Thüringische Landeszeitung (Gera)
Lösen Geflüchtete den Fachkräftemangel?
Firmen suchen dringend Personal, zugleich sind Hunderttausende Migranten ohne Job. Die großen Baustellen der Integration
Es gibt Zahlen, die Politiker wie Ökonomen beunruhigen. Elektromeister, Restaurants, Kliniken, Maschinenbauer – sie alle suchen händeringend Angestellte. Zugleich sind Hunderttausende Geflüchtete in Deutschland ohne Job. Wie lässt sich diese Lücke am Arbeitsmarkt tatsächlich erklären?
Im Februar waren bei der Agentur für Arbeit gut 700.000 Menschen als erwerbsfähig gemeldet, die in den vergangenen Jahren aus den großen Asylherkunftsländern kamen, etwa Syrien, Afghanistan, Eritrea und Irak. 287.989 von ihnen sind arbeitslos gemeldet, das entspricht 41 Prozent. Andere suchen eine Stelle, lernen in Integrationskursen, besuchen die Schule, machen eine Ausbildung oder sind krank oder in Elternzeit. Gut 660.000 Menschen aus den acht großen Herkunftsstaaten für Asyl haben derzeit eine Arbeit. Die Beschäftigungsquote liegt seit mehreren Jahren bei 42 Prozent.
Wir spüren, dass Betriebe oftmals Sorge haben, hier Geld in Menschen zu investieren und sie dann zu verlieren. Yvonne Giesing, Migrationsforscherin vom Ifo-Institut, zum Problem, warum nicht mehr Geduldete in Arbeit kommen
In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit ausländischer Staatsangehörigkeit mehr als verdoppelt. Es sind vor allem EU-Bürger aus Polen, Rumänien, Italien, die hierher zum Arbeiten kommen. Doch auch Menschen, die 2015 und 2016 besonders aus Syrien und dem Irak flohen, sind gut in den Arbeitsmarkt integriert, halten Fachleute fest. Bei den Menschen, die seit zwei Jahren vor dem russischen Angriffskrieg aus der Ukraine fliehen, liegt die Beschäftigungsquote noch deutlich darunter, laut Arbeitsagentur bei geschätzten 20 Prozent. Das Problem: Viele von ihnen wissen nicht, wie lange sie in Deutschland bleiben. Hunderttausende Geflüchtete beziehen Bürgergeld, davon allein gut 700.000 aus der Ukraine.
Asylsuchende haben ein Recht auf diese Hilfe, bekommen Schutz,
weil sie verfolgt sind oder vor Gewalt fliehen. Flüchtlinge müssen sich nicht für die deutsche Wirtschaft „lohnen“. Und doch ist die Integration in den Arbeitsmarkt ein wichtiges Ziel der Politik, um die Lage der Menschen zu verbessern. Aber es gibt Baustellen, die diese Integration verhindert.
Baustelle 1: Fehlende Sprachkenntnisse
Es ist das große Hemmnis für viele Berufssuchende: Sie sprechen nicht ausreichend Deutsch. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) finanziert zunächst Kurse bis zum Level B1. „Das reicht aber für viele Branchen nicht aus, hilft eher Kellnern beim Berufseinstieg, aber schon bei Pflegekräften wird es schwierig“, sagt Yvonne Giesing, Migrationsforscherin vom Münchner Ifo-Institut. „Hier ist es notwendig, dass der Staat mehr in die Sprachkurse investiert, die Wartezeiten verringert, mehr Lehrkräfte einstellt.“
In Ländern wie Dänemark oder Polen und Tschechien liegt die Beschäftigung von Geflüchteten etwa aus der Ukraine höher als in
Deutschland – laut Experten auch deshalb, weil die Menschen es in den Staaten einfacher mit der Sprache haben und sie die Sprache erst im Job lernen. Bei der Arbeitsagentur aber sieht man diese Integration in den Arbeitsmarkt kritisch. Studien würden belegen, dass das nicht nachhaltig sei, Jobs schnell wieder gekündigt würden. Für Deutschland ist die Strategie also: Erst Sprachkurs, dann Arbeit.
Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) teilt auf Nachfrage mit, dass „bei großem Einsatz und Interesse von geflüchteten Menschen, die sprachlichen Barrieren abgebaut werden können, wenn genügend Deutschkurse angeboten werden“.
Baustelle 2: Bürokratische Hürden
Wer in Deutschland Asyl beantragt, darf drei Monate gar nicht arbeiten. Der Staat will zunächst den Schutzstatus prüfen. Die Menschen sind zum Nichtstun gezwungen. Danach beginnt für viele ein Kampf um Anerkennung von Zertifikaten und Ausbildungsabschlüssen aus ihrer Heimat, der sich erneut Monate
hinzieht. Hinzu kommt: Die Anerkennung kostet Gebühren. Und: Je komplexer das behördliche Verfahren, desto gravierender schlagen fehlende Sprachkenntnisse auch hier zu Buche.
Brisant ist, wenn die Behörden bei Abschiebungen ins Spiel kommen. Oftmals trifft es Geflüchtete, die schon arbeiten. Mehr als 200.000 Menschen sind in Deutschland nur „geduldet“, müssen eigentlich ausreisen. „Das verunsichert nicht nur die Geflüchteten, sondern auch die Unternehmen“, sagt Migrationsforscherin Giesing. „Dann ist die Investition in das Training umsonst gewesen. Wir spüren, dass Unternehmen und Betriebe oftmals Sorge haben, hier Geld in Menschen zu investieren und sie dann zu verlieren.“
Baustelle 3: Fehlende berufliche Qualifikation
Asylsuchende arbeiten vor allem im Handel, in Kfz-Betrieben, in der Produktion und im Lager. Ukrainer sind stark im Baugewerbe beschäftigt. Viele geflüchtete Frauen arbeiten in der Pflege oder der Gastronomie. Dort sucht Deutschland Fachkräfte.
Es fehlen aber auch Inge- nieure, IT-Fachleute, Sozialarbeiter und Lehrerinnen. Genau dafür fehlt vielen Asylsuchenden die berufli- che Qualifikation. Das Niveau je- ner, die kommen, ist ganz unter- schiedlich: Polen haben in 40 Pro- zent der Fälle einen anerkannten Berufsabschluss, aus Indien kom- men vor allem Akademiker. Bei Ge- flüchteten aus Afghanistan und Menschen aus der Türkei liegt die Quote ohne Abschlüsse deutlicher höher.
Das Niveau der Menschen, die kommen, ist ganz unterschiedlich: Polen haben in 40 Prozent der Fälle einen anerkannten Berufsab- schluss, aus Indien kommen vor al- lem Akademiker. Bei Geflüchteten aus Afghanistan und Menschen aus der Türkei liegt die Quote ohne Be- rufsabschlüsse deutlicher höher. Laut Fachleuten bedeutet das nicht zwingend, dass sie nicht gute ITKenner oder einfühlsame Sozialarbeiterinnen sein können – sie können in ihrer Heimat viele Jahre Erfahrung in dem Beruf gesammelt haben. Doch es fehlt eben ein für den deutschen Arbeitsmarkt notwendiger Abschluss.