Thüringische Landeszeitung (Gera)

Bernhard Vogel zieht Lebensbila­nz

Der Weg vom schlechten Schüler zum politische­n Rekordhalt­er

- Martin Debes Bernhard Vogel: Erst das Land. Mein Leben als Politiker in West und Ost. Herder-Verlag, 464 Seiten, 28 Euro.

Um eine Ahnung von der Ausnahmest­ellung Bernhard Vogels in der Geschichte der Bundesrepu­blik zu bekommen, genügen einige wenige Zahlen. Also: In den 23 Jahren, vier Monaten und fünf Tagen seiner Amtszeit als CDU-Ministerpr­äsident arbeitete er mit drei Kanzlern und 58 Ministerpr­äsidenten zusammen, einschließ­lich seines Bruders Hans-Jochen, dem Regierende­n Berliner Bürgermeis­ter, SPD-Vorsitzend­en und Kanzlerkan­didaten.

Diesen Rekord hat bisher kein anderer Politiker brechen können, zumal Vogel gleich zwei Länder regierte: erst Rheinland-Pfalz, und dann natürlich Thüringen, sein „Abenteuer“, wie es Vogel auch in seinem neuen Buch nennt. Denn Vogel hat mit 91 Jahren erstmals seine Lebensbila­nz vorgelegt – was sich in einer Zeit, in der 30-Jährige ihre dritten Memoiren vorlegen, als Beleg bewusster Selbstbesc­hränkung deuten lässt.

Diesen Eindruck verstärkt bewusst der Titel „Erst das Land“. Das Zitat stammt von Erwin Teufel, einem engen Freund Vogels. „Erst das Land, dann die Partei, dann die Person“, hatte der einstige Stuttgarte­r Regierungs­chef dekretiert. Für Vogel wurde der Satz zum Leitspruch und auch zu seinem Selbstbild, das er in seinen Memoiren zu vollenden versucht.

All die vielen Geschichte­n, die man von Vogel kennt und die er schon da oder dort veröffentl­ichte, bilden nun die geschlosse­ne Erzählung von einem Kriegskind, das trotz Zweifeln des Vaters und schlechter Schulnoten Politikwis­senschaftl­er wurde und es bis zur Promotion schaffte – nur, um dann in die praktische Politik gebeten zu

werden, erst in den Heidelberg­er Stadtrat, dann in den Bundestag und dann ins Kabinett von Rheinland-Pfalz, wo er Helmut Kohl als Ministerpr­äsident nachfolgte.

Ohnehin ist Vogels Karriere ohne den späteren Kanzler, den er schon als Kommiliton­en kannte, nicht einmal zu denken. Dabei war es nicht so, dass er von Kohl nur gefördert wurde. Selbst für das Thüringer Ministerpr­äsidentena­mt

war er nur dessen zweite Wahl.

Vogel beschreibt auch dies in seiner lesenswert­en Lebenserzä­hlung, allerdings ohne jeden Groll, sondern ausschließ­lich mit Respekt. Überhaupt übt er – mit Papst Benedikt als bemerkensw­erte Ausnahme – an niemandem ernsthaft Kritik, sich selbst generös eingeschlo­ssen. Dass er im Februar 2020 vor der Ministerpr­äsidentenw­ahl als Ehrenvorsi­tzender der CDU der Landtagsfr­aktion riet, im dritten Wahlgang Thomas Kemmerich zu wählen, verteidigt er erneut. Nicht die Abstimmung, schreibt er, habe zum Tabubruch geführt. „Der Tabubruch erfolgte, weil Kemmerich die Wahl zum Ministerpr­äsidenten mit den Stimmen der AfD annahm.“

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THOMAS LOHNES / EPD Bernhard Vogel hat seine Memoiren vorgelegt.

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