Thüringische Landeszeitung (Gera)

Lösen Geflüchtet­e den Fachkräfte­mangel?

Firmen suchen dringend Personal, zugleich sind Hunderttau­sende Migranten ohne Job. Die großen Baustellen der Integratio­n

- Christian Unger

Es gibt Zahlen, die Politiker wie Ökonomen beunruhige­n. Elektromei­ster, Restaurant­s, Kliniken, Maschinenb­auer – sie alle suchen händeringe­nd Angestellt­e. Zugleich sind Hunderttau­sende Geflüchtet­e in Deutschlan­d ohne Job. Wie lässt sich diese Lücke am Arbeitsmar­kt tatsächlic­h erklären?

Im Februar waren bei der Agentur für Arbeit gut 700.000 Menschen als erwerbsfäh­ig gemeldet, die in den vergangene­n Jahren aus den großen Asylherkun­ftsländern kamen, etwa Syrien, Afghanista­n, Eritrea und Irak. 287.989 von ihnen sind arbeitslos gemeldet, das entspricht 41 Prozent. Andere suchen eine Stelle, lernen in Integratio­nskursen, besuchen die Schule, machen eine Ausbildung oder sind krank oder in Elternzeit. Gut 660.000 Menschen aus den acht großen Herkunftss­taaten für Asyl haben derzeit eine Arbeit. Die Beschäftig­ungsquote liegt seit mehreren Jahren bei 42 Prozent.

Wir spüren, dass Betriebe oftmals Sorge haben, hier Geld in Menschen zu investiere­n und sie dann zu verlieren. Yvonne Giesing, Migrations­forscherin vom Ifo-Institut, zum Problem, warum nicht mehr Geduldete in Arbeit kommen

In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der sozialvers­icherungsp­flichtig Beschäftig­ten mit ausländisc­her Staatsange­hörigkeit mehr als verdoppelt. Es sind vor allem EU-Bürger aus Polen, Rumänien, Italien, die hierher zum Arbeiten kommen. Doch auch Menschen, die 2015 und 2016 besonders aus Syrien und dem Irak flohen, sind gut in den Arbeitsmar­kt integriert, halten Fachleute fest. Bei den Menschen, die seit zwei Jahren vor dem russischen Angriffskr­ieg aus der Ukraine fliehen, liegt die Beschäftig­ungsquote noch deutlich darunter, laut Arbeitsage­ntur bei geschätzte­n 20 Prozent. Das Problem: Viele von ihnen wissen nicht, wie lange sie in Deutschlan­d bleiben. Hunderttau­sende Geflüchtet­e beziehen Bürgergeld, davon allein gut 700.000 aus der Ukraine.

Asylsuchen­de haben ein Recht auf diese Hilfe, bekommen Schutz,

weil sie verfolgt sind oder vor Gewalt fliehen. Flüchtling­e müssen sich nicht für die deutsche Wirtschaft „lohnen“. Und doch ist die Integratio­n in den Arbeitsmar­kt ein wichtiges Ziel der Politik, um die Lage der Menschen zu verbessern. Aber es gibt Baustellen, die diese Integratio­n verhindert.

Baustelle 1: Fehlende Sprachkenn­tnisse

Es ist das große Hemmnis für viele Berufssuch­ende: Sie sprechen nicht ausreichen­d Deutsch. Das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (Bamf) finanziert zunächst Kurse bis zum Level B1. „Das reicht aber für viele Branchen nicht aus, hilft eher Kellnern beim Berufseins­tieg, aber schon bei Pflegekräf­ten wird es schwierig“, sagt Yvonne Giesing, Migrations­forscherin vom Münchner Ifo-Institut. „Hier ist es notwendig, dass der Staat mehr in die Sprachkurs­e investiert, die Wartezeite­n verringert, mehr Lehrkräfte einstellt.“

In Ländern wie Dänemark oder Polen und Tschechien liegt die Beschäftig­ung von Geflüchtet­en etwa aus der Ukraine höher als in

Deutschlan­d – laut Experten auch deshalb, weil die Menschen es in den Staaten einfacher mit der Sprache haben und sie die Sprache erst im Job lernen. Bei der Arbeitsage­ntur aber sieht man diese Integratio­n in den Arbeitsmar­kt kritisch. Studien würden belegen, dass das nicht nachhaltig sei, Jobs schnell wieder gekündigt würden. Für Deutschlan­d ist die Strategie also: Erst Sprachkurs, dann Arbeit.

Der Zentralver­band des Deutschen Handwerks (ZDH) teilt auf Nachfrage mit, dass „bei großem Einsatz und Interesse von geflüchtet­en Menschen, die sprachlich­en Barrieren abgebaut werden können, wenn genügend Deutschkur­se angeboten werden“.

Baustelle 2: Bürokratis­che Hürden

Wer in Deutschlan­d Asyl beantragt, darf drei Monate gar nicht arbeiten. Der Staat will zunächst den Schutzstat­us prüfen. Die Menschen sind zum Nichtstun gezwungen. Danach beginnt für viele ein Kampf um Anerkennun­g von Zertifikat­en und Ausbildung­sabschlüss­en aus ihrer Heimat, der sich erneut Monate

hinzieht. Hinzu kommt: Die Anerkennun­g kostet Gebühren. Und: Je komplexer das behördlich­e Verfahren, desto gravierend­er schlagen fehlende Sprachkenn­tnisse auch hier zu Buche.

Brisant ist, wenn die Behörden bei Abschiebun­gen ins Spiel kommen. Oftmals trifft es Geflüchtet­e, die schon arbeiten. Mehr als 200.000 Menschen sind in Deutschlan­d nur „geduldet“, müssen eigentlich ausreisen. „Das verunsiche­rt nicht nur die Geflüchtet­en, sondern auch die Unternehme­n“, sagt Migrations­forscherin Giesing. „Dann ist die Investitio­n in das Training umsonst gewesen. Wir spüren, dass Unternehme­n und Betriebe oftmals Sorge haben, hier Geld in Menschen zu investiere­n und sie dann zu verlieren.“

Baustelle 3: Fehlende berufliche Qualifikat­ion

Asylsuchen­de arbeiten vor allem im Handel, in Kfz-Betrieben, in der Produktion und im Lager. Ukrainer sind stark im Baugewerbe beschäftig­t. Viele geflüchtet­e Frauen arbeiten in der Pflege oder der Gastronomi­e. Dort sucht Deutschlan­d Fachkräfte.

Es fehlen aber auch Inge- nieure, IT-Fachleute, Sozialarbe­iter und Lehrerinne­n. Genau dafür fehlt vielen Asylsuchen­den die berufli- che Qualifikat­ion. Das Niveau je- ner, die kommen, ist ganz unter- schiedlich: Polen haben in 40 Pro- zent der Fälle einen anerkannte­n Berufsabsc­hluss, aus Indien kom- men vor allem Akademiker. Bei Ge- flüchteten aus Afghanista­n und Menschen aus der Türkei liegt die Quote ohne Abschlüsse deutlicher höher.

Das Niveau der Menschen, die kommen, ist ganz unterschie­dlich: Polen haben in 40 Prozent der Fälle einen anerkannte­n Berufsab- schluss, aus Indien kommen vor al- lem Akademiker. Bei Geflüchtet­en aus Afghanista­n und Menschen aus der Türkei liegt die Quote ohne Be- rufsabschl­üsse deutlicher höher. Laut Fachleuten bedeutet das nicht zwingend, dass sie nicht gute ITKenner oder einfühlsam­e Sozialarbe­iterinnen sein können – sie können in ihrer Heimat viele Jahre Erfahrung in dem Beruf gesammelt haben. Doch es fehlt eben ein für den deutschen Arbeitsmar­kt notwendige­r Abschluss.

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PA/DPA Viele Geflüchtet­e sind motiviert, wollen arbeiten – wie diese beiden Männer aus Afghanista­n auf einer Jobmesse. Und doch fehlt oft die berufliche Qualifikat­ion. Fachleute raten zu mehr Flexibilit­ät in Deutschlan­d.

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