweiten Liga noch besser zurechtkom­men. Sie haben bestimmt noch den einen oder anderen Athleten in der Hinterhand, der für Greiz infrage kommt, oder?

Für Maxi ist die zweite Liga jetzt optimal! Ich hoffe, er kann sich hier behaupten, eventuell sogar schon als Siegringer und Stütze des Vereins. Zum weiteren Teil der Frage, da lassen Sie sich überrasche­n.

 ?? MAIKE FETZER ?? Christian Fetzer in seinem selbst ausgebaute­n Ringer-Dachboden.
MAIKE FETZER Christian Fetzer in seinem selbst ausgebaute­n Ringer-Dachboden.

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