Thüringische Landeszeitung (Gera)
„Mama, warum sitzt Papa im Gefängnis?“
Badr Mohamed hat seine dreijährige Tochter nie in Freiheit gesehen. Seine Frau Elena Pichler und Amnesty kämpfen für seine Freilassung
Kairo. Elena Pichler schiebt den Buggy mit ihrer Tochter vorbei an bunt beleuchteten Cafés und achtstöckigen Belle-Époque-Häusern in der Kairoer Downtown. Sie navigiert zwischen den rasenden Motorrollern. Die dreijährige Tochter Amina schläft trotz Hupen und Motorenheulen tief, ihre Füße baumeln aus dem Buggy heraus. Die Hitze Ägyptens ist auf eine angenehme Wärme heruntergekühlt. Pichler setzt sich in eines der Straßencafés, zieht einen Stuhl heran und bettet die Füße ihrer Tochter darauf.
Amina ist schnell gewachsen. Ihre Körpergröße hat sie von ihrem Vater geerbt. Den hat sie außerhalb von Gefängnismauern noch nie gesehen. Badr Mohamed ist politischer Gefangener. Einer von 65.000 in Ägypten, so hoch schätzen Menschenrechtler die Zahl derer, die aus politischen Gründen inhaftiert sind. Die Hälfte aller Gefängnisinsassen. Hinter jeder dieser Zahlen steckt ein persönliches Schicksal, eine zerrissene Familie.
Pichlers Ehemann wurde von der Polizei verhaftet, als die beiden 24 Jahre alt waren. Zu Unrecht, sagen Pichler und auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International, die sich der Sache angenommen hat und sich für Mohameds Freilassung einsetzt.
Badr war als 17-Jähriger zur falschen Zeit am falschen Ort
Elena Pichler ist Österreicherin, sie lebt seit 2019 in Kairo und arbeitet dort als Erzieherin. Bald nach ihrer Ankunft in Ägypten lernte sie Mohamed kennen, sie verliebten sich, zogen zusammen. Mohamed sei ein Mensch, der jeden Augenblick genießt und die Freiheit liebt, beschreibt Pichler ihren Partner.
Nach Angaben von Amnesty International war Mohamed am 16. August 2013 zur falschen Zeit am falschen Ort. Kurz nach dem Militärputsch gegen Präsident Mohammed Mursi rief dessen Partei, die Muslimbruderschaft, zum Protest auf dem Kairoer Ramses-Platz auf. Die Situation eskalierte und die Polizei eröffnete das Feuer. Laut Amnesty wurden 97 Zivilisten getötet, darunter Kinder und Jugendliche. Demonstrierende und Passanten suchten Schutz in einer nahe gelegenen Moschee.
Darunter auch Mohamed. Der damals 17-Jährige wurde mit vielen anderen in der Moschee von der Polizei festgenommen und des Terrorismus beschuldigt. „Dabei war er offensichtlich kein Muslimbruder“, erzählt Pichler heute in ihrer Kairoer Wohnung. Sogar im Polizeibericht habe gestanden, dass Mohamed eine kurze Hose und keinen Bart trug, nicht der Stil eines Muslimbruders. „Er hatte zu keiner der
dort demonstrierenden Organisationen eine Verbindung“, sagt Pichler.
Nach drei Monaten wurde Mohamed freigelassen, doch das Verfahren wurde 2020 wieder eröffnet. Als das Paar im Ramadan, im Mai 2020, zum Fastenbrechen die Familie Mohameds besuchte, wurde er erneut festgenommen. „Noch bevor wir den ersten Bissen genommen hatten“, erinnert sich Pichler. Und bevor sie den Eltern erzählen konnten, dass sie schwanger war. Im Januar 2021 kam Amina auf die Welt. Mohamed erfuhr im Gefängnis von der Geburt seiner Tochter. Erst Anfang 2023 fällte ein Gericht ein Urteil: fünf Jahre Haft. „Sein Verfahren fand vor der Terrorismusabteilung
des Kairoer Strafgerichts statt und war grob unfair“, schreibt Amnesty über den Fall.
Einmal im Monat kann die junge Familie mittlerweile eine halbe Stunde im Gefängnisbesuchsraum
zusammen verbringen. Jeder Besuch ist mit Stunden des Wartens verbunden. „Manchmal macht es mich wütend, dass die Gefängniswärter am Ende mehr Zeit mit Amina verbringen und mehr von ihrer
Entwicklung mitbekommen als Badr“, sagt die 28-Jährige. Sogar ihre ersten Schritte machte Amina im Gefängnis, sich von Gitterstab zu Gitterstab hangelnd.
Je älter Amina wurde, desto mehr Fragen stellte sie: „Warum sitzt Baba im Gefängnis? Sitzen nicht nur böse Menschen im Gefängnis?“Pichler erklärte es ihrer Tochter. „Wenn wir Polizisten sehen, fragt sie mich manchmal: ‘War das der, der Baba ins Gefängnis gebracht hat?‘“, sagt Pichler. Wenn andere Kinder Räuber und Gendarm spielen, will Amina nicht mitmachen.
Jeder Tag zählt. Jeden Tag könnte seine Energie zu Ende sein. Elena Pichler, die Österreicherin hofft auf die Freilassung ihres Partners
Laut UN-Konvention hat Amina ein Recht auf beide Elternteile
Die Menschenrechtslage in Ägypten hat sich seit der Machtübernahme von Präsident Abdel Fattah alSisi 2013 immer weiter verschlechtert. Human Rights Watch spricht von systematischer Inhaftierung und Bestrafung friedlicher Kritiker. Dabei werde „friedlicher Dissens effektiv kriminalisiert und oft mit ‚Terrorismus‘ gleichgesetzt“. Das trifft Journalistinnen, Anwälte, Aktivistinnen und Menschen, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Inzwischen will sich das österreichische Außenministerium für Pichler und Mohamed einsetzen, so die Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich, Shoura Zehetner-Hashemi. „Mohameds Tochter Amina hat über die Kinderrechtskonvention der UN ein Recht auf beide Elternteile“, sagt Zehetner-Hashemi. Eine Entlassung wegen guter Führung oder eine Begnadigung wäre denkbar. Bisher habe die ägyptische Botschaft in Wien jedoch das Gespräch verweigert. Das ägyptische Innenministerium und die ägyptische Botschaft in Österreich reagierten nicht auf Anfragen unserer Redaktion.
Trotz schwieriger Haftbedingungen versuche Mohamed derweil alles, um für seine Tochter da zu sein: Aus alten Gefängnisklamotten nähte er einen Rucksack für seine Tochter. Auf dem steht, mit buntem Faden gestickt, „Baba“, „Mama“, „Meno“, der Kosename für Amina. „Den will Amina jetzt überall dabeihaben.“Noch eineinhalb Jahre stehen aus, bis Mohamed seine reguläre Haftzeit abgesessen hat. Pichler hofft, dass es nicht dazu kommt. „Jeder Tag zählt. Jeden Tag könnte seine Energie zu Ende sein.“