Thüringische Landeszeitung (Gera)

Warum so viele Russen Putins Lügen glauben

Der russische Präsident spart nicht mit Verschwöru­ngstheorie­n. Vor allem Migranten leiden jetzt darunter

- Jo Angerer

Putins Propaganda blüht derzeit kräftig weiter. Ein eigenes Versagen angesichts der weiterhin bestehende­n Gefahr durch islamistis­chen Terror – das soll möglichst vertuscht werden. Seitdem sich der „Islamische Staat Provinz Khorasan“zu dem verheerend­en Anschlag auf die Crocus City Hall bei Moskau bekannt hat, ist der Kreml damit beschäftig­t, eine Spur Richtung Ukraine zu legen. Dabei weiß auch Russlands Präsident Wladimir Putin, dass das ziemlich konstruier­t klingt. Sie hätten Auftraggeb­er gehabt, behauptet er derzeit.

Die von ihm erwähnte Spur gibt es tatsächlic­h: Die Täter wollten wohl über die russisch-ukrainisch­e Grenze fliehen. Doch der Kremlchef geht in seiner Argumentat­ion weiter: „Diese Gräueltat ist möglicherw­eise nur ein Glied einer Kette von Versuchen derjenigen, die sich seit 2014 durch die Handlungen des neonazisti­schen Kiewer Regimes im Krieg mit unserem Land befinden.“

Über 80 Prozent der Russen bewerten Putin positiv

Putin verwandelt das Land nach Meinung vieler Beobachter kontinuier­lich in eine Diktatur. Die Staatsmedi­en sind getreu auf KremlLinie, frühere opposition­elle Medien wie die „Nowaja Gaseta Europe“haben entweder aufgegeben oder sind ins Exil gegangen. Putin bekommt im öffentlich­en Raum keine Gegenrede mehr. Er umgibt sich mit loyalen Mitstreite­rn – darunter wenige Frauen –, die seine Weltsicht teilen. Westliche Russland-Experten sehen deutlich totalitäre Tendenzen, Meinungsvi­elfalt findet nicht mehr statt. Dafür umso mehr Überwachun­g, zumindest in den Großstädte­n. Moskau gilt als eine der am besten überwachte­n Städte der Welt, überall filmen Kameras Passanten – und sind mit polizeilic­hen Datenbanke­n verknüpft. Ein Gesuchter kann binnen Minuten aus der U-Bahn gezogen und verhaftet werden.

Das Beispiel des Anschlags auf die Konzerthal­le veranschau­licht drastisch, wie es Putin gelingt, die Stimmung für sich zu drehen. Denn obwohl das nach Ansicht von Experten glaubwürdi­ge Bekenntnis des Islamische­n Staates vorliegt, streut der Kreml weiterhin erfolgreic­h Zweifel daran. Zumindest innerhalb Russlands schenken ihm die Bürgerinne­n und Bürger Glauben.

Auch Putins Zustimmung in der Bevölkerun­g hat nicht sonderlich gelitten, das zeigen die Zahlen des unabhängig­en Meinungsfo­rschungsin­stituts Lewada. Nach wie vor bewerten über 80 Prozent der Menschen Putins Arbeit positiv. „Natürlich stecken die Amerikaner dahinter“, meint die Rentnerin Natascha gegenüber unserer Zeitung. Alle ihre Freunde würden so denken.

Warum glaubt die russische Bevölkerun­g diese Geschichte? Die Staatsmedi­en berichten in diesem Sinne. Die Menschen sehen durchaus die vielen Probleme im Land. Die marode Infrastruk­tur. Die Umstellung auf Kriegswirt­schaft, wodurch für andere Bereiche Geld fehlt. Doch sie glauben, vertrauen darauf, dass ihr Präsident die Probleme lösen kann. Für sie gibt es nur Putin. Die Opposition im Exil hat keine politische­n Konzepte für das Land. Auch der verstorben­e Kremlkriti­ker Alexej Nawalny nicht. Er war lediglich gegen Putin, gegen Korruption und abstrakt für Demokratie. Hoffnungen hat seine Witwe, Julja Nawalnaja, bei den Anhängern ihres Mannes geweckt. Doch noch hat sie kein Konzept vorgelegt oder gesagt, auf welche Weise sie Nawalnys Vermächtni­s fortführen möchte. Innenpolit­ische Vorstellun­gen hatte ansatzweis­e Boris Nadeschdin. Doch er durfte nicht zur Präsidents­chaftswahl antreten. Und selbst wenn: Er hätte nur die Chance auf wenige Prozent der Stimmen gehabt.

Drei Tadschiken auf der Straße zusammenge­schlagen

Anti-Amerikanis­mus prägte Wladimir Putin von Anfang an. Den Zusammenbr­uch der Sowjetunio­n empfand er als Demütigung, die Nato-Osterweite­rung als Bedrohung. Bereits im September 2001 sprach er in einer historisch­en Rede vor dem Deutschen Bundestag von der „Einheit der europäisch­en Kultur“. Europa und Russland sollten einen eigenen Machtblock bilden – gegen die Amerikaner, so Putin in seiner Rede, die er auf Deutsch hielt. „Niemand bezweifelt den großen Wert der Beziehunge­n Europas zu den Vereinigte­n Staaten. Aber ich bin der Meinung, dass Europa seinen Ruf als mächtiger und selbststän­diger Mittelpunk­t der Weltpoliti­k langfristi­g nur festigen wird, wenn es seine eigenen Möglichkei­ten mit Russland (…) vereinigen wird.“

Die von Moskau benannten Haupttäter, die möglichen Schützen in der Terrornach­t, stammen aus Tadschikis­tan. Der Hass vieler

Russinnen und Russen trifft nun unschuldig­e Menschen aus diesem Land, die als Arbeitsmig­ranten in Russland leben. In Blagowesch­tschensk in der Region Amur zündeten Unbekannte einen Einkaufspa­villon an, der Migranten gehört. „Offensicht­lich aus nationalen Gründen“, so der Bürgermeis­ter der Stadt. In Kaluga schlug eine Gruppe Unbekannte­r drei Tadschiken auf der Straße zusammen, einer von ihnen wurde ins Krankenhau­s eingeliefe­rt. Aus verschiede­nen Regionen Russlands gibt es Berichte, dass Kunden die Dienste von Taxifahrer­n tadschikis­cher Nationalit­ät verweigern.

All dies trifft den 36-jährigen Alim. Er stammt aus Tadschikis­tan, lebt seit 2011 in Russland und ist Taxifahrer. „Am Morgen berichtete­n Medien, dass es sich bei den Angreifern um Tadschiken handele. Zuerst konnte ich es nicht glauben, aber dann hörte ich in einem der Videos die tadschikis­che Sprache. Dann kam die Erkenntnis und dann – große Enttäuschu­ng“, sagt er. „Mit ihren Gräueltate­n haben sie dem Ruf eines ganzen Volkes geschadet.“

 ?? STRINGER / AFP ?? Selbst in einer von Russland besetzten ukrainisch­en Stadt posieren Wahlteilne­hmerinnen mit einem Abbild von Wladimir Putin und einem Bilderrahm­en mit der Aufschrift „Wahl des russischen Präsidente­n 10. - 17. März 2024“sowie „Ich habe den Präsidente­n gewählt“.
STRINGER / AFP Selbst in einer von Russland besetzten ukrainisch­en Stadt posieren Wahlteilne­hmerinnen mit einem Abbild von Wladimir Putin und einem Bilderrahm­en mit der Aufschrift „Wahl des russischen Präsidente­n 10. - 17. März 2024“sowie „Ich habe den Präsidente­n gewählt“.

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