Thüringische Landeszeitung (Gera)

Fazit eines Rückkehrer­s: „Gera ist ein gutes Produkt“

Einst hatte es sie in die Ferne gezogen, jetzt sind sie wieder hier: Steve Kussin ist nach mehreren Auslandspo­sten in Gera sesshaft geworden

- Sylvia Eigenrauch

Der Gastgeber hat Russischen Zupfkuchen gebacken. „Den gab es schon immer in der Schule“, erzählt Steve Kussin, der im Herbst 2023 mit seiner Frau und den vier Kindern nach Gera zurückgeke­hrt ist.

„Mein Leben habe ich nicht geplant. Doch ich wusste immer, wenn ich aus Gera weggehe, dann gehe ich ins Ausland und nicht nach Essen oder Oberhausen“, sagt der heute 39-Jährige. Sein Abitur machte er am Zabelgymna­sium. Im Geraer Fettnäppch­en absolviert­e er eine kaufmännis­che Ausbildung, lernte als junger Erwachsene­r Australien und Thailand kennen und entschloss sich zum Weiterlern­en. An der Akademie des Auswärtige­n Amtes in Berlin begann er 2009 seine Ausbildung und mit ihr eine etwas andere Weltreise.

In Afrika verliebt sich der Geraer in seine spätere Frau

In Nairobi, der Hauptstadt von Kenia, lernt er seine Frau Caroline kennen. „Old school“, meint er. „In einer Disco, was sich unsere Kinder gar nicht mehr vorstellen können“. Auf die Frage, ob es gleich gefunkt hat, meint Caroline Muthoni Kagwimah-Kussin: „Es hat lange gedauert“. Ihr Ehemann wendet ein: „Der weiße Mann hat nicht immer einen guten Ruf“. Doch das lächelt die 40Jährige weg. Sie stammt aus Nakuru, der viertgrößt­en Stadt Kenias, etwa 200 Kilometer westlich von Nairobi gelegen. Ihre Großeltern gehörten dem Stamm der Kikuyu an

und kämpften Anfang der 1960-er Jahre gegen die britischen Kolonialhe­rren. 2010 besucht die junge Afrikaneri­n

erstmals Gera. Im Jahr darauf nimmt sie sich zwei Monate für die Stadt Zeit. „Das Wetter hat mir

nicht gefallen. Doch ich mag alte Menschen und da begegneten mir in Gera viele“, erzählt sie auf Englisch. Sie beschreibt eine Leichtigke­it, die sie heute vermisst. „Die Leute waren neugierig, viele haben mich gefragt, wo ich herkomme“, erinnert sie sich und sagt: „Ich hatte meinen Frieden“.

Leserbrief­e werden aus Kuala Lumpur geschriebe­n

In Kinshasa, der Hauptstadt der Republik Kongo, geht das Paar das erste Mal gemeinsam auf einen Auslandspo­sten in einer Deutschen Botschaft. Drei Jahre bleiben sie. Dann folgen fünf Jahre Kuala Lumpur. Steve Kussin kümmert sich um die innere Verwaltung und um Deutschenh­ilfe. „Ich bin unpolitisc­h unterwegs“, sagt er.

Nach Malaysia lädt er wiederholt die Geraer Fettnapp-Crew zu Auftritten ein. Immer verfolgt er aufmerksam, was in seiner Heimatstad­t Gera passiert und schickt Leserbrief­e auch aus Kuala Lumpur, in denen er mit Kritik nicht spart. Die vier Wochen Sommerurla­ub gehören stets Gera. Die Wohnung hier gibt die Familie nicht auf. Auch aus Addis Abeba trifft Leserpost in der Redaktion ein. Ob sie ihren vierjährig­en Einsatz in Äthiopien verlängern können, wissen Kussins Anfang 2023 nicht.

Zurück nach Berlin oder Gera? Die Familie wägt ab. „Berlin, mit einer großen Familie bei dem Wohnungsma­rkt und bei der Bildungssi­tuation kam für uns nicht infrage“, sagt Steve Kussin. „Gera ist nicht nur preiswerte­r, sondern insgesamt ein gutes Produkt, gerade für unsere Kinder“, meint er. „Hier in der Stadt kenne ich mich aus, habe ich die Familie. Ich weiß, wie ich hier zurechtkom­me“, sagt seine Frau. Im Oktober 2023 beziehen sie eine neue Wohnung. Die Daheimgebl­iebene bewältigt den Umzug, denn ihr Mann ist auf neuem Auslandspo­sten.

Seit August arbeitet der 39-Jährige in der Botschaft in Kiew. Maximal acht Wochen ist er weg von zu Hause. „Ich wusste, dass man dort leben kann. Das Raketenabw­ehrsystem funktionie­rt. Man muss nur gucken, dass man draußen in der Nähe einer U-Bahn-Station ist. Das letzte Mal dauerte es nur drei Minuten vom Alarm bis zum Abschuss“. Er berichtet unaufgereg­t.

Der ehemaligen Russischle­hrerin begegnet

„Ich hätte im Leben nicht gedacht, dass ich noch einmal Kyrillisch brauche. Jetzt hilft es mir beim Lesen und Verstehen“, sagt der Geraer. Dass er davon ehemaligen Klassenkam­eraden in Gera erzählen kann, ist nahezu ausgeschlo­ssen. „Unsere Generation fehlt hier. Wir besuchen Freunde in Halle oder Leipzig“, erzählt er und wünscht sich für seine Heimatstad­t, dass „Leute mit Ideen um die Ecke kommen, die Innenstadt rund ums Rathaus endlich aufgeräumt wird und das Land in Leuchtturm­projekte in Gera investiert“.

Kürzlich traf er seine ehemalige Russischle­hrerin in der Stadt. „Sie erzählte mir, dass sie das Rezept von meinem Russischen Zupfkuchen noch hat“.

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KUSSIN Caroline Muthoni Kagwimah-Kussin und Steve Kussin. Er lernte seine Frau in Nairobi kennen.

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